Albtraum oder Traum
Papst Franziskus geht in seinem weißen Gewand eine Straße entlang. Allein, den Blick zu Boden gesenkt, offenbar langsamen Schrittes. Links und rechts von ihm erheben sich Backsteingebäude. Die Sonne scheint in Bäume, die ihr grünes Blätterkleid ins Licht halten. Im Vordergrund ist eine schwarz-weiße Schranke zu sehen. Und ein hohes Gittertor, über dem ein geschmiedeter Schriftzug hängt: „Arbeit machtfrei“.
Entstanden ist das Bild am Donnerstag, als Papst Franziskus das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz besuchte.
1,1 bis 1,5 Millionen Menschen wurden im nahegelegenen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau umgebracht, die meisten von ihnen waren Juden.
Die Menschen wurden aus ganz Europa in Zügen in das KZ verschleppt. Sie kamen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, Rumänien, aus der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Ungarn.
Zug um Zug rollten sie ihrer Ausbeutung als Sklavenarbeiter und ihrer Ermordung entgegen. Zusammengepfercht in Viehwaggons. Umher gestoßen, gedemütigt von Aufseherinnen und Wächtern, die Menschenhass für ihre Pflicht hielten.
Auschwitz-Birkenau war Teil der mörderischen Antwort auf die so genannte Judenfrage. Sie sollte ihre Endlösung sein.
Der Traum, den Sacharja etwa 520 vor Christus träumt, der verspricht eine andere Antwort: Es ist die Antwort der Begeisterung. Menschen machen sich auf den Weg zu Gott.
Aus vielen Orten und Ländern ziehen sie los. Zu immer größeren Gruppen finden sie sich zusammen. Lauter kleine Zuflüsse wachsen zu einem großen Strom an, der sich in den Tempel ergießt.
Wie den Jakobsweg, den Pilgerweg nach Santiago de Compostela – so ähnlich stelle ich mir vor, was Sacharja mit seinen von Gott träumenden Augen sieht.
Jeder der vielen Menschen, die unterwegs sind, hat seinen Ort, an dem er aufgebrochen ist. Er kommt aus seiner Geschichte, aus seinen Bindungen. Er trägt sie in seinem Rucksack mit.
Jede Pilgerin und jeder Pilger geht den eigenen Weg. Der eine geht schnellen Schrittes auf möglichst gerader Strecke. Die andere nimmt Umwege in Kauf.
Aber all diese Menschen sind auf der Suche – und das verbindet sie. Wenn sie sich treffen, erzählen sie von dem Weg, den sie gegangen sind, von dem, was sie erlebt haben.
Am nächsten Morgen brechen sie wieder auf. Vielleicht gemeinsam, weil es sich zusammen besser läuft. Vielleicht jeder für sich, weil jeder eben sein Tempo hat.
Aber sie wünschen sich einen guten Weg, in der Gewissheit und der Vorfreude, dass sie sich spätestens am Ende des Weges wieder treffen.
Dann, wenn sie alle am Ziel sind, in Gottes Stadt, in seinem Haus. Dort feiern sie gemeinsam Gottesdienst. Dort freuen sich miteinander, wie nah sie Gott gekommen sind.
Das ist die Kraft, die in dem Traum steckt, den Sacharja träumt: Dass Menschen aus Judentum und Christentum und Islam mit ihrem Glauben aufbrechen, um Gott zu suchen.
Auf ihrem Pilgerweg treffen sie sich. Sie erzählen sich von ihren Erfahrungen, die sie mit Gott gemacht haben, von den Hoffnungen, die sie tragen.
Sie brechen wieder auf, jeder auf seiner Route, und wünschen sich gegenseitig einen guten Weg – in der Gewissheit und der Vorfreude, dass dieser Weg, wie gerade und krumm er auch sein mag, sie alle zu dem selben Ziel führt: An den Ort, wo sie gemeinsam Gott anbeten.
Ich fürchte, dass dieser Ort jenseits unserer Welt und unserer Zeit liegt – aber es ist wie in der Malerei: Der Fluchtpunkt eines Bildes liegt außerhalb des Randes und doch bestimmt er alles, was in dem Bild dargestellt wird.
Wenn wir die Welt und die Religionen auf diesen Fluchtpunkt hin sehen würden, dann wären sie schon verwandelt. Und sie entsprächen ein wenig mehr dem Bild, das Gott von ihr erträumt.
Entstanden ist das Bild am Donnerstag, als Papst Franziskus das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz besuchte.
