Fortsetzung folgt
1
Ende. Das Wort erscheint auf der
Leinwand. Einen Augenblick liegt Ruhe über dem Kinosaal. Dann kommt
Bewegung hinein. Die einen recken sich, die anderen wischen das
Popcorn vom Schoß auf den Boden, die nächsten ziehen die Jacke an.
Der Film ist vorbei, der Abspann läuft.
Aber wer schaut sich einen Abspann an? Im Fernsehen läuft da schon
längst Werbung. Kein Grund also, sitzen zu bleiben.
Das Fest ist vorbei, der Abspann läuft.
Wünsche frohe Weihnacht – gehabt zu haben. Das Papier kommt in die
grüne Tonne, die Flaschen in den Container.
War da was?Ja, da war was. Doch. Der
Film klingt nach. Die Augen blinzeln im Tageslicht außerhalb des
Kinosaals. Wie war das noch einmal mit dem Film?
So fing der Film an. Eine klassische
Beziehungskiste. Junger Mann und junge Frau. Schwer verliebt
ineinander. Er Handwerker, handfest, aufrecht, geradeheraus.
Sie: Eine, die über Wolken staunte und
an Blumen roch. Eine Künstlerin, wenn sie sich getraut und Mann sie
gelassen hätte.
Und dann der Knacks in der Beziehung.
Ihr Vertrauensbruch. Sie ist schwanger. Daran gibt es keinen Zweifel.
Von ihm kann es nicht sein. Auch das ist klar.
Da gibt es nur eine logische Folge:
Trennung. Und weil die Liebe groß und er handfest und aufrecht ist:
kein Rosenkrieg, sondern ein heimlicher Abschied mit einer stillen
Träne.
Manchmal möchte man ja aufstehen, wenn
der Film gerade begonnen hat und hinausgehen. Man weiß schon nach
der ersten Szene, wie die Geschichte endet. Die Schauspieler sind
schlecht. Draußen ist schönes Wetter.
Manchmal möchte man ja aufstehen,
mitten im Weihnachtsfest. Hinausgehen, weil man schon genug Parfum
und Socken geschenkt bekommen hat in seinem Leben. Weil man den
Rotkohl noch nie mochte.
Die Inszenierung ist altbacken. Früher
hatte sie mal einen Zauber. Aber inzwischen ist sie ganz schön
angestaubt. Und in ihrem Verlauf so durchschaubar. Alle Jahre wieder.
2
Wie ging der Film nochmal weiter?
Achja:
Eine merkwürdige Wendung nimmt der
Film. Aus der Beziehungskiste wird – ja, was wird daraus?
Auf einmal geht es um das Kind. Maria
und Josef und ihre Liebe, die rücken in den Hintergrund. Ihre Liebe
ist nur ein Wegbereiter. Oder ein Prolog. Es geht um das Kind.
Rückblenden gibt es ja oft im Film:
Das geschah, bevor geschieht, was jetzt geschieht. Dieser Film hat
eine Vorblende: Das wird geschehen, nach dem geschehen ist, was
gerade geschieht.
Das Kind Jesus also bleibt kein Kind.
Es wird erwachsen und rettet als Mann die Welt. Das kann man im
Vorgriff nur in einzelnen Szenen zeigen.
Er schenkt einem Blinden das
Augenlicht, bringt einen Lahmen zum Laufen, hilft einem Betrüger,
sein Leben zu ändern, legt sich mit den Oberen an, stirbt einen
qualvollen Tod und ist irgendwie doch nicht tot.
Man bleibt dann doch sitzen im Kino.
Der Eintritt ist bezahlt, das Popcorn auch. Man hat schon schlechtere
Filme gesehen.
Und die Geschichte packt dann ja doch.
Ein Engel erscheint einem selber ja nie. Natürlich ist das
unglaubwürdig. Aber es ist ja ein Film. Und der darf so etwas
erzählen.
Und wenn man sich auf den Film
einlässt, dann berührt einen das: Wie der Engel Josef in die Augen
schaut. Und wie der Handfeste, Aufrechte weich wird.
Diese Augenblicke kennt man ja selber.
Die Augenblicke, die berühren. Doch: Es gibt sie auch an
Weihnachten. Immer noch und immer wieder.
