Aber der Segen, der bleibt

Predigt zur Konfirmation am 19. September 2021 - in zwei Teilen

Der eine Teil

Stellt euch vor: Euer Fest ist vorüber. Also fast vorüber. Du sitzt an dem, was auf altmodisch Gabentisch heißt und schaust dir an, was du so geschenkt bekommen hast im langen Lauf des Tages.
Da steht auf einmal ein Engel vor dir. Du kneifst dich, aber er steht immer noch dort. Er sagt dir: Guten Tag, ich bin der Konfirmationsengel. Du hast drei Wünsche frei.
Du schaust den Engel so an, dass der denkt, du hättest ihn nicht verstanden. Also wiederholt er langsam und geduldig: Du kannst mich um drei Dinge bitten und du bekommst sie.
Jetzt bist du überzeugt, dass du nicht träumst und ihn auch richtig verstanden hast. Drei Wünsche hast du frei. Drei Dinge, um die du den Konfirmationsengel bitten kannst.
Du fängst an zu überlegen, was du dir wünschen könntest. Dein Blick fällt auf die Umschläge, die in einem Körbchen vor dir liegen und von denen du erst ein paar geöffnet hast.
Also Geld, denkst du dir, Geld brauche ich mir erst einmal nicht wünschen, obwohl man das ja immer brauchen kann. Und außerdem: Einen Engel um Geld bitten, darf man das?
Auch all das, was du dir von Geld kaufen kannst: Das iPhone, das Tablet, der Führerschein, der Roller – das wäre ja schön zu haben. Aber wäre das ein Wunsch, der dem Engel gefällt?
Womöglich kann der Engel Gedanken lesen, vielleicht ist er auch nur ungeduldig. Jedenfalls schaut er dich an und sagt: Du kannst dir alles wünschen, egal was.
Also vielleicht doch Geld? Oder lieber etwas Größeres, etwas Wichtigeres. Dir fällt ein, was die alte Nachbarin immer sagt, wenn sie dir zum Geburtstag gratuliert: Ich wünsche dir vor allem Gesundheit, das ist das wichtigste.
Aber irgendwie ist das ein Wunsch, den du jetzt gerade noch nicht so richtig hast. Außer vielleicht manchmal, wenn du nach einer langen Party zu früh aufstehen sollst.
Der Engel schaut dich an: Du musst dir übrigens nicht den Frieden auf der Welt wünschen. Du lebst hier ja in Frieden. Du kannst dir etwas ganz für dich wünschen.
Naja, denkst du, Frieden … Da war erst letztens der Streit mit der Freundin. So ganz ausgeräumt ist der immer noch nicht. Wenn ihr euch seht, ist da immer noch Stress in der Luft.
Den Stress, den gibt es immer mal wieder auch zu Hause. Aber irgendwie gehört der ja auch dazu, wenn Menschen zusammenleben und jeder seinen eigenen Willen hat.
Du siehst, wie der Engel den linken Arm hebt. Er trägt tatsächlich eine Uhr, auf die schaut er jetzt. Du sagst zu ihm: „Oh, Sie müssen wohl noch zu den anderen?“
Der Engel schaut dich an: „Erstens bin ich kein Lehrer, ich will nicht, dass du mich siezt. Zweitens bin ich dein eigener Engel nur für dich. Und drittens habe ich alle Zeit deines Lebens.“
Da sind sie doch, die drei Wünsche, denkst du. Ich wünsche mir einen, dem ich vertraue. Einen, der mich nicht bewertet nach dem, was ich tue. Einen, der mich nimmt, wie ich bin.
Ich wünsche mir einen, mit dem ich alles teilen kann. Der mit mir herumhüpft, wenn ich vor Freude ausflippe. Der Taschentücher bereit hält, wenn ich nur noch weinen kann. Der sich mit mir langweilt, wenn mir langweilig ist.
Ich wünsche mir einen, der jetzt da ist und in zehn Jahren, ob nun auf dem Festland oder auf der Insel. Auch dann noch wenn ich so alt bin, wie meine Eltern jetzt oder sogar wie die alte Nachbarin.
Der Engel vor dir nickt. Dabei hast du nicht laut gesprochen. Er sagt zu dir: „Bittet und es wird euch gegeben, sagt der Juniorchef immer. Denn wer bittet, der bekommt.“
Der Engel sieht dir in die Augen und du merkst, dass er viel weiter sieht als in deine Augen. Und dann hörst du seine Stimme in dir, was unheimlich und schön zugleich ist.
Die Stimme sagt: „Ich verspreche dir, dass ich dich freundlich anschaue, was du auch tust. Dass ich bei dir bin, was du auch erlebst. Dass ich für dich da bin, solange du willst.“
„Was für ein Segen“, denkst du und wunderst dich, dass du so altmodisch denkst. „Ja, das ist der Segen“, sagt der Konfirmationsengel zu dir, „das verspricht der Chef“.
Irgendwie hast du das heute schon mal gehört, denkst du. Du murmelst ein „Danke“ zu deinem Engel, der langsam vor deinen Augen verschwindet. Aber der Segen, der bleibt.
Stellt euch vor, so wird das sein, wenn heute Abend euer Fest zu Ende ist. Vielleicht wird es auch ganz anders sein. Aber der Segen, der bleibt.

