So nah und greifbar wie ein Kuscheltier

Zu unserem Hausstand gehören Misi, Derbi und Hawa. Der eine ist hellbraun. Der andere ist blau. Der dritte ist weiß. Und alle drei haben einen Doppelgänger.
Das ist auch gut so: Sie haben nämlich die Eigenart, immer mal zu verschwinden. Manchmal planmäßig in der Waschmaschine. Meistens aber unplanmäßig und gerade dann, wenn sie dringend gebraucht werden. Also beginnt das große Suchen. Unterm Essenstisch. Im Bücherregal. Im Badezimmer. In der Tasche. Und noch mal von vorne – bis sie gefunden sind oder eben der Doppelgänger aus dem Schrank geholt wird.
Alle drei sind nämlich unverzichtbar. Sie werden gebraucht. Unsere Kinder brauchen sie. Um mit ihnen zu spielen. Um in den Schlaf zu finden. Um getröstet zu werden. Misi, Derbi und Hawa sind ihre Kuscheltiere.

So ein Kuscheltier ist eine wunderbare Erfindung. Mit ihnen können Kinder einfach gut kuscheln. Sie lassen sich an die Wange schmiegen, sie streicheln die Haut und vermitteln so Wärme und Zärtlichkeit. Mit der Zeit nehmen sie den schönen, eigenen Geruch an. Sie werden ganz vertraut. Der ständige Begleiter, der da ist und über den Schlaf wacht.
Nicht nur das. So ein Kuscheltier ist auch Gesprächspartner. Es hört die ganzen erzählten Geschichten aus dem Alltag. Es weiß auch um die ungesagten Gedanken. Es geht mit auf die abenteuerlichsten Phantasiereisen. Es lacht mit vor Freude, es weint mit, es ärgert sich mit, es hofft mit.
So ist das Kuscheltier einfach da, um es lieb zu haben, um es ins Herz zu schließen. Bis ich dann irgendwann meine, groß und stark zu sein. So groß, dass ich über Kuscheltiere milde lächele. So stark, dass ich sie nicht mehr brauchen, als Tröster oder Beistand.

So groß und stark, wie sich die Jünger fühlen, zu denen Jesus spricht, denen Jesus etwas verspricht:

"Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote befolgen. Dann werde ich den Vater um etwas bitten: Er wird euch an meiner Stelle einen anderen Beistand geben, einen, der für immer bei euch bleibt. Das ist der Geist der Wahrheit. Diese Welt kann ihn nicht empfangen, denn sie sieht ihn nicht und erkennt ihn nicht. Aber ihr erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch gegenwärtig sein. Ich lasse euch nicht wie Waisenkinder allein. Ich komme wieder zu euch. Es dauert nur noch kurze Zeit, dann wird diese Welt mich nicht mehr sehen. Aber ihr werdet mich sehen, denn ich lebe. Und ihr werdet auch leben." (Joh 14,15-19 - www.basisbibel.de)

Text lesen: Joh 14,15-19

Die Jünger, groß und stark wie sie sind, erleben eine Situation, in der sie gut einen Beistand, ein Kuscheltier gebrauchen können.
Jesus nimmt Abschied von ihnen, er wird sie verlassen, zurücklassen. Mit ihm geht seine Wärme, die er ausstrahlt. Mit ihm geht die Freundlichkeit, mit der er ihr Herz ansieht. Mit ihm geht auch das offene Herz, mit dem er ihre Sorgen und Ängste wahrnimmt. Mit ihm geht der Mensch, der Liebe in ihnen weckt.
Sie, die Jünger bleiben allein zurück. Ihnen droht Unheil: „Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen“, sagt Jesus. „Sie werden euch umbringen und denken, sie täten Gott damit einen Gefallen.“ Die Jünger bleiben allein mit dem Hass, der ihnen entgegenschlägt.
Was ihnen bleibt ist: Nichts. Nichts als der, den Jesus ihnen verspricht: der Tröster, der Beistand, der Geist der Wahrheit.

Nicht viel mehr als ein Kuscheltier scheint er zu sein, dieser Tröster. Ein Ersatz für den hörbaren und sichtbaren Jesus. Ein Ersatz, der ein wenig von Jesu wohltuender Nähe vermitteln soll. Er soll seine wärmenden Worte bewahren und an seine leuchtenden Augen erinnern. Aber eben nur ein Ersatz, ein manchmal mehr schlechter als rechter Ersatz für – Gott, wie er den Jüngern in Jesus begegnete, nah war.
Und doch: Dieser Tröster ist viel mehr als ein bloßer Ersatz.