Weihnachten, das ist die Wiederholung
der Wiederholung, hat einer gesagt. Recht hat er: Man wiederholt
jedes Jahr all die Feste, die man in den Jahren davor gefeiert hat.
Wenn der Baum leuchtet und die
Geschenke knistern, dann steht das Kind mit leuchtenden Augen vor
einem, das man selber einst war. Und immer war Weihnachten weiß.
3
Natürlich könnte auch alles ganz
gewesen anders sein. Aber es war genau so und muss genau so sein,
behauptet der Film:
Da ist man also sitzen geblieben im
Film und hat sich in die Geschichte hineinziehen lassen. Und dann
das. Warum muss der Film sich selber erklären?
Als würde man das nicht auch so
verstehen: Dieses Kind, das zur Welt kommen soll, wird jemand
besonderes. Man hat doch Augen zu sehen und ein Herz zu fühlen.
Man ahnt schon beim Sehen, dass die
Kritiker sich darin verbeißen werden: Eine Jungfrau, die schwanger
wird. Wie hanebüchen ist das denn?
Aber, ach: Das ist doch nur eine
poetische Kleinigkeit. Das braucht man doch gar nicht, um die
Geschichte zu verstehen, um sich von dem Mann Jesus berühren zu
lassen.
Weihnachten wird ja nicht, weil man
sagt: Jetzt ist Weihnachten. Weihnachten stellt sich ein. Oder nein:
Man fällt hinein in Weihnachten.
Wenn man ein Fest feiert, muss man wohl
manches vorbereiten. Aber damit es ein schönes Fest wird, muss man
es dann auch feiern.
Vielleicht sind deshalb die schönsten
Feste immer die, bei denen man nicht Gastgeber, sondern zu Gast ist.
Wenn ich mich um nichts kümmern muss, sondern nur empfange.
Ob es einem das gelingt: Bei Gottes
Geburtstagsfeier einfach nur zu Gast zu sein und mit all den anderen
Gästen entspannt und glücklich anzustoßen?
4
Glücklich – so war das doch auch in
dem Film. So erzählte der doch seine Geschichte zu Ende:
Man war dann doch überrascht, als auf
der Leinwand das Wort Ende auftauchte. So ist das ja, wenn einen eine
Geschichte packt: Das Ende überrascht.
Nicht weil es überraschend wäre, das
Ende. Das ist durchaus zu erwarten. Ein klassisches Happy end. Josef
bleibt der handfest, Maria verträumt. Ihre Liebe bleibt kräftig und
zart.
Und ihre Liebe hat eine Zukunft. Maria
bringt das Kind zur Welt, das die Zukunft ins sich trägt. Deswegen
überrascht das Ende dann doch, im Sinne von: Es kommt überraschend.
Man hätte gern gesehen, wie es weiter
geht. Mit Maria und Josef und dem Kind. Das, was der Film als
Vorblenden gezeigt hat, das waren ja nur kurze Episoden.
Aber das ist doch ein Zeichen für die
wirklich guten Filme: Wenn man mit dem Bedürfnis aus dem Kino kommt,
dass die Geschichte weitergeht. Weil es noch viel zu erzählen gibt.
So ist Weihnachten ja nicht mit
Weihnachten zu Ende. Nach dem Kalender des Kirchenjahres sowieso
nicht. Da geht Weihnachten bis Anfang Februar.
Aber auch sonst: Das Parfum und die
Socken gehören ja nicht nur auf das Badregal und in den Schrank. Die
sollen ja im Alltag getragen werden. Und der Rotkohl schmeckt
aufgewärmt erst so richtig nach Rotkohl.
Weihnachten ragt ja im Vorfeld kräftig
in den Alltag hinein. All das Vorbereiten und Vorfreuen. Dann kann es
doch auch im Nachgang in den Alltag hineinragen.
Weil man aufräumen muss. Und weil man
sich nachfreut. Weil man noch spürt, wie einen Weihnachten berührt
hat.
So wie man einen ersten Kuss noch Tage
später auf den Lippen schmeckt. Oder wenn einen, obwohl man das Kino
längst verlassen hat, ein Film und seine Geschichte noch eine ganze
Zeit begleiten.
Als würde man das Kind, das da geboren
wurde, in dem Film, an Weihnachten, auf den Arm nehmen und in sein
eigenes Leben hineintragen. Fortsetzung folgt.
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