Die Weisen ziehen ins neue Jahr

Die drei Weisen stehen im Stall. Stille macht sich breit. Maria schweigt glücklich. Josef schweigt verlegen. Was soll er mit den Dreien reden? Er fragt er nach der Reise, was die Herren denn erlebt haben.

Das lassen sich die Drei nicht zweimal fragen. Die Reise an sich sei eigentlich ganz angenehm verlaufen, meint der eine. Hier und da habe es wohl ein paar Unannehmlichkeiten gegeben. Der Stall hier brauche den Vergleich mit der einen oder anderen Unterkunft nicht zu scheuen. Aber im Großen und Ganzen.

Auch über das Wetter habe man keinen Grund zur Klage, fügte der andere an. Wer um diese Jahreszeit reise, müsse damit rechnen, dass es Sturm gäbe und es schwer sei, mit dem Schiff überzusetzen. Aber im Großen und Ganzen.

Da sagt der Dritte im Bunde: „Hört mir auf mit dem Großen und Ganzen. „Das liegt doch im Argen, das große Ganze. Habt ihr keine Augen im Kopf?“

Augen im Kopf habe man schon, meinen die anderen beiden. Was er damit meine: Das große Ganze liege im Argen.

„Dann werde ich euch einmal erinnern, was wir unterwegs gesehen haben“, entgegnet der Dritte.

„Wisst ihr noch das eine Land, durch das wir kamen? Keine lachenden Kinder auf den Straßen, keine schwatzenden Frauen am Brunnen. Nur Männer, die Krieg führen. Alle gegen alle. Soldaten des Herrschers gegen Rebellen. Rebellen gegen selbst ernannte Gotteskrieger. Und Soldaten anderer Herrscher, die auf allen Seite mitkämpfen.“

Wo er das sage, erinnere man sich wohl, geben die beiden anderen zu. Aber man sei ja heil hindurch …

„Hindurch ist das Stichwort“, unterbricht der Dritte. „Wisst ihr noch, wie es im nächsten Land war? Da haben sie uns beschimpft und angespuckt und fast mit Steinen beworfen. Weil sie dachten, wir gehörten zu denen, die vor dem Krieg im Nachbarland fliehen. Weg mit den Fremden, haben sie gerufen. Unser Land gehört uns.“

Das stimme wohl, räumen die anderen ein. Aber das Missverständnis habe man doch schnell aufgeklärt und sei dann in Frieden seines Weges …

„Frieden ist das Stichwort“, unterbricht der Dritte. „Wisst ihr noch, wie es im dritten Land war? Wo ein friedliches Fest in einem Blutbad endete. Weil einer hinging und wahllos tötete. Wen es traf, war ihm egal, Hauptsache es traf viele.“

Das sei wohl so, gestehen die beiden anderen. Man müsse man leider immer und überall damit rechnen, dass Verrückte…

„Verrückt ist das Stichwort“, sagt der Dritte. „Wisst ihr noch, wie es uns mit diesem König erging? Der zwitscherte in kurzen Sätzen wirres Zeug. Sich selber hielt er für den Größten und alle anderen für Dummköpfe.“

Das sehe man genau so, nicken die beiden anderen. Aber man müsse doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage …

„Regt euch denn gar nichts auf?“, ruft der Dritte dazwischen. „Das muss euch doch aufregen. All der Hass, dem wir auf unserem Weg hierher begegnet sind. All die Menschen, die ihn versprühen. Und vor allem die Menschen, die ihn erleiden. Der Hass vergiftet die Welt. Der Hass zerstört Leben.“

Ganz grundsätzlich sei das wohl so, wiegen die anderen beiden ihre Häupter. Aber ganz so schwarz müsse man das nicht …

Da werden sie von dem Kind unterbrochen. Bis eben schlief es still in der Krippe. Jetzt strampelt es mit Armen und Beinen und weint.

Da sehe er, was man davon habe, wenn man sich aufrege, sagen die beiden anderen zum Dritten. Man störe nur den Schlaf der Gerechten.

„Er hat bloß Hunger“, antwortet Maria und nimmt das Kind auf den Arm und legt es an die Brust. Das Kind schnieft kurz auf und beginnt zu schmatzen und zu saugen.

Die Drei stehen verlegen um die Krippe und wissen nicht, wo hinschauen. Es sei ja auch an der Zeit aufzubrechen, sagen die anderen beiden. Der Dritte schweigt.