Der Geist der Wahrheit ist für die Jünger mehr, viel mehr. Er ist nicht mit den Händen zu greifen. Aber er ist doch spürbar, eine spürbare Kraft, die die Jünger ausfüllt. Ein Hauch, der sie bewegt.

Der Hauch bewegt ihre Hände aufeinander zu. Der Geist verbindet sie zu einer Gemeinschaft. Die Gemeinschaft, die eben noch Jesus zusammen hielt, die erhalten nun die Jünger am Leben – durch den Geist.
Die Mitte ihrer Gemeinschaft bleibt leer – Jesus ist weg. Aber zwischen ihnen webt der Geist ein festes Band, das auch und gerade dem äußeren Reißen standhält, der Verfolgung, die an ihnen zerrt.
Der Geist verbindet sie zu einer Gemeinschaft, die zusammenhält, die wärmt und Mut macht – und so andere einlädt, zu ihr zu stoßen.

Der Hauch bewegt auch die Zungen der Jünger. Er lässt sie miteinander reden. Sie erzählen sich, was sie bewegt, an Freuden und Sorgen, an Ängsten und Hoffnungen. Sie erzählen es sich und hören sich mit Anteilnahme zu. Sie teilen einander mit, sie teilen miteinander, was ihnen widerfährt, was sie umtreibt.
Und der Hauch lässt sie zu anderen Menschen reden. Was sie bewegt, das können und wollen sie nicht für sich behalten. Das müssen sie weitersagen. Ihren Tröster, ihren Beistand, den wollen und müssen sie auch anderen Menschen weiterreichen, ans Herz legen.

Der Hauch bewegt schließlich auch die Herzen der Jünger. Er lässt sie einander lieben. Sie wenden sich einander zu. Sie teilen miteinander, was sie zum Leben haben: Das tägliche Brot und den Kelch Wein. Das Einkommen und das Auskommen. Die Gaben, mit denen sie sich beschenken.
Und der Hauch lässt sie andere Menschen lieben. Ihnen wenden sie sich zu – den Außenseitern, die nirgendwo dazu gehören. Weil sie zu arm oder zu reich, zu ungebildet oder zu eingebildet, zu laut oder zu leise, zu stark oder zu schwach sind. Die Jünger leben die Liebe, die der Geist sie spüren lässt.

Die der Geist die Jünger spüren lässt – und die der Geist uns spüren lässt. Uns, die wir heute Morgen hier im Gottesdienst sind. Die wir immer wieder Situationen und Augenblick erleben, in denen wir uns einsam und verlassen fühlen.
Da ist der Kampf mit der todbringenden Krankheit, da ist der Abschied von einem nahen Menschen, da ist die Sorge um die Zukunft, die eigene, die der Kinder oder Enkel; da ist das Gefühl, nichts mehr tun zu können oder nicht mehr gebraucht zu werden.
Gegen die Einsamkeit, gegen das Schweigen, gegen die Lieblosigkeit verspricht Jesus auch uns den Tröster, den Beistand.

Nun gibt es „ja auch Tage bei uns“, schreibt Hans Dieter Hüsch, „wo wir den Geist wirklich nicht spüren, wo wir ihn jedes Mal aufs Neue erfühlen müssen und glücklich sind, wenn das Schwere plötzlich in uns abfällt und der Geist hier und bei uns ist und Probleme sich aus dem Staube machen und die Menschen wieder anfangen zu lächeln.“
Er ist nicht immer zu spüren, dieser Geist, der Tröster und Beistand. Oft genug ist es und bleibt es kalt in uns und um uns herum. Oft genug herrscht in uns und um uns herum Schweigen, hören wir kein einziges freundliches Wort. Oft genug spüren wir nur Abneigung und Ablehnung und Einsamkeit.

Oft genug ist es aber auch anders, ganz anders. Jemand nimmt uns unverhofft in den Arm. Ein anderer schenkt uns wärmende Worte. Bei einer Nächsten spüren wir Liebe und Sympathie, die sie uns unvermittelt entgegenbringt. Und plötzlich fällt das Schwere in uns ab und machen sich die Probleme aus dem Staube und wir fangen wieder an zu lächeln.
Da – hier in der Gemeinde, dort auf der Straße, am Gartenzaun, wo wir einander menschenfreundlich begegnen, wo wir offene Herzen füreinander haben, wo wir einander Liebe und Sympathie schenken. Da spüren wir den Geist Gottes – so nah und greifbar wie ein Kuscheltier.

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