Wenn du loslässt
Einen
Affen zu fangen, möchte man meinen, muss ziemlich schwer sein. Es
sei denn, man kann wie ein Affe klettern. Aber eigentlich ist es
ziemlich einfach.
Man
muss nur in einer Erdhöhle mit einem schmalen Loch Leckereien für
den Affen hineinlegen und warten. Irgendwann kommt der Affe, langt
hinein, greift die Leckerei.
Dann
braucht man nur noch hinzugehen und ihn an die Leine zu legen. Der
Affe kommt nicht auf die Idee, das, wonach er gegriffen hat,
loszulassen. Er steckt mit der Hand fest
Einem
Menschen, möchte man meinen, kann das nicht passieren. Aber Menschen
sind nun einmal mit Affen verwandt.
Ein
Kind sieht in einem Glaskrug viele Bonbons. Es greift hinein und
möchte möglichst viele herausholen. Aber die geballte Faust geht
nicht mehr durch die enge Öffnung des Kruges. Es ist gefangen von
den Bonbons.
Der
Trick gelingt auch mit Erwachsenen – zumindest im übertragenen
Sinn.
Da
ist die Spielerin, die am Roulettetisch sitzt und die weiße Kugel
mit den Augen verfolgt. Wieder und wieder setzt sie auf rot und
schwarz, gerade und ungerade. Egal wie groß oder klein der Haufen
Jetons vor ihr ist. Aufstehen kann sie nicht.
Da
ist der Vereinsvorsitzende, der seit 32 Jahren die Geschicke des
Vereins leitet. Wieder und wieder lässt er sich wählen. Weil es ja
kein anderer macht, sagt er. Weil er niemanden anderen lässt, sagen
die anderen. Abtreten kann er nicht.
Da
ist die junge Frau, die Tag und Nacht online unterwegs ist bei
Facebook, Twitter, Instagram und Co. Beständig zählt sie die
Freundinnen und Follower, die Daumen, Herzen, Smileys unter ihren
Beiträgen. Offline gehen kann sie nicht.
Da
ist der Tischlermeister, der immer in seiner Werkstatt steht. Nur
noch dieses Regal. Und nur noch dieser Schrank. Und das Angebot für
den nächsten Auftrag. Immer ist noch Arbeit da, die ihn braucht.
Abschalten kann er nicht.
Ihre
Gier hat sie gefangen. Die Spielerin, die noch einmal alles auf
schwarz setzt. Den Vereinsvorsitzenden, ohne den nichts geht. Die
Frau, die sich online verläuft. Der Tischler, der den Ausknopf bei
seinen Maschinen nicht findet.
Affenleicht
lassen wir uns fangen. Man muss nur Geld in einem Loch verstecken.
Oder Zuwendung. Oder Macht. Oder Arbeit.
Und
wir greifen hinein. Legen die Hand um das Geld. Um die Macht. Um die
Zuwendung. Um die Arbeit.
Die
Hand steckt fest. Wir können sie nicht mehr hinausziehen. Wir halten
fest, was wir wollen. Das, was wir wollen, hält uns fest.
Es
ist erstaunlich, dass sich Menschen immer wieder von ihrer Gier –
wonach auch immer – fangen lassen. Eigentlich wissen wir doch, dass
wir nicht bekommen, wonach wir gieren – sondern dass früher oder
später die Gier uns bekommt. Dass wir ihre Gefangenen werden.
Das
weiß auch schon der Johannes, der vor 1.900 Jahren an seine Gemeinde
einen Brief schreibt.
Liebt
nicht die Welt und das, was zu ihr gehört! Wer die Welt liebt, in
dessen Herz gibt es keine Liebe zum Vater.
Die
Welt ist erfüllt von der Gier der Triebe und Sinne, von der Gier der
Augen, vom Prahlen mit Geld und Macht. Das alles kommt nicht vom
Vater, sondern gehört zur Welt.
Die
Welt vergeht und mit ihr die ganze Lust und Gier. Wer aber tut, was
Gott will, wird ewig leben.
Johannes weiß um die Gier, wie wir wissen, dass sie
gefangen nimmt. Er und wir wissen, wie schwer es ist, ihr aus dem Weg
zu gehen.
Johannes
weiß auch ein Gegenmittel gegen die Gier, es ist ein einfaches
Rezept: Widersteht der Versuchung. Geht dem, was eure Gier lockt, aus
dem Weg.
Das
Kind soll von dem Glaskrug mit den Bonbons weg bleiben, die Spielerin
vom Geld, der Vorstandsvorsitzende von der Macht, die Frau von den
Likes, der Tischler von der Arbeit.
„Liebt
nicht die Welt und was zu ihr gehört“, schreibt Johannes. Nicht
die Bonbons, nicht die Macht.
