Jona träumt


Vielleicht ist es ein Traum. Vielleicht träumt Jona. Er träumt, wie Gott zu ihm spricht, eines Nachts, in einem Traum. Jona, sagt Gott, geh nach Ninive, in die große Stadt, und rede ihr ins Gewissen.

Vielleicht ist es ein Traum. So wie einer nachts von dem träumt, was ihm am Tag zu schwer ist. So wie einer mitten im Schlaf einfällt, woran sie den Tag über lieber nicht denken mag.

Jona fährt im Traum der Schrecken in alle Glieder, unruhig wälzt er sich von links nach rechts und dreht sich um sich selber. Die Aufgabe ist ihm zu groß.

Manches ist ja zu groß. So groß zumindest, dass es die Seele nicht so leicht verdauen kann. Sie kaut darauf herum. Auch mitten in der Nacht, die eigentlich tiefen Schlaf bringen soll. Aber sie bringt einen Traum.

Jona jedenfalls träumt. Er träumt, dass er sich schnell seine Sachen zusammensucht, sie hastig in einen Sack stopft. Dann läuft er los. Er rennt los. Weg von der Aufgabe, die größer ist als sein Mut.

Im Traum, da wird die Angst ja manchmal viel lebendiger als im Wachen. Da fange ich an davonzulaufen. Schnell und immer schneller. Bis es in den Seiten sticht und in der Lunge schmerzt und immer noch weiter.

Jona findet im Traum einen Hafen und ein Schiff. Das soll ihn fortbringen. Irgendwohin, ins Weite, dort, wo keine Aufgabe mehr ist und niemand, der etwas von ihm fordert. Wo es ruhig um ihn ist und einsam.

Wenn ich vor etwas fliehe, ist das Problem ja: Ich laufe nicht auf ein Ziel zu. Sondern ich laufe vor etwas weg. Ich schaue beim Laufen nicht nach vorne. Ich schaue ständig hinter mich.

Jona findet im Traum seine Zuflucht. Auf dem Schiff, so träumt er, fällt er in den Schlaf. Es ist ihm gelungen. Er hat die Aufgabe hinter sich gelassen und das, was ihm nicht behagt, abgehängt. Er hat wieder Ruhe.

Manchmal finde ich ja eine Ruhe, in der ich mich entspanne. Aber noch während sich die Anspannung löst, bin ich schon auf dem Sprung. Ich weiß: Das ist nur die Ruhe vor dem Sturm.

Jona spürt im Traum die Hand des Kapitäns auf der Schulter: „Wie kannst du schlafen? Deine Angst ist hinter dir her.“ Und da spürt Jona schon, wie alles schaukelt und ächzt und rauscht und tobt.

Ich kann mich ja oft in der Ruhe nicht lange ausruhen. Ein Wort nur von jemandem, eine Nachfrage, ein Blick – und die Unruhe in mir wacht wieder auf und die Angst und der Schmerz. Da sind wir wieder, sagen sie und winken.

Jona spürt im Traum das Toben und Stürmen und er sieht schon, wie das Schiff untergeht. Mit ihm. Und mit allen anderen, die an Bord sind. Das, wovor er wegläuft, das greift auch nach denen, mit denen er zusammen ist.

Mit dem, was mich umtreibt, bin ich ja nicht allein. Die Angst, die ich habe, die spüren ja auch die anderen. Ich stecke sie an. Mit meiner Angst. Oder mit Hilflosigkeit: Was sollen wir tun? Nichts könnt ihr tun.

Jona steht im Traum auf dem wankenden Schiff und sucht nach Halt bei den anderen. Aber im Traum sieht er mit glasklarem Schrecken: Wenn ich mich an den anderen festhalte, reiße ich sie mit in den Abgrund.

Vielleicht ist Angst ein egoistisches Gefühl. Eines, das so stark ist, dass es mich ausfüllt. Ich sehe nur mich und meine Angst. Bis ich sehe, wie sie sich im Auge meines Gegenüber spiegelt.

Jona wacht auf in seinem Traum. Er wacht auf aus der Einbildung, dass er davonlaufen kann. Was ihm nicht gefällt, wird ihn wieder einholen. Er wird die Aufgabe nicht los.

Du musst dich dem stellen, was dir Angst macht. Du kannst nicht davor weglaufen. Dieser Satz sagt sich so leicht und klingt so klug. Aber ihn zu hören und anzunehmen, das ist schwer und – macht Angst.