1,1 bis 1,5 Millionen Menschen wurden im nahegelegenen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau umgebracht, die meisten von ihnen waren Juden.
Die Menschen wurden aus ganz Europa in Zügen in das KZ verschleppt. Sie kamen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, Rumänien, aus der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Ungarn.
Zug um Zug rollten sie ihrer Ausbeutung als Sklavenarbeiter und ihrer Ermordung entgegen. Zusammengepfercht in Viehwaggons. Umher gestoßen, gedemütigt von Aufseherinnen und Wächtern, die Menschenhass für ihre Pflicht hielten.
Auschwitz-Birkenau war Teil der mörderischen Antwort auf die so genannte Judenfrage. Sie sollte ihre Endlösung sein.
Gegen diesen Albtraum -- ein Traum aus
dem Sacharja-Buch:
„So spricht der HERR Zebaoth: Es
werden noch viele Völker kommen und Bürger vieler Städte, und die
Bürger einer Stadt werden zur andern gehen und sagen: Lasst uns
gehen, den HERRN anzuflehen und zu suchen den HERRN Zebaoth; wir
selber wollen hingehen.
So werden viele Völker, Heiden in Scharen, kommen, den HERRN Zebaoth in Jerusalem zu suchen und den HERRN anzuflehen.
So spricht der HERR Zebaoth: Zu der Zeit werden zehn Männer aus allen Sprachen der Heiden einen jüdischen Mann beim Zipfel seines Gewandes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir hören, dass Gott mit euch ist.“
(Sacharja 8,20-23)
So werden viele Völker, Heiden in Scharen, kommen, den HERRN Zebaoth in Jerusalem zu suchen und den HERRN anzuflehen.
So spricht der HERR Zebaoth: Zu der Zeit werden zehn Männer aus allen Sprachen der Heiden einen jüdischen Mann beim Zipfel seines Gewandes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir hören, dass Gott mit euch ist.“
(Sacharja 8,20-23)
Eine große, weltweite Bewegung sieht
der Prophet Sacharja da kommen: In allen Teilen der Erde brechen
Menschen auf. Wie ein universaler Pilgerweg nach Jerusalem.
Nicht mehr Feindschaft, Mauern, Terrordrohungen werden mit dieser Stadt verbunden sein, sondern Treue, Recht und Friede. Weil Gott sich dort seinem Volk neu zeigt. Und mit seinem Volk auch den anderen.
Ende aller Feindschaft. Der große Neuanfang – mit allen, die kommen wollen. Weltweit!
Menschen aus der Völkerwelt sehen das jüdische Volk ganz neu; staunend bekennen sie: „Gott ist mit Euch“ – und so geraten sie selber auf Gottes Weg.
Nicht mehr Feindschaft, Mauern, Terrordrohungen werden mit dieser Stadt verbunden sein, sondern Treue, Recht und Friede. Weil Gott sich dort seinem Volk neu zeigt. Und mit seinem Volk auch den anderen.
Ende aller Feindschaft. Der große Neuanfang – mit allen, die kommen wollen. Weltweit!
Menschen aus der Völkerwelt sehen das jüdische Volk ganz neu; staunend bekennen sie: „Gott ist mit Euch“ – und so geraten sie selber auf Gottes Weg.
Hier der Traum, den Sacharja träumt
vor zweieinhalb Jahrtausenden. Dort der Albtraum, der im dritten
Reich schreckliche Wirklichkeit wird.
Hier, im Traum, machen sich Menschen auf aus freien Stücken. Einer sagt es dem anderen, eine nimmt die andere bei der Hand: Wir wollen Gott suchen. Wir wollen zu ihm beten. Wir wollen seine Nähe finden.
Dort, im Albtraum, werden Menschen abgeholt, verschleppt. Sie werden ausgeschlossen, verraten, angespuckt. Wer nicht fliehen kann, wer kein Versteckt findet, den erwartet die Gaskammer und der Verbrennungsofen.
Hier, im Traum, ist Jerusalem das Ziel. Der Tempel, in dem Gottes Name wohnt. Wo man ihn anbeten kann. Wo der Glaube blüht. Wo Segen weiter gegeben wird. Hier warten Heil und Frieden.
Dort, im Albtraum, heißen die Orte Birkenau und Majdanek, Dachau und Oranienburg. Lager, in denen systematische Willkür herrscht. Wo mit den Menschen der Glaube an den Menschen und an Gott stirbt.
