Ballonfahrt


Pfingsten also, das Fest des Heiligen Geistes. Ein Rauschen und ein Stimmengewirr. Die einen sind aus dem Häuschen und loben Gott. Die anderen fragen einander: Was soll das bedeuten?

Der Apostel Petrus gibt eine Antwort. Er sagt, dass der Prophet Joel sagt, dass Gott sagt: „Das wird in den letzten Tagen geschehen. Ich werde meinen Geist über alle Menschen ausgießen.“

Auf die letzten Tage sind mittlerweile viele weitere letzte Tage gefolgt. Und was mich angeht, hoffe ich darauf, dass noch viele letzte Tage vor uns liegen.

Aber der Heilige Geist, der ist da. Ausgegossen über alle Menschen. Nur: Was einer ausgießt, das lässt sich ziemlich schlecht fassen. Das rinnt schon mal durch die Finger und versickert irgendwo.

„Der Wind weht, wo er will“, sagt Jesus mit einem anderen Bild. „Du hörst sein Rauschen. Aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht.“ So ist es auch mit dem Geist. Er ist nicht zu greifen.

Aber weder geht ein Wind einfach vorüber noch versickert das Wasser im Nirgendwo. Der eine wie das andere hinterlassen Spuren. Das Wattenmeer weiß davon. Und Menschen wissen davon.

Vielleicht hilft ein Bild, davon zu reden, was der Geist bewirkt, wie der Geist wirkt. Auch wenn der Geist womöglich jeden Rahmen sprengt und die Bilder, die wir von ihm malen, ihm nur in unserer Vorstellung ähnlich sehen.

Das Bild, das ich vor Augen habe, liegt noch ziemlich schlaff auf einer großen Wiese. Bunt ist es und aus dünnem Stoff. Seile verbinden es mit einem großen Korb, der daneben steht.

So groß ist der Korb, dass Menschen darin Platz finden. Und wenn sich der bunte Stoff mit heißer Luft füllt und immer praller und praller wird, dann schweben sie davon, die Menschen, der Korb und der Ballon.

Paulus schreibt nach Rom:

Es gibt also keine Verurteilung mehr für die, die zu Christus Jesus gehören. Das bewirkt das Gesetz, das vom Geist Gottes bestimmt ist. Es ist das Gesetz, das Leben schenkt durch die Zugehörigkeit zu Christus Jesus. Es hat dich befreit von dem alten Gesetz, das von der Sünde bestimmt ist und den Tod bringt.

Ich bin noch nie mit einem Heißluftballon gefahren. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich den Mut aufbringen würde, in den Korb zu steigen.

Das solltest du aber, höre ich Paulus sagen. Solange du auf dem Boden bleibst, hängst du im Gesetz von Sünde und Tod fest.

Ich höre nicht gern, wovon Paulus spricht. Sünde und Tod. Das ist mir zu schwer, zu unfreundlich, zu feindlich gegenüber dem Leben, das ich lebe.

Natürlich weiß ich: Das Leben ist bedroht. Der Tod bedroht das Leben. Eine ärztliche Diagnose, mit der du nicht rechnest, und das Leben neigt sich dem Ende zu. Ein Zug, in dem du wie jeden Tag fährst, entgleist und das Leben ist zu Ende.

Natürlich weiß ich auch: Das Leben ist falsch. Das, was dich reich macht, macht andere arm. Das, was du dir heute nimmst, fehlt der nächsten Generation. Und das Gute, das du willst, verkehrt sich ins Schlechte.

Aber, entgegne ich Paulus, aber es ist doch nicht alles schlecht und Sünde im Leben. Ich bin doch achtsam und bemühe mich nach Kräften. Wer wollte mich das verurteilen?

Und, entgegne ich Paulus, es ist das einzige Leben, das ich habe. Also will ich ausgehen und Freude suchen und finden. Und weil es das einzige Leben ist, ist es doch auch das bestmögliche. Oder?

Paulus schreibt nach Rom:

Aber ihr seid nicht mehr von der menschlichen Natur bestimmt, sondern vom Geist Gottes. Denn der wohnt in euch. Wer dagegen diesen Geist nicht hat, den Christus gibt, gehört auch nicht zu ihm. Wenn Christus jedoch in euch gegenwärtig ist, dann ist euer Leib zwar tot aufgrund der Sünde. Aber der Geist erfüllt euch mit Leben, weil Gott euch als gerecht angenommen hat.

Ich weiß zwar nicht, ob ich den Mut aufbrächte, in einen Heißluftballon zu steigen. Aber ich stelle es mir als ein wunderbares Gefühl vor, wenn der Heißluftballon steigt und steigt und steigt.

