Wie Hingabe Leiden schafft

Wer einen Menschen an sich binden will, der sollte ihn um einen Gefallen bitten. So heißt es in Ratgebern zur Menschenführung.
Da ist etwas dran: Jemand kommt zu mir kommt und bittet mich ganz freundlich: „Kannst du mir mal einen Gefallen tun?“ Ich fühle mich geschmeichelt, dass der andere meine Hilfe möchte. Ich werde also kaum „Nein“ sagen, es sei denn, ich kann den anderen überhaupt nicht leiden. Andererseits: Ob ich gleich und rundheraus „Ja!“ sage?
Jesus jedenfalls tut es nicht. Er tut es nicht, als Johannes und Jakobus, die zwei Brüder, die mit ihm durch das Land ziehen, ihn um einen Gefallen bitten.
Aber sie fallen ja auch gleich mit der Tür ins Haus: „Jesus, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.“ Wie soll Jesus damit umgehen?
So wie ich vielleicht damit umgehe, wenn mich jemand um einen Gefallen bittet. Auch wenn ich mich noch so geschmeichelt fühle: Statt gleich Ja zu sagen, antworten ich lieber vorsichtig: „Das hängt davon ab!“
Genau das tut Jesus: „Was wollt ihr denn, dass ich für euch tue?“, fragt der die beiden.

Lass uns rechts und links neben dir sitzen, wenn du regieren wirst in deiner Herrlichkeit.
Johannes und Jakobus wollen nah bei Jesus sein. Jetzt ziehen sie mit ihm übers Land. Seine Ausstrahlung fesselt sie. Er verleiht ihnen Glaube und Liebe und Hoffnung. Dieses Gefühl wollen sie sich für immer und ewig lebendig erhalten.
Sie spüren, dass Jesus nicht nur ein besonderer Mensch ist. Sie glauben, dass er der ist, den Gott schickt. Mehr noch: Er ist der, der ihnen Gott nahe bringt. Deswegen wollen sie ganz dicht bei ihm bleiben. Jetzt und dann, wenn das Reich Gottes angebrochen ist, von dem er ihnen immer wieder erzählt.
Jetzt könnte Jesus einfach „Ja!“ sagen oder „Nein!“: „Ja, ihr könnt neben mir sitzen.“ Oder: „Nein, ihr dürft nicht neben mir sitzen!“
Aber so einfach macht Jesus sich und den beiden Männern die Sache nicht. Bevor er ihnen eine Antwort geben, müssen sie erst begreifen, was ihr Ansinnen für sie bedeutet.
Ihr wisst nicht, um was ihr da bittet!“, entgegnet er den beiden Brüdern. Wenn sie in seiner Nähe sein wollen, dann geht das nicht nur am Tisch im Reich Gottes, dann muss das auch und gerade auf dem Weg dorthin so sein.
Und dieser Weg ist schwer: „Könnt ihr den Becher austrinken, den ich austrinke? Oder könnt ihr die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?
Die beiden müssen für sich entscheiden: Wollt ihr euch zum Gespött der Menschen machen, die nicht mit Gott rechnen? Wollt ihr ertragen, dass andere Menschen euch verachten, weil ihr euer Leben nach anderen Maßstäben führt?

Johannes und Jakobus entscheiden sich: „Das können wir“. Sie sind sich sicher. Bei Jesus zu sein, ist ihnen wichtiger als alles andere. Alles würden sie tun und erdulden, um immer in seiner Nähe zu sein.
Ob sie wirklich ahnen, wie Jesus schob bald zum Mobbingopfer wird? Ob sie begriffen haben, dass Jesus bald verhaftet und verurteilt und hingerichtet werden wird? Er hat ihnen das schon schon mehrfach angekündigt. Aber haben sie es tatsächlich mit dem Herzen gehört?
Und es geht ja nicht nur um Jesus, es geht ja auch um sie: „Ihr werdet tatsächlich den Becher austrinken, den ich austrinke. Und ihr werdet die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde“, sagt Jesus ihnen.
Sie werden erleiden, was Jesus erleiden musste: Die Apostelgeschichte erzählt über Johannes, wie er zusammen mit Petrus mehrmals verhaftet, verhört und geschlagen wurde, aber immer wieder freikam. Und von Jakobus heißt es kurz und knapp, dass König Herodes ihn köpfen ließ.

„Das können wir auf uns nehmen“, sagen Johannes und Jakobus ahnungslos. Und nichts spricht mehr dagegen, dass Jesus ihnen den Gefallen tun wird, um den sie ihn bitten.
Nichts spricht mehr dagegen – außer dem, was Jesus jetzt auf ihre Bittet antwortet: „Ich habe nicht zu entscheiden, wer rechts und links von mir sitzt. Dort werden die sitzen, die Gott dafür bestimmt hat.
Johannes und Jakobus sind lange genug mit Jesus unterwegs, um begriffen zu haben, dass er von Gott kommt. Aber mindestens eine Sache müssen sie noch lernen: Bei Gott haben sie keine freie Platzwahl, da werden sie platziert.
Gott nahe zu sein, das kann sich kein Mensch verdienen. Weder durch das, was er selber tut. Noch dadurch, dass ein anderer sich für ihn einsetzt – und sei es Jesus.
Gott nahe zu sein, das ist Gnade. Das ist ein Geschenk, das nur Gott schenken kann. Jeder Mensch ist Gott immer so nah, wie Gott ihm nahe kommt.
Und so erfüllt Jesus Johannes und Jakobus den Gefallen nicht, um den sie ihn bitten. Aber er weist sie auch nicht zurück: Sie sollen bei ihm bleiben und mit ihm ziehen. Und so Gott will, werden sie ihm nah sein.