Der andere Teil

Stellt euch vor: Euer Fest ist vorüber. Vorhin war es noch fast vorüber. Jetzt ist es ganz vorüber. Du hast alle Glückwunschkarten gelesen und ausgewertet. Du liegst im Bett und dämmerst zufrieden in einen Traum hinein.

Du siehst eine Tür im Traum. Es ist eine altmodische Tür. Eine, bei der du schon das Knarren hörst, mit dem sie sich öffnen wird.

Du weißt, dass die Tür sich öffnen wird. Gleich, bald, in deinem Traum. Irgendwer wird sie von innen aufmachen. Und dann wirst du hindurchgehen.

Du weißt im Traum auch, was du finden wirst, sobald sie jemand von der anderen Seite aus öffnet und du über die Schwelle trittst. Dort hinter der Tür wartet die Zukunft auf dich. 

Also nicht der Montagmorgen, an dem du wieder in den Alltag musst. Über die Schwelle in eine neue Woche zu gehen, das tust zu oft, um davon noch zu träumen.

Du träumst von der weiten Zukunft, die auf dich wartet, der du entgegengehst. Im Traum siehst du sie in Bildern aufblitzen. Das eine deutlicher, das andere verschwommener.

Hier und da hast du die Zukunft ja schon am Rockzipfel gepackt. Eine neue Schule. Eine Lehre. Das ist so neu noch, dass die Gegenwart fast noch Zukunft ist.

Und hier und da beginnt die Zukunft im nächsten Jahr oder auch erst in drei Jahren, wenn die Schule nicht mehr Gegenwart, sondern Vergangenheit ist.

Du siehst also im Traum, wie du morgens aufstehst und in die Werkstatt gehst oder in die Häuser zu alten Menschen. Du siehst, wie du in einer fremden Stadt zwischen Büchern sitzt.

Du siehst im Traum auch, wie du Auto fährst, über die Insel, nach Flensburg, nach Hamburg. Du siehst, wie du mit dem Rucksack auf dem Rücken auf die Fähre steigst und in die weite Welt reist und abenteuersatt zurückkommst.

Du siehst auch, dass jemand zu dir gehört, den du liebst. Das Gesicht ist leider zu undeutlich, um es zu erkennen. Aber du weißt im Traum, dass ihr zusammen glücklich seid.

Das alles siehst du. Und du weißt im Traum, dass da sogar noch viel mehr ist, als du dir jetzt vorstellen kannst. Und womöglich wird alles auch ganz anders, als du träumst.

Du siehst es also und siehst es nicht. Denn zwischen dir und dem, was du da siehst und sehen wirst, da ist ja noch diese Tür. Und im Traum weißt du, jetzt ist es an der Zeit, zu der Tür zu gehen.

Dann stehst du vor der Tür und legst die Hand erst aufs rissige Holz und dann auf die kühle Klinke. Für einen Augenblick bist du dir unsicher, ob dir wirklich jemand öffnet.

Du hebst die Hand, um anzuklopfen. Aber wie sollst du das eigentlich tun, fragst du dich im Traum: Vorsichtig mit den Fingergelenken? Mit der ganzen Faust?

Und während du dich das noch fragst, hörst du von der anderen Seite der Tür eine Stimme, die sagt: „Klopft an und es wird euch aufgemacht.“

Und die Tür geht auf, ganz leise, ohne Knarren, und durch den sich langsam öffnenden Spalt spricht die Stimme weiter: „Denn wer anklopft, dem wird aufgemacht.“

Im Traum willst du sagen: „Aber ich habe doch noch ...“, da verschlägt es dir die Sprache. Du erkennst den wieder, der dir die Tür aufmacht, bevor du anklopfen konntest.

„Bist du nicht? Du bist doch?“, stotterst du. „Genau, ich bin es,“ antwortet, der Türwächter, „ich, dein Konfirmationsengel, bei dem du vorhin drei Wünsche eingelöst hast.“

Und wieder willst du etwas sagen und kommst nicht dazu, denn du hörst wie vorhin die Stimme in dir, unheimlich und schön zugleich; die sagt: „Du bist mir willkommen!“

Du bist dir unsicher, wer da spricht. Ob es der Engel ist oder das Leben oder Gott weiß wer. Aber im Traum weißt du, dass das stimmt: Du bist willkommen.

Und du siehst noch einmal Bilder von deiner Zukunft. Und alle Bilder von der Zukunft sind in Wolken eingebettet. Der Engel sagt: „Die Wolken sind wie der Segen. Egal, was in Zukunft kommt: Du bist willkommen.“

Irgendwie hast du das heute schon mal gehört, denkst du. Du murmelst ein „Danke“ zu deinem Engel, der mit den Traumbildern langsam verschwindet. Aber der Segen, der bleibt.

Stellt euch vor, so wird das sein, wenn heute Abend euer Fest zu Ende ist. Vielleicht wird es auch ganz anders sein. Aber der Segen, der bleibt.

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