So ist das, höre ich Paulus sagen. Wenn du erst einmal eingestiegen bist und der Heißluftballon steigt und steigt und steigt, siehst du dein Leben ganz anders. Du löst dich von dem, was dich hält und bindet.

Ich höre wohl, was Paulus sagt, allein … Ich weiß natürlich, dass so ein Wechsel der Perspektive hilft.

In einer Mediation zum Beispiel geht es darum, dass die Streitenden lernen, die Haltung und die Wünsche des anderen wahrzunehmen. Es geht darum, so schwer es auch fällt, den eigenen Standpunkt zu verlassen und den Standpunkt des anderen einzunehmen.

Und natürlich habe ich auch diese Zeilen im Ohr: „Alle Ängste, alle Sorgen sagt man, blieben da unten verborgen und dann
würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.“

Aber, frage ich Paulus, aber wie soll das gehen?

Wäre Paulus nicht Zeltmacher, sondern Physiker, würde er mir erklären, wie ein Heißluftballon steigt: Es liegt daran, dass die Luft in dem Ballon erhitzt wird.

Diese heiße Luft hat eine geringere Dichte als die kältere, die den Ballon umgibt. Sie drängt nach oben. Sobald der Auftrieb der Luft in dem Ballon größer ist als das Gewicht des Ballons, steigt der Ballon.

So geht das auch mit dem Heiligen Geist. Er ist nichts als heiße Luft. Er ist wärmer, leichter, als die Geister, die ihn umgeben. Deshalb steigt er auf.

Sobald der Auftrieb des Heiligen Geistes in dir größer ist als das Gewicht, was du mit dir trägst, steigt dein Ballon auf und du mit ihm.

Nichts einfacher als das, höre ich Paulus sagen. Du musst gar nichts tun. Nur mutig sein und einsteigen in den Ballon und allenfalls hier und da ein wenig Ballast abwerfen.

Das macht die Sehnsucht nach einer Ballonfahrt noch größer in mir. Sie ist ja schon da. Sie regt sich jedes Mal, wenn ich einen Ballon fahren sehe. Leise schwebt er über mir dahin.

Und befeuert wird sie von den Bildern, die ich von Ballonfahrten kenne. Wie der Ballon langsam über die Landschaft gleitet und sie sich bis zum Horizont weitet.

Schön liegt sie da, die Landschaft. Das Grün ist grüner, als wenn ich in ihr stehe. Den Wald erkenne ich, wo ich sonst nur Bäume sehe.

Natürlich, auch die Löcher in der Landschaft, die fast wie Wunden klaffen, sind aus dem Ballon zu sehen. Aber sie fügen sich ein, sie gehören dazu.

So ist das auch mit dem Geist, höre ich Paulus sagen. Der zeigt dir dein Leben aus einem anderen Blickwinkel. Du erkennst, was dein Leben zusammenhält, den roten Faden, den Gott hindurch legt.

Du siehst, wie bunt dein Leben ist, wie erfüllt, wie beschenkt du bist. Du kannst dich daran gar nicht satt sehen. Immer mehr Einzelheiten erkennst du, wenn du von dort schaust.

Du siehst natürlich auch, was dir fehlt und wo du fehlst. Du siehst deine Wunden und die, die du anderen geschlagen hast. Aber sie fügen sich ein und vielleicht schließen sie sich.

Paulus schreibt nach Rom:

Es ist derselbe Geist Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Wenn dieser Geist nun in euch wohnt, dann gilt: Gott, der Christus von den Toten auferweckt hat, wird auch eurem sterblichen Leib das Leben schenken. Das geschieht durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Ich steige also ein in den Ballon und er steigt und steigt und steigt und fährt und fährt und fährt. Ich genieße die Fahrt und staune, wie fein alles aussieht und wie leicht es sich anfühlt. Nur manchmal flüstert eine Frage: Wann ist die Fahrt eigentlich zu Ende?

Mit dem Geist, höre ich Paulus sagen, mit dem Geist ist nie etwas zu Ende. Mit dem Geist geht es immer und immer und immer weiter. Der trägt dich und trägt dich und trägt dich.

Auch das versuche ich mir vorzustellen. Aber ich komme mit meinen Blicken nicht weiter als bis zum Horizont. Weil der Horizont sich ständig verschiebt, komme ich ihm nicht näher. Und ich komme erst recht nicht hinter den Horizont.

Aber dort geht es weiter, höre ich Paulus sagen. Wenn es an der Zeit ist, wirst du hinter den Horizont schauen. Auch dort trägt dich der Geist.

Aber noch ist es nicht an der Zeit. Jetzt ist an der Zeit, den Heiligen Geist zu feiern. Auch wenn die Bilder, die wir von ihm malen, ihm nur in unserer Vorstellung ähnlich sehen: Er wirkt in allen Leben und in jedem ganz besonders. 

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