Brot schmeckt nach Himmel

Er hatte ihnen doch das Blaue vom Himmel versprochen. Da war es doch ihr gutes Recht, das jetzt auch einzufordern.
Von Freiheit hatte er gesprochen. Davon, dass sie niemals mehr ihren Rücken krumm machen müssten. Weder vor dem fremden Herrscher. Noch für die Arbeit, die sie wider Willen verrichten mussten
Sie hatten zu träumen angefangen. Von blühenden Landschaften, in denen es allen besser gehen würde. Sie könnten gehen, wohin sie wollten. Sie könnten sagen, was sie dachten.
Milch und Honig würden fließen. So hatte er ihnen doch den Mund wässrig gemacht. La dolce vita, ein süßes Leben sollte auf sie warten. Wenn sie mit ihm aufbrächen und ihm folgten.

Als sollte er ihnen die Sterne vom Himmel holen. Diesen ewig unzufriedenen, murrenden Menschen.
Wenn sie satt waren, saßen sie träge da und kauten wieder und ließen sich durch nichts und niemanden stören. Aber wenn sie Hunger hatten, wonach auch immer, wurden sie böse.
Böse auf ihn. Er sollte ihren Hunger stillen. Sofort und auf der Stelle. Wenn er es doch könnte. Ein für allemal. Aber er konnte es nicht. Hatte es noch nie gekonnt.
Wann würden sie das endlich einsehen? Er war nicht das, was sie in ihm sahen. Alles, was er hatte, war, was sie hatten: leere Hände.
Das einzige, was ihn von ihnen vielleicht unterschied: Er wusste, die mussten sie hinhalten, die leeren Hände. Gott hinhalten. Er würde sie füllen.
Und Gott tat das. Wachteln und Manna fielen vom Himmel, ihnen geradewegs in die ausgestreckten leeren Hände. Sie füllten die knurrenden Mägen und brachten die murrenden Stimmen zum Schweigen.
Danach konnte er es ihnen noch so oft sagen: Nicht ich habe. Gott hat. Für sie war er es, der das Wunder tat. Er machte sie satt. Er holte ihnen Wachteln und Manna vom Himmel.

Wer vom Himmel sprach, der musste sich seitdem an ihm, an Mose, messen lassen. Wer ein großer Mann sein wollte, einer, dem man glaubte – der müsste einer sein wie Mose.

Einmal fragten die Leute Jesus: »Was ist das denn für ein Zeichen, das du vollbringst? Lass es uns sehen, dann glauben wir dir! Was wirst du also tun?
Damals in der Wüste haben unsere Vorfahren das Manna gegessen. In den Heiligen Schriften steht: ›Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.‹«
Darauf sagte Jesus zu den Leuten: »Amen, amen, das sage ich euch: Mose hat euch kein Brot vom Himmel gegeben. Sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel.
Denn das Brot Gottes ist der, der vom Himmel herabkommt und dieser Welt das Leben schenkt.«
Sie baten ihn: »Herr, gib uns immer von diesem Brot!«
Jesus entgegnete: »Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern. Und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.
Aber ich habe es euch ja schon gesagt: Obwohl ihr mich gesehen habt, glaubt ihr nicht.
(Johannesevangelium 6,30-36 -- www.basisbibel.de)

Da warten sie also wieder mal auf einen, der ihnen das Blaue vom Himmel verspricht. So einer wie Mose damals soll es sein.
Einer, der von Freiheit spricht und den Weg weiß, der dorthin führt. Der sie aufrichtet und ihnen den Rücken stärkt. Der von besseren Zeiten redet. Aber auch so, dass man denkt, sie wären schon längst angebrochen.
Und dann steht er vor ihnen und er spricht mit ihnen und sie reden mit ihm – und sie erkennen ihn nicht. Was sie sehen, öffnet ihnen nicht die Augen. Blind bleiben sie, als wären sie geblendet.
Vielleicht stehen sie zu nah an der Lichtquelle. Vielleicht musst du von weiter weg auf die Zeichen sehen, um zu erkennen, wohin sie zeigen.