Die Geschichte könnte hier enden. Doch neben Johannes und Jakobus sind da auch noch die anderen zehn Jünger. Und die sind „unwillig“, wie es im altertümlichen Deutsch Luthers heißt. Sie ärgern sich, weil sie das Anliegen von Jakobus und Johannes so verstehen, dass die Beiden einen besonderen Platz bei Jesus suchen. Voller Eifersucht unterstellen sie ihnen, dass sie eine Sonderrolle wollen.
Sie ärgern sich, wie ich die Stirn runzele, wenn sich jemand an den Kopf einer Tafel setzt, obwohl er dort nach meinem Empfinden nicht hingehört. Der soll sich nicht so groß aufspielen. Dem stünde es viel besser, sich zu bescheiden.
Und gibt Jesus den Jüngern und mir nicht recht? Er sagt: „Wer von euch groß sein will, soll den anderen dienen. Und wer von euch der Erste sein will, soll der Sklave von allen sein.“ Also: Bleibt bescheiden, spielt euch nicht auf, dient den anderen.
Nun ist das mit dem Dienen so eine Sache. Auch das Dienen kann ein Streben nach Macht und Herrschaft sein.
Von dem ehemaligen Bischof Hanns Lilije stammt der schöne Satz: „In der Kirche wollen alle dienen – am liebsten in leitender Funktion.“ Aber warum sollte es in der Kirche anders sein als im richtigen Leben? Als irgendwo anders im Beruf oder in der Familie?
Auch wer anderen dient, will oft genug die Macht. Nur versucht er, das vor den anderen und vor sich selber zu verbergen. Mitten im Dienen strebe ich nach Macht, weil ich etwas für andere tue, um davon selber einen Gewinn zu haben. Wenn ich für das, was ich für einen anderen tun, eine Gegenleistung erwarten – dann versuche ich zu herrschen. Wirklich einem anderen zu dienen, das heißt, etwas für ihn zu tun, ohne etwas dafür zu erwarten.
Aber wer kann schon so dienen? Auch wenn ich nichts sage, im Stillen bei mir denke ich doch: Einen Dank wenigstens schuldet mir der andere. Oder, wenn ich ehrlich bin: Seine Liebe schuldet er mir für das, was ich für ihn tue.
Aber bei euch darf das nicht so sein“, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Für euch gilt etwas anderes. Ihr sollt dem anderen dienen, weil er der andere ist, der etwas von euch braucht.

Der Menschensohn“, sagt Jesus von sich, „ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen. Im Gegenteil: Er ist gekommen, um anderen zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die vielen Menschen.
Er ist der eine, der etwas für andere tut, ohne zu fragen: „Und was bringt mir das? Was bekomme ich dafür?“ Eine Liebe, die nicht berechnet und die sich nicht rechnet. Wo gibt es schon so etwas?
Die Jünger spüren bei Jesus diese bedingungslose Liebe, die sich ganz und gar an den anderen verschenkt. „Weil ich sehe, dass du meine Liebe brauchst, gebe ich sie dir. Ich schaue dir Mensch ins Angesicht und ich sehe dort deinen stillen Wunsch: Liebe mich. Und ich tue es. Weil du du bist und ich ich bin.“
Das ist alles, was es für die Liebe braucht: Ein Ich, das Liebe sucht, und das eine Du, das Liebe verschenkt. Jesus steckt voller Geschichten, die genau davon erzählen: Vom Menschen, der Liebe sucht und will. Und von Gott, der sie immer schon verschenkt und verschenkt und verschenkt.
Auch das ist bedingungslose Liebe. Sie sagt: „Nimm mich, Mensch, und mache mit mir, was du willst.“ Wenn sie doch vorsichtiger wäre, die Liebe. Wenn sie doch nur ein klein wenig misstrauischer sein könnte. Dann bliebe es ihr erspart, missbraucht und bespuckt und hingerichtet zu werden.
Aber die Liebe in Jesus muss, wie sie muss. Sie kann nur so, wie sie tut: Sich ganz und gar denen ausliefern, die sie liebt. Und damit scheitert sie. Aus der einen Passion, der Hingabe, wird die andere Passion, die Leidensgeschichte. Die Liebe wird ans Kreuz geschlagen. Dort stirbt sie einen einsamen Tod. Bis auf weiteres.

(Zum Nachlesen: Markusevangelium 10,35-45 -- www.basisbibel.de)

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