Hier, im Traum, halten sich Fremde an einem Menschen fest, der ihnen den Weg zeigt. Mit ihm wollen sie gehen. Er verspricht ihnen die Nähe Gottes. Er führt sie in den Segen.
Dort, im Albtraum, herrschen der Führer und seine Ideologen und Organisatoren des Mordens. Sie sortieren nach lebenswert und lebensunwert – und kaum einer stellt sich ihnen entgegen. Gemeinsam laufen sie in den Untergang.
Hier der Traum, dort der Albtraum. Träume, die schönen wie die schrecklichen, verarbeiten, was am Tag gewesen ist. Sie sind eine Antwort auf das gelebte Leben.
Hier, im Traum, machen sich Menschen auf aus freien Stücken. Einer sagt es dem anderen, eine nimmt die andere bei der Hand: Wir wollen Gott suchen. Wir wollen zu ihm beten. Wir wollen seine Nähe finden.
Dort, im Albtraum, werden Menschen abgeholt, verschleppt. Sie werden ausgeschlossen, verraten, angespuckt. Wer nicht fliehen kann, wer kein Versteckt findet, den erwartet die Gaskammer und der Verbrennungsofen.
Hier, im Traum, ist Jerusalem das Ziel. Der Tempel, in dem Gottes Name wohnt. Wo man ihn anbeten kann. Wo der Glaube blüht. Wo Segen weiter gegeben wird. Hier warten Heil und Frieden.
Dort, im Albtraum, heißen die Orte Birkenau und Majdanek, Dachau und Oranienburg. Lager, in denen systematische Willkür herrscht. Wo mit den Menschen der Glaube an den Menschen und an Gott stirbt.
Hier, im Traum, halten sich Fremde an einem Menschen fest, der ihnen den Weg zeigt. Mit ihm wollen sie gehen. Er verspricht ihnen die Nähe Gottes. Er führt sie in den Segen.
Dort, im Albtraum, herrschen der Führer und seine Ideologen und Organisatoren des Mordens. Sie sortieren nach lebenswert und lebensunwert – und kaum einer stellt sich ihnen entgegen. Gemeinsam laufen sie in den Untergang.
Hier der Traum, dort der Albtraum. Träume, die schönen wie die schrecklichen, verarbeiten, was am Tag gewesen ist. Sie sind eine Antwort auf das gelebte Leben.
Darin berühren sich der rassistische
Albtraum und der biblische Traum: Sie sind eine Antwort. Eine Antwort
darauf, dass es viele Menschen gibt, aber nur eine Wahrheit geben
soll. Eine Antwort darauf, dass Menschen in vielen Sprachen beten, es
aber nur einen Gott geben soll.
Die Antwort des rassistischen Albtraums ist der Mord. Wer nicht unseren Weg geht, der geht in die Irre. Wer nicht glaubt wie wir, der ist ein Ketzer. Wer nicht lebt wie wir, auf dem liegt kein Segen. Wer nicht zu uns gehört, der hat kein Recht auf Leben.
Der rassistische Albtraum ist schreckliche Wirklichkeit geworden. In der Ideologie des Dritten Reiches, in der Ermordung von Millionen von Juden.
Aber nicht erst da. Der rassistische Albtraum des christlichen Glaubens ist in den Evangelien angelegt, in den abfälligen Äußerungen über die Pharisäer und die Schriftgelehrten. In der Selbstgefälligkeit gegenüber den Heiden.
Über Jahrhunderte hat er immer wieder Opfer gefordert, angeblich im Namen Gottes. Aber wie kann ich morden und mich dabei auf den Gott der Liebe berufen?
Natürlich: Der rassistische Albtraum ist kein christlicher Alleinbesitz. Es ist eine gotteslästerliche Vorstellung, dass Gott einen mit dem Paradies belohnt, der mit einer Bombe andere Menschen und sich selber in Stück reißt.
Und kann es Gottes Wille sein, Menschen aus ihren Häusern zu treiben, ihr Land zu besiedeln oder hinter einer hohen Mauer einzuschließen?
Das versucht der rassistische Albtraum: Den anderen auszugrenzen, einzusperren, zu töten, wenn er anders lebt und glaubt als ich. Es ist der Versuch, die andere Wahrheit auszulöschen, die – nur weil es sie gibt – meine Wahrheit in Frage stellt.
Die Antwort des rassistischen Albtraums ist der Mord. Wer nicht unseren Weg geht, der geht in die Irre. Wer nicht glaubt wie wir, der ist ein Ketzer. Wer nicht lebt wie wir, auf dem liegt kein Segen. Wer nicht zu uns gehört, der hat kein Recht auf Leben.