Da feiern zwei eine Hochzeit und versprechen ihren Gästen ein rauschendes Fest. Doch Ernüchterung droht, der Wein reicht nicht. Der Kater kommt schon vor dem Rausch.
Aber fast nur. Jesus hilft ihnen aus. Sie füllen Wasser in Krüge und als sie von dem Wasser kosten, ist es Wein. Wein im Überfluss für ein wirklich rauschendes Fest.
Kein Wunder, sondern ein Zeichen. Nicht um den Wein geht es, sondern um den, er ihn gebracht hat. Um Jesus und das Fest, das da gefeiert wird, wo er ist.
Ein Zeichen: Wo er hinkommt, bringt er das Leben mit. In berauschender Fülle, die nicht enden will.

Da stehen zwölf Männer und bestimmt auch ein paar Frauen mit ein paar Broten und ein wenig Fisch vor 5.000 Menschen. Sie sollen sie satt machen und wissen: Das schaffen wir nie. Das geht nicht.
Und dann teilen sie aus und teilen aus und teilen aus. Am Ende sind 5.000 Menschen und bestimmt noch ein paar mehr satt geworden. Und es ist immer noch etwas da.
Kein Wunder, sondern ein Zeichen. Nicht um das Brot und den Fisch geht es, sondern um die Menschen, die satt werden. Um das, was sie bekommen, um ihren Hunger zu stillen.
Ein Zeichen: Wo Jesus hinkommt, wird der Hunger gestillt. Der Hunger nach Leben. Wo Jesus ist, ist Leben, das satt macht.

Und dann hängt er am Kreuz, von Schmerz und Tod gezeichnet. Und sagt, nein: flüstert: Es ist vollbracht.
Kein Wunder, sondern ein Zeichen, auch das. Nicht um Schuld und Gehorsam geht es und den Plan hinter allem. Sondern um das Leben, das er bringt. Auch und gerade dorthin, wo der Tod am sichtbarsten und am grausamsten ist.
Ein Zeichen: Seit Jesus am Kreuz stirbt, gibt es keinen Ort mehr, an dem das Leben nicht ist. Das Leben ist überall. Jesus trägt es bis ans Kreuz und in den Tod.

Jesus verspricht nicht das Blaue vom Himmel herab. Er holt nicht die Sterne vom Himmel. Anders, mehr: Er kommt selber vom Himmel und bringt das Leben.
Er sagt: "Das Brot Gottes ist der, der vom Himmel herabkommt und dieser Welt das Leben schenkt." Er sagt: "Ich bin das Brot des Lebens."
Und weiß doch: "Obwohl ihr mich gesehen habt, glaubt ihr nicht." Als hätten sie, als würden wir die Zeichen übersehen.

Vielleicht ist das die Aufgabe: Nach den Zeichen zu suchen. Nach den Zeichen, die auf die Fülle zeigen inmitten des Hungers – und inmitten des Todes auf das Leben.
Die Zeichen, die dich und mich inmitten dieser Welt darauf stoßen, wie nah Gott ist. Auf den Korb, den Gott uns auf den Tisch stellt, gefüllt mit dem Brot des Lebens.

Da bist du gerade umgezogen und wühlst in deinen Kartons und weißt noch gar nicht, ob die Seele schon da ist, wo du jetzt bist.
Und du denkst an deine Freunde und deine Freunde denken an dich und sind auf einmal bei dir mit einem großen Topf Suppe und duftendem Brot und sagen: Wir wollten Einweihung feiern.
Und dann packt ihr erst noch drei Kisten aus und macht dann eine Flasche Sekt auf und die Suppe warm und brecht von dem Brot ab.

Da klingelt einer an deiner Tür und bettelt um etwas Geld für den Bus. Du willst die Tür eigentlich zumachen und ihn wegschicken. Aber du öffnest sie weit und bittest ihn herein.
Du schmierst ihm zwei Scheiben Brot und setzt dich mit ihm an den Tisch und er erzählt dir seine Geschichte, die vielleicht wahr ist. Am Ende seufzt er und sagt: „Das tat gut!“, und: „Gott segne dich!“, und geht.

Da nimmst du dir ein Stückchen von dem Brot und gehst zur alten Nachbarin. Die liegt in ihrem Bett, satt an Leben und schwach an Kraft. Sie will sterben und hat Angst davor.
Und du setzt dich einen Augenblick nur an ihr Bett und hältst ihre Hand und murmelst ein Vaterunser und wünschst ihr viel Kraft und sagst: Ich komme morgen wieder.

Das ist alles nicht der Himmel, noch nicht der Himmel. Aber ein wenig danach schmeckt es, das Stück Brot des Lebens.

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