Jona sagt im Traum zu den anderen: Nehmt mich und werft mich ins Meer! Er gibt die Flucht auf. Er gibt überhaupt auf. Aus Einsicht? Aus Verzweiflung?

Mit der Angst kann es ein wenig sein, wie wenn ich Fangen spiele. Es gibt einen Augenblick zwischen dem Augenblick, in dem ich stehe bleibe, und dem Augenblick, in dem die Angst mich packt. Dieser Augenblick fühlt sich frei und leicht an.

Jona träumt, wie er über Bord geworfen wird. Er spürt, wie er fällt und fällt und fällt. Der ganze Traum ist ein einziges Fallen. Da ist nur der leere Raum, durch den er fällt.

Wenn mich die Angst gepackt hat und mich hält und ich ihren Atem spüre, ist es leer in mir. Kein klarer Gedanke mehr, kein Satz, der etwas klären würde. Nur wüste Stille.

Jona geht unter im Traum. Er sieht sich selber dabei zu, wie er unter Wasser mit Armen und Beinen rudert und wie er die Augen aufreißt und die Lippen aufeinander presst.

Mitten in der Angst, da stehe ich neben mir und schaue mir zu bei dem, was mit mir geschieht. Ich selber bin mir ein Fremder. Diese Angst ist nicht meine Angst.

Jona träumt von einem großen Fisch, der kommt und ihn verschluckt. Klebrig fühlt sich das an, aber es riecht warm und er fühlt sich geborgen. Es ist, wie es ist. Es ist gut so.

Und dann ist die Angst vorüber. Erschöpft bin ich. Der Angst nicht mehr auszuweichen, sich ihr zu stellen, das strengt an. Das macht die Seele müde und auch die Beine. Aber es ist, wie es ist. Es ist gut so.

Jona träumt nicht mehr. Jona schläft. Tief und fest. Der Atem geht ruhig. Die Muskeln entspannen. Die Seele holt Kraft. Sie wartet auf den Tag.

Die Angst zieht ab wie ein Gewitter. Es tropft vom Reet, es dampft aus den Fennen. Die Sonne scheint und die Vögel singen. Ich atme tief und frisch und erdig ein.

Jona wacht auf aus seinem Schlaf. Da war ein Traum in der Nacht. Die Nacht ist dem Tag gewichen. Und der Traum weicht dem Leben.

Das Leben ist so viel weiter als die Angst. Ich muss durch die hohle Gasse hindurch. Es führt kein anderer Weg dorthin. Aber wenn ich hindurch bin, öffnet es sich weit vor mir. Bis zum Horizont und darüber hinaus.

Jona schläft nicht mehr. Er ist wach und singt. Er singt sein Morgenlied. Von Gott will ich nicht lassen, denn er lässt nicht von mir. Führt mich durch alle Straßen, da ich sonst irrte sehr.

Er reicht mir seine Hand; den Abend und den Morgen tut er mich wohl versorgen, wo ich auch sei im Land. Was von der Angst bleibt, ist die Erfahrung: Gott hält mich.

Jona geht in den Tag und an das, was ihm der Tag aufgibt. Er läuft nicht davon. Gott hält ihn fest. Und er hält Gott fest. Auf ihn will ich vertrauen in meiner schweren Zeit; es kann mich nicht gereuen, er wendet alles Leid.

Ihm sei es heimgestellt; mein Leib, mein Seel, mein Leben sei Gott dem Herrn ergeben; er schaff’s, wie’s ihm gefällt! Was vor der nächsten Angst bleibt, ist Vertrauen: Der mich einmal gehalten hat, der hält mich wieder.

Jona geht an die Aufgabe und singt dabei. Das Leben ist kein Traum. Das Leben ist das Leben. Ein Geschenk. Gottes Geschenk. Lobt ihn mit Herz und Munde, welchs er uns beides schenkt; das ist ein sel’ge Stunde, darin man sein gedenkt.

Denn sonst verdirbt all Zeit, die wir zubringn auf Erden. Wir sollen selig werden und bleibn in Ewigkeit. Das Leben ist zu kurz und zu schön für die Angst. Selig, das heißt: glücklich bei Gott. Das sind wir. Denn er ist bei uns. 

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