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Es werden Posts vom Januar, 2018 angezeigt.

Gekommen, um zu bleiben

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Erst war sie dunkel und ich mit ihr ganz allein in der großen Wohnung und ich ging von Zimmer zu Zimmer und machte alle Lichter an, mitten in der Nacht. Aber sie blieb. Und sie bekam lange Beine und braune Haare und Sommersprossen auf der Nase und hatte einen klein gefalteten Zettel von mir in der Hand und sie faltete ihn auseinander und las ihn und ich sah ihr dabei zu und schauderte. Viele Jahre später sah sie mir entgegen, als ich in den Spiegel blickte und sie und mich fragte, was denn nun werden sollte, weil alle Wege in Sackgassen führten und keiner sich auf ein Ziel öffnete. Da ging ich einfach los, fort von ihr, und war immer einen Schritt schneller als sie. Und nun bin ich hier, und weiß, sie ist es auch. Manchmal, nachts, weckt sie mich leise, zwischen fünf Uhr und Weckerklingeln. Und ich sage leise zu ihr: Da bist du ja, meine Angst.

Zwillinge

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Paul hatte es gut getroffen. Schon von Kindheit an. In der Schule war er immer etwas schneller als die anderen. Das Lernen fiel ihm leicht. Was ihm einmal erklärt wurde, verstand er, und was er einmal gehört oder gelesen hatte, konnte er sich merken. Das blieb auch im Studium so. Ingenieur für Luftfahrttechnik studierte er. Und nebenher – weil ihm das eine Fach zu einseitig schien – schrieb er sich auch für Philosophie ein. Schon beim ersten Praktikum in diesem mittelständischen Familienunternehmen wurden sie auf ihn aufmerksam: Da war einer, der schnell verstand. Der Lösungen suchte, wo andere noch nicht einmal das Problem gesehen hatten. Und obwohl es nur ein Praktikum war, kam er immer als einer der ersten und blieb, bis sie die Firma abschlossen. Keine Überraschung für ihn, dass der Seniorchef ihn umwarb, als sein Studium auf das Ende zuging. Nur der Jahresverdienst, den sie ihm anboten, erstaunte ihn: Er übertraf seine Erwartungen bei weitem. Aber er wehrte sic

Ein Geheimnis bleibt ein Geheimnis

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Ich verrate jetzt ein Geheimnis: Diese Schachtel ist ein Geheimnis. Ein Geheimnis? Ja, ein Geheimnis. Diese Schachtel aus Tonkarton, irgendwann einmal gebastelt. Nicht das, was drin ist in der Schachtel, ist das Geheimnis. Da ist nämlich nichts drin. Und es gibt auch keinen doppelten Boden oder einen anderen Trick. Die Schachtel selber ist das Geheimnis. Nicht, weil ich etwas über diese Schachtel weiß, das ihr nicht wisst. Sie ist für mich genauso ein Geheimnis, wie sie es für euch ist. Diese Schachtel ist ein Geheimnis. Sie zeigt, was ein Geheimnis ist. Etwas, das da ist, vor aller Augen. Und doch verborgen bleibt, so dass keiner es erfasst. Etwas, das auch noch ein Geheimnis bleibt, wenn ich um es weiß. Auch wenn ich es offen vor die Augen halte, bleibt es verborgen. Das ist ein Geheimnis. Paulus schreibt an seine Gemeinde in Korinth: Brüder und Schwestern, ich bin damals zu euch gekommen, um euch das Geheimnis Gottes zu verkünden. Ich bin ab

Unterm Ginster auf der Schwelle

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Johann Friedrich Overbeck, Der Engel weckt Elias Unter dem Ginster lag ich und schlief. Ich schlief einen unruhigen Schlaf. Hin und her warf mich, was ich im Schlaf erinnerte: Elija, das war dein Jahr. Im Schlaf holte mich ein, wovor ich gern weggelaufen wäre. Mich holte ein, was aus den Tagen und Wochen und Monaten zuvor auf mir lastete. Angst war es, die wieder nach mir griff. Angst um mein Leben. Angst, dass ich nicht schaffen würde, was ich schaffen musste. Dazwischen mischten sich andere Bilder. Ein Tag im Sonnenschein, der mich jubeln ließ. Das Glück, das in mir pochte, als mich einer anschaute. Im Traum lächelte ich darüber und weinte zugleich – so flüchtig waren diese Augenblicke und ohne Wiederkehr. Und ich träumte von dem, was mich immer noch fesselte, obwohl es doch vorbei war: Als ich eine verletzt hatte, mit dem, was ich sagte, im Eifer, ohne Absicht – aber auch ohne Möglichkeit, es zurückzuholen. Und als ich meine Hand zurückzog, nach der sich ei