Der rassistische Albtraum ist schreckliche Wirklichkeit geworden. In der Ideologie des Dritten Reiches, in der Ermordung von Millionen von Juden.
Aber nicht erst da. Der rassistische Albtraum des christlichen Glaubens ist in den Evangelien angelegt, in den abfälligen Äußerungen über die Pharisäer und die Schriftgelehrten. In der Selbstgefälligkeit gegenüber den Heiden.
Über Jahrhunderte hat er immer wieder Opfer gefordert, angeblich im Namen Gottes. Aber wie kann ich morden und mich dabei auf den Gott der Liebe berufen?
Natürlich: Der rassistische Albtraum ist kein christlicher Alleinbesitz. Es ist eine gotteslästerliche Vorstellung, dass Gott einen mit dem Paradies belohnt, der mit einer Bombe andere Menschen und sich selber in Stück reißt.
Und kann es Gottes Wille sein, Menschen aus ihren Häusern zu treiben, ihr Land zu besiedeln oder hinter einer hohen Mauer einzuschließen?
Das versucht der rassistische Albtraum: Den anderen auszugrenzen, einzusperren, zu töten, wenn er anders lebt und glaubt als ich. Es ist der Versuch, die andere Wahrheit auszulöschen, die – nur weil es sie gibt – meine Wahrheit in Frage stellt.
Der Traum, den Sacharja etwa 520 vor Christus träumt, der verspricht eine andere Antwort: Es ist die Antwort der Begeisterung. Menschen machen sich auf den Weg zu Gott.
Aus vielen Orten und Ländern ziehen sie los. Zu immer größeren Gruppen finden sie sich zusammen. Lauter kleine Zuflüsse wachsen zu einem großen Strom an, der sich in den Tempel ergießt.
Wie den Jakobsweg, den Pilgerweg nach Santiago de Compostela – so ähnlich stelle ich mir vor, was Sacharja mit seinen von Gott träumenden Augen sieht.
Jeder der vielen Menschen, die unterwegs sind, hat seinen Ort, an dem er aufgebrochen ist. Er kommt aus seiner Geschichte, aus seinen Bindungen. Er trägt sie in seinem Rucksack mit.
Jede Pilgerin und jeder Pilger geht den eigenen Weg. Der eine geht schnellen Schrittes auf möglichst gerader Strecke. Die andere nimmt Umwege in Kauf.
Aber all diese Menschen sind auf der Suche – und das verbindet sie. Wenn sie sich treffen, erzählen sie von dem Weg, den sie gegangen sind, von dem, was sie erlebt haben.
Am nächsten Morgen brechen sie wieder auf. Vielleicht gemeinsam, weil es sich zusammen besser läuft. Vielleicht jeder für sich, weil jeder eben sein Tempo hat.
Aber sie wünschen sich einen guten Weg, in der Gewissheit und der Vorfreude, dass sie sich spätestens am Ende des Weges wieder treffen.
Dann, wenn sie alle am Ziel sind, in Gottes Stadt, in seinem Haus. Dort feiern sie gemeinsam Gottesdienst. Dort freuen sich miteinander, wie nah sie Gott gekommen sind.
Das ist die Kraft, die in dem Traum steckt, den Sacharja träumt: Dass Menschen aus Judentum und Christentum und Islam mit ihrem Glauben aufbrechen, um Gott zu suchen.
Auf ihrem Pilgerweg treffen sie sich. Sie erzählen sich von ihren Erfahrungen, die sie mit Gott gemacht haben, von den Hoffnungen, die sie tragen.
Sie brechen wieder auf, jeder auf seiner Route, und wünschen sich gegenseitig einen guten Weg – in der Gewissheit und der Vorfreude, dass dieser Weg, wie gerade und krumm er auch sein mag, sie alle zu dem selben Ziel führt: An den Ort, wo sie gemeinsam Gott anbeten.
Ich fürchte, dass dieser Ort jenseits unserer Welt und unserer Zeit liegt – aber es ist wie in der Malerei: Der Fluchtpunkt eines Bildes liegt außerhalb des Randes und doch bestimmt er alles, was in dem Bild dargestellt wird.
Wenn wir die Welt und die Religionen auf diesen Fluchtpunkt hin sehen würden, dann wären sie schon verwandelt. Und sie entsprächen ein wenig mehr dem Bild, das Gott von ihr erträumt.
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