... und die Saat geht auf und wächst ...

So, Muck, du musst anfangen.
Ich?
Ja.
Die Gemeinschaft unseres heiligen Gottes sei mit eurer Liebe.
Amen. Nicht ganz richtig, Muck. Aber dennoch: Amen.
Amen.
Erinnerst du dich, Muck?
Natürlich erinnere ich mich! – Woran eigentlich?
Dass du mir letztes Jahr eine Blume geschenkt hast.
Ohja, eine, die hatte ich aus deinem Garten geklaut.
Genau. Heute habe ich dir eine mitgebracht.
Oh. Das ist aber nett. Gib her.
Bitte...
Aber: Das ist doch keine Blume. Das ist Vogelfutter.
Das ist ein Sonnenblumenkern.
Sag ich doch: Vogelfutter.
Ach, Muck. Hast du schon mal einen Sonnenblumenkern in die Erde gesteckt?
Natürlich habe ich das. Ich habe alles schon mal gemacht.
Dann weißt du auch, was dann passiert.
Natürlich weiß ich das. Ich weiß alles.
Also?
Na, du steckst den Kern in die Erde. Dann wartest du ein bisschen. Dann gehst du jeden Tag gucken. Dann siehst du irgendwann eine kleine grüne Spitze. Und dann siehst du ein kleines Blatt. Und dann wächst das und wächst.
Und am Ende?
Am Ende blüht dann die Sonnenblume.
Siehst du. Ich habe dir eine Blume mitgebracht.
Das ist wieder einer dieser Erwachsenentricks.
Wieso Trick?
Na, einem etwas für etwas verkaufen, was es nicht ist.
Ich finde, das ist kein Trick. Ich finde, das ist ein Kinderspiel.
Wieso Kinderspiel? Was für ein Kinderspiel?
Ich sehe was, was du nicht siehst“. Und das ist gelb.
Wieso? Der Sonnenblumenkern ist doch schwarz und weiß. Da ist nichts Gelbes.
Sage ich doch: Ich sehe was, was du nicht siehst. Ich sehe in dem dunkeln Kern die helle Sonnenblume, die du nicht siehst.
Wie soll ich sie denn sehen? Sie ist doch nicht da!
Du musst mit dem Herzen sehen. „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Ich bin doch kein kleiner Prinz. Ich bin ein Kindergartentroll.
Ach, Muck, heute machst du es mir aber schwer!
Ach, Pastorin Kirsten, das fällt mir aber so was von leicht, hihi!
Oh Mann! Also fang ich nochmal von vorne an.
Na, nicht ganz von vorne. Ich denke, ich habe dich schon verstanden.
Ja?
Ich soll dem Sonnenblumenkern zutrauen, dass er eine Sonnenblume wird, wenn er groß ist.
Genau.
So wie in dem Lied, das die Kinder im Kindergarten immer mal singen.
Welches Lied?
Warte, ich versuche es mal: „Alles muss klein beginnen, / lass etwas Zeit verrinnen. / Es muss nur Kraft gewinnen, / und endlich ist es groß.
Du hast es verstanden.
Sag ich doch.
Ich finde das aber ganz schön schwer.
Was?
Dem Kern zuzutrauen, dass er eine Blume wird.
Wieso denn das jetzt? Nichts einfacher als das. Du musst ihn nur in die Erde stecken und warten.
Ja, natürlich. Bei einem Sonnenblumenkern ist das so.
Bei allen Kernen und Samen ist das so. Du steckst die in die Erde und legst dich schlafen und stehst wieder auf, während die Kerne und Samen wachsen, und du weißt nicht wie.
Ja, stimmt, so ist das mit den Samen. Wobei die Bauern und Gärtnerinnen bestimmt widersprechen. Nur mit schlafen gehen und aufstehen ist es nicht getan.
Ach, das bisschen düngen und Unkraut rupfen zwischendurch.
Als hättest du jemals schon Unkraut …
Natürlich habe ich schon. Ich habe alles schon mal gemacht.
Klar. Aber das ist gar nicht der Punkt.
Sondern?
Der Sonnenblumenkern ist ja nicht der Sonnenblumenkern.
Ja, ich weiß, der ist die Sonnenblume, die schon da ist, obwohl sie noch nicht da ist.
Nein. Der ist das Reich Gottes.
Was? Was soll das nun schon wieder sein? Reich Gottes?
Das ist das, wovon Jesus redet, wenn er von Samen redet.
Und was meint er damit?
Reich Gottes, das ist, wenn Lahme gehen und Blinde sehen und Kranke gesund werden.
Ein Wunder nach dem anderen.
Ja, vielleicht. Eine Welt voller Wunder. Eine Welt, so wie Gott sie will, jedenfalls.
In der es keinen Hunger mehr gibt und keine Flüchtlinge?
Genau so eine Welt.
Oha, da hat Gott sich ja was vorgenommen.
Ja, das hat er. Wenn nur seine Menschen nicht dauernd für noch mehr Hunger und und noch mehr Flüchtlinge sorgen würden.
Dann wären wir schon einen Schritt weiter?
Wer weiß. Vielleicht schon.
Ich sehe was, was du nicht siehst!
Bitte?
Du siehst den Kern, ich sehe die Sonnenblume.
Das verstehe ich nicht.
So ist das mit Gottes Reich. Es ist schon längst da.
Auch wenn ich es nicht sehe?
Man sieht nur mit dem Herzen gut!
Du bist doch ein Troll und kein Fuchs.
Trotzdem: Du musst die Welt so sehen, als wäre sie schon so, wie Gott sie will.
Obwohl sie es nicht ist.
Noch nicht ist. Aber es fängt schon an.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel: Was macht ihr mit den Erntegaben? Nehmen die Leute die wieder mit nach Hause?
Nein, die soll die Föhrer Tafel am Montag abholen. Für Leute, die nicht so viel Geld haben, sich immer Essen zu kaufen. Viele Flüchtlinge im Augenblick übrigens.
Siehst. Und im Kindergarten und in der Schule nebenan, da sind Sarah und Xenab und Setayesh Drei Mädchen aus Afghanistan. Die wohnen seit einem Jahr nebenan. Und manchmal fühlen sie sich vielleicht sogar ein wenig zuhause.
Und du meinst, das ist das Reich Gottes.
Naja, wenn Reich Gottes heißt, dass es keinen Hunger mehr gibt und keine Flüchtlinge…
dann wächst es dort ein wenig, wo ein Hungriger etwas zu essen bekommt und ein Flüchtlingskind sich willkommen fühlt.
Ein bisschen jedenfalls. Alles muss klein beginnen.
Amen, Muck, Amen.
Und der hohe Friede Gottes bleibe in euren Herzen. Amen.

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