Er
hat leicht schreiben. Er geht davon aus, dass es diese Welt nicht
mehr lange gibt. Dass sie gleich morgen zu Ende geht.
Die
zwei, drei Nächte, die werden wir es doch wohl schaffen, dem Geld
und den Social Media auszuweichen.
Aber:
Johannes Antwort ist nicht mehr die Antwort, die wir bald 2000 Jahre
später geben wollen, geben können. Wir rechnen nicht mehr damit,
dass morgen die Welt zu Ende geht – und darauf warten, das tun wir
schon gar nicht. Oder?
Wir
leben hier und jetzt. Und das wollen wir auch. Wir wollen heute und
in dieser Welt leben.
Wir
wollen gut leben: erfüllt, glücklich, zufrieden – oder, mit einem
altmodischen Wort: Wir wollen gesegnet leben.
Darin
allerdings sind wir uns wieder mit Johannes einig. Wir sind gesegnet,
wir können gesegnet leben
Ihr
Kinder, ich gebe es euch schriftlich: Eure Verfehlungen sind
vergeben; das verbürgt der Name Jesus Christus.
Ihr
Väter und Mütter, ich gebe es euch schriftlich: Ihr habt den
erkannt, der von Anfang an da ist.
Ihr
jungen Leute, ich gebe es euch schriftlich: Ihr habt den Teufel
besiegt.
So
habt ihr es jetzt schwarz auf weiß, ihr Kinder: Ihr habt den Vater
erkannt!
Ihr
habt es schwarz auf weiß, ihr Väter und Mütter: Ihr habt den
erkannt, der von Anfang an da ist!
Ihr
habt es schwarz auf weiß, ihr jungen Leute: Ihr seid stark, denn das
Wort Gottes ist in euch lebendig und ihr habt den Teufel besiegt!
In
seiner Sprache, die nicht mehr die unsere ist, schreibt Johannes
schwarz auf weiß an seine Gemeinde: „Ihr seid gesegnet. Ihr wisst,
dass euer Leben wertvoll ist, weil es Gott ist, der es euch schenkt.
Ihr wisst, dass ihr geliebt seid, weil ihr Menschen Gottes seid. Also
könnt ihr ganz gelassen sein.“
Wer
gelassen ist, der kann auch etwas loslassen. Aber es ist so schwer,
von dem zu lassen, nach dem eine oder eine giert. So leer droht es zu
sein, das Leben ohne Spiel und Macht, ohne Likes und Arbeit. Nichts,
das einen hält.
Natürlich:
Du kannst einen Halt zu finden. Du kannst nach dem Segen greifen, den
Gott dir verspricht.
Auch wenn es schwer ist, danach zu
greifen. Als greift man in die Luft und hat nichts in der Hand. Außer
einem Versprechen.
Mit
Händen ist es nicht zu greifen, dieses Versprechen. Du kannst den
Segen nicht in die Hand nehmen. Dein Herz musst du hinhalten, dein
Vertrauen ausbreiten. So kannst du Segen auffangen – das, was Gott
dir verspricht.
Ich
stelle mir die Spielerin vor. Sie sitzt am Roulettetisch und sieht
plötzlich, was sie vorher nicht sah: Das kleine, alltägliche Glück,
das zu Hause auf sie wartet. Ein Garten, frisches Brot, ein warmes
Bett. Sie nimmt die paar Jetons und steht auf und geht.
Und
ich stelle mir den Vorstandsvorsitzenden vor. Er nimmt auf der
Jahreshauptversammlung hinterm Vorstandstisch Platz und sieht, was er
vorher nicht sah: Menschen, die neben ihm sitzen und vor ihm. Denen
der Verein so wichtig ist wie ihm. Fröhlich hebt er die Hand, um
seinem Nachfolger die Stimme zu geben.
Und
ich sehe die junge Frau. Mit dem Blick aufs Smartphone geht sie ihren
Weg stößt plötzlich an ein weiches Hindernis. Sie schaut auf und
in Augen und ein Gesicht, die sie anstrahlen. Sie lächelt zurück
und bekommt das fremde Strahlen nicht mehr aus dem Sinne und das
eigene Lächeln bleibt auf ihrem Gesicht.
Und
ich sehe den Tischlermeister. Er steht in seiner Werkstatt und hört
durch den Lärm der Söge hindurch, was er so oft schon überhört
hat. Die Glocken von der Kirche im Nachbardorf läuten den Feierabend
ein. Und er stellt die Maschine aus und tritt vor die Werkstatt und
lauscht den Glocken, bis sie verklingen. Dann schließt er die Tür
hinter sich ab.
Das
Leben ändert sich, wenn du loslässt, wonach du gierst. Du kannst
die Hand aus dem Loch ziehen, das dich festhält. Du kannst gehen. Du
bist frei. Gott macht dich frei. Er stellt dich in seinen Segen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen