Gekommen, um anderen zu dienen
Einer
trage des anderen Last (Galater
6,2).
Am
Anfang, wenn zwei sich das versprechen, ist das ganz leicht. Das, was
es zu tragen gibt, fühlt sich ganz leicht an. Die andere über die
Schwelle zu tragen, fällt leicht. Den anderen auf Händen zu tragen,
fällt leicht.
Zusammen
fühlen sie sich leicht an, schweben zu zweit auf einer Wolke.
Federleicht gehen sie hinweg über das, was sie am Boden halten
könnte. Die Schmetterlinge im Bauch tragen sie empor.
Später,
irgendwann, kann schwer werden, was sie zu tragen haben. Der andere
verliert die Arbeit und den Mut zu dem, was er kann. Die andere wird
krank und verliert das Vertrauen in das, was selbstverständlich ist.
Aber
da ist ja noch das Versprechen vom Anfang. Es gilt. Einer trage des
anderen Last. Also hält der eine die Angst der anderen vor dem
Morgen aus. Und die eine trägt die Zweifel des anderen an sich
selbst.
So
tragen sie sich gegenseitig. Mal der eine die andere, mal die eine
den anderen. Was sie erstaunt: Mit jedem Schritt, den sie einander
tragen, fällt es leichter.
Wenn
sie trägt, merkt sie: Sie hat die Kraft. Und wenn er
trägt, spürt er: Er kann wirklich die andere tragen. Wenn er
getragen wird, erfährt er: Sie teilt meine Last. Wenn sie
getragen wird, spürt sie: Er trägt mich hindurch.
Da
geschieht es: Die Last wird leicht. Das, was der eine zu tragen hat
und die andere mit ihm trägt. Die Liebe macht es leicht, den anderen
zu tragen. Die Liebe macht die andere leicht.
Jesus
sagte zu seinen Jüngern: „Wer von euch groß sein will, soll den
anderen dienen. Und wer von euch der Erste sein will, soll der Sklave
von allen sein“ (Markus
10,43-44).
Am
Anfang, wenn einer anfängt zu dienen, ist das ganz leicht. Da sind
die Kinder, die sich freuen, wenn er kommt. Ihr Hort ist ein großer
Raum mit Tischen und Stühlen und Teppich und Spielzeug. Er gehört
zu dem Heim, in dem sie mit ihren Eltern auf ihrer Flucht Unterkunft
gefunden haben.
Er
macht mit ihnen, was die Kinder am liebsten machen: Herumtoben. Bei
schlechtem Wetter im Raum, bei Sonnenschein draußen
Die
Kinder hängen an ihm, oft zwei, drei von ihnen auf einmal. Er wankt
und lacht, sie klammern und lachen. Gemeinsam fallen sie um und
lachen.
Später,
irgendwann, kann es schwer werden zu dienen. Die Eltern der Kinder
schauen ihn misstrauisch an. Er hält zu ihnen Abstand. Ihr Deutsch
ist wesentlich schlechter als das der Kinder.
Aber
da sind auch welche, mit denen er sich auf eine dritte Sprache
einigen kann. Er geht mit ihnen einkaufen. Er lässt sich einladen.
Wartet mit ihnen, bis die Hühnersuppe fertig ist. Trinkt süßen,
starken Tee.
Es
ist nicht viel, was er tut. Spricht die fremde Sprache, die er gern
mag. Gibt von der Zeit, die er im Überfluss hat. Teilt etwas von dem
fremden Alltag, der so etwas bunter wird.
Da
geschieht es. Die fremden Gesichter werden vertraut. Ein Mensch und
noch ein Mensch und noch einer. Jeder mit seiner Geschichte und
seiner Sehnsucht. Und er einer von ihnen.
Jesus
sagte zu seinen Jüngern: „Auch der Menschensohn ist gekommen, um
anderen zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die
vielen Menschen“ (Markus 10,45).
Am
Anfang, so stelle ich es mir vor, ist das ganz leicht. Leicht für
Jesus. Er sieht die Männer, mit denen er im Boot unterwegs ist, und
den Sturm, der tobt. Er stillt den Sturm und besänftigt die Angst
seiner Freunde.
Er
sieht die Männer und Frauen und Kinder, die von ihm hören wollen.
Worte, die das Leben aufschließen. Er spürt ihren Hunger. Den, von
dem der Bauch grummelt. Und den, der die Seele unruhig macht. Er
nimmt, was da ist, und teilt es aus und macht sie satt an Leib und
Seele.
Später,
am Ende, kann es schwer werden. Das sieht er auch. Er sieht die
Menschen, die sich in ihre Wahrheit verbissen haben. Die ihre Hände
und Herzen verschließen und sich nichts schenken lassen, weil sie
meinen, schon alles zu haben.
Dennoch:
Er will ihnen alles schenken, was er hat. Er will sich ihnen selber
schenken. Sein Leben geben, damit sie Leben haben.
Vielleicht
können sie das nicht verstehen. Wie einer seine Aufgabe darin sehen
kann, sich selber aufzugeben. Vielleicht werden sie das aber auch
verstehen. Dass einer alles gibt, damit sie alles haben: das Leben.
Da
geschieht es, dass er erkennt: Er wird sein Leben verlieren, weil er
es verschenkt. Aber weil er es verschenkt, kann er es nicht
verlieren. Es verwandelt sich. Auf ewig.
Paulus
schreibt: Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz
Christi erfüllen (Galater 6,2).
Am
Anfang ist es ganz leicht. Die geliebte Andere auf Händen zu tragen.
Fremde Kinder auf sich klettern zu lassen.
Es
ist ganz leicht. Die Schmetterlinge im Bauch machen es leicht. Das
Lachen der Kinder macht ein Spiel daraus.
Später,
irgendwann, kann es schwer werden. Es gibt mehr zu tragen als zwei
Ringe an den Fingern. Hinter jedem ausgelassenen Spiel verbirgt sich
Lebensernst.
Dennoch:
Es bleibt ganz leicht. Wenn mich die Liebe trägt, kann ich den
anderen tragen. Immer wieder. Bis zur Silberhochzeit und weiter.
Wenn
ich das Angesicht eines Menschen sehe, kann ich mich spiegeln: Was
ich hoffe und fürchte und ersehne. Der Blick in den Spiegel des
anderen macht uns beide schön.
Es
ist eine Wiederholung. Was du so für den anderen tust, den du
liebst, und was du so für einen Menschen tust, dem du ins Angesicht
schaust – das ist eine Wiederholung.
Wir
wiederholen, was Jesus getan hat. Wir sehen, wie es dem anderen geht.
Wir spüren, was er braucht. Und suchen nach Worten, die das Leben
aufschließen. Oder teilen, was satt macht an Leib und Seele.
Wir
wiederholen, was Jesus getan hat. Und tun es nicht selber. Jesus
wiederholt sich in uns. Sein liebevoller Blick auf den Menschen.
Seine offene Hände, die austeilen. Sein fühlendes Herz, das Leben
schenkt.
Da
geschieht es: Wir schenken das Leben weiter, das Jesus uns schenkt.
Und Himmel und Erde berühren sich.
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