Abschied unterm Schirm

Ein Schirm – am liebsten würde ich mich jetzt hinter einem verstecken. Ich bin nicht sonderlich gut in Abschieden. Je schneller einer vorüber ist, umso lieber ist mir das. Aber diesen heute und hier habe ich mir ja selber ausgesucht. Und wer neu anfangen will, der muss sich verabschieden. Also: Verstecken hinter dem Schirm gilt nicht.
Aber wir können ja etwas anderes machen, mit dem Schirm. Ich will ihn gern über uns aufspannen. Das finde ich das Wunderbare an dem Schirm, der der Glauben ist: Er ist so weit, dass alle unter ihm Platz finden.

Eine meiner Lieblingsvorlesegeschichten erzählt davon. Sie erzählt von einer Ameise, die vor einem Regenschauer Zuflucht unter dem Schirm eines Pilzes sucht.
Da kommt ein nasser Schmetterling und die Ameise rückt und sie finden beide Platz. Genau wie die Maus, die einen Unterschlupf sucht. Ebenso der Spatz, der ganz durchgeweicht ist. Selbst der Hase kann sich bei ihnen unter dem Schirm vor dem Fuchs verstecken.
Die Ameise fragt sich am Ende, wie das wohl möglich ist. Ein Frosch weiß die Antwort. Aber er behält sie für sich und hüpft davon.

Das ist vielleicht auch besser so. Jedes Wunder löst sich in Nichts auf, wenn ich versuche, es zu erklären. Für mich ist es ein Wunder, dass Menschen, dass ihr und Sie und ich Platz finden unter diesem weiten Schirm, der unser Glauben ist.

Ich habe unsere Gemeinden so erlebt in den vergangenen sechs Jahren: als einen Schirm, unter dem wir gemeinsam sitzen.

Ich denke an die Gottesdienste, die mir besonders am Herzen liegen. Einmal in der Woche spannt sich der Schirm und ich bekomme Kraft für den Alltag.
Ob wir nun im Kirchsaal in trauter Runde zusammenkommen. Oder in Boltenhagen die Urlauber auf den Stammplätze sitzen. Oder in Bössow im Pfarrgarten feiern.
Für manche sind es vielleicht die großen Gottesdienste an Heiligabend, zu Ostern. Für andere womöglich eher die kleinen, stillen, am Samstagabend hier am Taufstein. Oder der Segen bei der Tauferinnerung oder die aufgelegten Hände am Buß- und Bettag.
Aber wo und wann spielt eigentlich kaum eine Rolle. Wenn ich mich im Gottesdienst öffnen kann, gibt es bestimmt einen kleinen Augenblick, in dem das Besondere geschieht. In dem Gott seinen Schirm über mir spannt. Und dann gehe ich in meinen Alltag mit dem Gefühl, unter seinem Segen zu gehen.

Ich denke an die vielen Glaubensgesprächen mit euch und Ihnen, die mir immer wieder das Herz weit gemacht haben. Wir haben da den Schirm unseres Glaubens aufgespannt und ihn uns gemeinsam angeschaut.
Ihr jetzigen und ehemaligen Konfirmanden habt mit Vorliebe die Löcher im Schirm entdeckt – und dann doch über seinen bunten Farben gestaunt. Das hat mir dann Freude gemacht.
In den Bibelwochen, bei den Gesprächsabenden, in den verschiedenen Kreisen haben wir versucht, Worte für unseren Glauben zu finden. Dieser Schirm, den Gott über uns spannt, der verändert immer wieder sein Aussehen. Je nachdem, wer ihn anschaut und von wo ich ihn anschaue.
Wenn ich Ihnen und euch zugehört habe, habe ich jedes Mal den Schirm neu sehen gelernt. Welch ein Reichtum, den Sie in sich tragen, den ihr mir geschenkt habt.

Welch ein Geschenk auch das Vertrauen, das ihr mir entgegengebracht habt, das Sie mich haben spüren lassen.
Liebesgeschichten habt ihr mir erzählt. Euren Stolz und euer Glück und eure Wünsche angesichts eurer Kinder habt ihr mit mir geteilt. Genauso haben Sie mir auch den Schmerz und das Leid anvertraut, die Sie zu tragen hatten. Wie einen großen Schatz will ich all die Lebensgeschichten bewahren, die Sie mir erzählt haben.
Oft genug haben mich die Gespräche tief berührt. Ich habe sie so erlebt, als hätte für den einen Augenblick Gott seinen Schirm über uns gespannt. Als hätte er uns die Zeit geschenkt, von dem zu erzählen, was wirklich bewegt und wichtig ist. Eine Zeit, gefüllt mit Segen.

Die geht jetzt zu Ende, unsere gemeinsame, mit Segen beschirmte Zeit. Immer wieder haben mich in den letzten Tagen und Wochen Menschen angesprochen. „Schade“ haben die meisten gesagt. Und „Danke“.
Das „Danke“ erwidere ich aus vollem Herzen. Sie sind mir freundlich begegnet. Ihr habt euch auf mich eingelassen. Dem „Schade“ stimme ich mit einer Träne im Knopfloch zu. Ich bin gern hier Pastor gewesen. Ich habe mich hier wohl gefühlt.
Aber wir gehen und wir wollen gehen. So nehme ich Ihr „Schade“ und euer „Danke“ als einen Schirm mit – einen Schirm freundlicher Worte und guter Wünsche, den Sie mir hinhalten, den ihr mir mitgebt.

Das ist ja das Wunderbare an diesem Schirm, der unser Glaube ist. Gott spannt ihn über uns, wo wir auch sind.
Es gibt diesen Schirm in einer Ausführung für die Sesshaften. Mit schwerem Sockel und weit ausladend. Fest im Boden verankert, dauerhaft und unverwüstlich. Es gibt ihn auch als Modell für diejenigen, die aufbrechen und unterwegs sind. Beweglich ist er und doch schützt er, robust und belastbar.
Dieser leichte Schirm, der kommt mit uns, wenn wir jetzt aufbrechen.
Wir freuen uns auf das, was auf uns wartet. Wir sind gespannt auf die Menschen, denen wir dort begegnen werden. Wir sind auch ein wenig unsicher, wie das wohl alles werden wird. Ob wir uns wohl fühlen werden, in der anderen Kirche, in dem anderen Haus.
Aber wir haben ja den Schirm bei uns. Wir vertrauen darauf, dass Gott seinen Segensschirm über uns spannt. Dann wird gut werden, was kommt.

Der andere Schirm, der schwere und große und fest verankerte, der bleibt hier. Dieser eine Schirm, der unser Glaube ist, der spannt sich weiter über euch und Ihnen, den Menschen in den drei Kirchengemeinden hier.
Unter ihm werdet ihr euch weiter treffen, werden Sie weiter zusammenkommen. Gott wird seinen Schirm aufspannen über den Gottesdiensten und den Kreisen in Klütz und Boltenhagen und Bössow.
Wo ihr einander begegnet und erzählt, spannt sich weiter Gottes Schirm. Er öffnet sich schützend und weit, wo Sie gemeinsam nach Gott fragen und suchen.
Sie alle haben Platz unter diesem Schirm. Ihr alle könnt unter dem Schirm des Höchsten sitzen. Falls da jetzt eine Ameise oder ein Schmetterling oder eine Maus oder ein Spatz oder ein Hase kommen – dann versteckt euch nicht hinter dem Schirm. Rücken Sie nur ein wenig zusammen. Der Schirm ist groß genug.

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