Josef wendet den Blick von seinem Kind zu den Männern: „Ich will dich trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ (Jahreslosung 2016 aus Jesaja 66,13), sagt er. „Gott hat das vor langem mal versprochen.“

Das sei ein schönes Wort und so wahr, wenn man sich die junge Frau und das kleine Kind anschaue. Einfach ein so friedliches …

„Trost ist schön“, unterbricht der Dritte. „Trost macht dein Herz ruhig. Er gibt dir Kraft, wenn du nicht weiter weißt. Trost zaubert ein Lächeln in die Tränen. Weil du weißt, einer ist bei dir und stillt dich und deine Sehnsucht.“

Das sehe man genau so, pflichten die anderen beiden bei.

„Aber Trost kommt immer zu spät“, antwortet der Dritte. „Trost kommt erst, wenn einer schon Angst hat und Tränen weint und am Leben verzweifelt. Trost kommt immer erst, wenn sich der Hass ausgetobt hat. Kann es nicht etwas geben, das den Menschen die Angst und die Tränen und die Verzweiflung nimmt, bevor sie ausbrechen?“

Da müsse man wohl im Paradies leben, entgegnen die anderen beiden. An einem Ort, wo es nur den Frieden gebe. So wie diesen Stall hier. Aber leider sei es ja so, dass die Welt eine andere …

„Gott hat vor langem noch mehr versprochen“, unterbricht sie Maria. „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch“ (Jahreslosung 2017 aus Ezechiel 36,26).

Auch das sei doch ein sehr schönes und hoffnungsfrohes Wort, sagen die beiden anderen. Und so wahr, wenn man sich das neue Leben auf dem Arm seiner Mutter …

„Ein neues Herz und ein neuer Geist“, unterbricht sie der Dritte. „Das ist genau das Richtige. Es kommt dem Trost zuvor. Es kommt der Angst und den Tränen und der Verzweiflung zuvor. Es kommt dem Hass zuvor.“

So sehe man das auch, pflichten die beiden anderen bei. Wenn nur die Kriegsleute und die Fremdenhasser und die Herrscher ein neues Herz und einen neuen Geist hätten. Dann wäre man einen großen Schritt …

„Nicht die anderen“, unterbricht sie der Dritte. „Fangt bei euch an. Ihr habt genug mit den Achseln gezuckt. Ihr braucht das neue Herz und den neuen Geist. Ihr müsst dem Hass entgegentreten. Ihr müsst den Hasserfüllten dieser Welt ins Wort und in den Arm fallen. Sagt ihnen: Euren Hass wollen wir nicht. Unseren Hass bekommt ihr nicht!“

Das sei ein bisschen viel von ihnen verlangt, wehren die beiden anderen ab. Sie könnten doch nicht den Frieden …

„Doch ihr könnt das“, unterbricht sie das Kind auf dem Arm seiner Mutter. „Ihr schafft das! Ich will euch segnen. Und ihr sollt ein Segen sein“ (1. Mose 12,12)

Die beiden anderen schauen verdutzt und auch der Dritte schweigt überrascht. Maria und Josef lächeln. Der Engel hatte sie vorgewarnt, dass das Kind ein besonderes sei.

Nun müsse man aber wirklich aufbrechen, finden die beiden anderen die Sprache wieder. Eilig verabschieden sie sich. Der Dritte schaut noch einmal auf das Kind, dann folgt er ihnen.

Auf ihrem Weg zurück werden die drei beim verrückten König vorbeischauen. Der vergisst daraufhin alle Angst vor dem Kind im Stall und seine Pläne, seinen Hass mit dem Tod unschuldiger Kinder zu füttern.
Die Drei werden unterwegs einen Mann treffen, der wild entschlossen mit Messer und Beil auf eine Menschenmenge zuläuft. Als er die Drei sieht, lässt er seine Waffen fallen und geht nach Hause und bestellt sein Feld.

Die Drei werden wieder durch das Land kommen, in dem sie mit Steinen beworfen wurden. Wo sie langziehen, feiern die Einheimischen mit den Geflüchteten Feste. Alle rücken zusammen und machen Platz für die neuen Bewohner.

Die Drei wird ihr Weg erneut durch das vom Krieg gebeutelte Land führen. Von einem Tag auf den anderen haben die Kriegsherren keine Lust mehr auf Kämpfe. Die Soldaten und Söldner aller Seiten umarmen sich und bauen auf, was sie zuvor zerstört haben.

Alle Menschen werden sich freuen über das neue Herz, das in ihnen schlägt, und den neuen Geist, der herrscht. Sie werden sich kurz fragen: Warum eigentlich erst jetzt? Und die drei Weisen werden lächeln und an Maria und Josef und das Kind im Stall denken.

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