Schmerzensmann - drei Annäherungen

Christus als Schmerzensmann -
Skulptur (15. Jh.) in St. Johannis auf Föhr
1 -- Leid und Trost

Was siehst du,
wenn du mich ansiehst,
fragst du mich.
Und ich schaue dich an.

Und ich sehe:
Die Wunde, die an deiner Brust klafft,
Ein schwarzes Dreieck, ein Loch,
aus dem alles Blut herausgeflossen
und in den Staub getropft ist,
über den die Soldaten marschieren
und die Schaulustigen trampeln.
Alles Leben ist dort aus dir gewichen,
als sie die Lanze hineingebohrt haben,
um ganz sicher zu sein,
dass sie am Ende sind
mit dem, was sie dir antun wollen.

Der Oberarm, dem Elle und Speiche fehlen.
Ein glatter Schnitt, irgendwann abgesägt
und in einen Ofen gesteckt, vielleicht.
Keine Hand mehr, die sich erhebt,
um sich zu wehren gegen die Schläge,
die immer noch niedergehen
und immer wieder treffen,
weil es sich nicht gehört,
dass einer nicht zurückschlägt
und erträgt und duldet,
was ihm böse Absicht zufügt.

Die Füße ohne Zehen,
abgestoßen und verloren gegangen,
irgendwann zwischen damals und heute,
ein Opfer der Zeit, die läuft und läuft,
in die Erde gefallen und verrottet,
vergessen wie das Leid,
das aber nicht vergeht,
sondern hart wird in der Erde
und klar und durchsichtig wie Bernstein,
den das Meer an Land spült.

Und ich sehe:
Leid und Schmerz,
die ausbrechen in einem Leben,
einfach so und ohne Schuld,
weil es dem Bösen so einfällt,
in einem Leben zu wuchern
und ihm das zu rauben,
was es dennoch nie bekommt,
Liebe und Freude und Zukunft,
und also schlägt es zu
und trifft immer dich.

Kraft und Mut,
dem Bösen die Brust zu bieten,
und die andere Wange,
damit es zuschlägt
und wieder zuschlägt
und doch nie gewinnen kann,
weil es nicht die Regeln bestimmt,
nach denen du spielst,
denn du tust einfach das,
worin du unschlagbar bist
und das Böse nie lernt: lieben.

Herz und Gedächtnis,
die einsammeln und aufheben,
was das Böse niederwirft und zerstreut,
weil kein Leid verloren gehen
und keine Träne ungesehen bleiben soll,
sondern aller Schmerz verwandelt wird
in einen Schatz, der ewig glänzt
und hell aufstrahlt im Dunkel,
das nach dem Leben greift.

Was siehst du,
wenn du mich ansiehst,
fragst du mich.
Und ich schaue dich an.

Und ich antworte dir:
Trost.

2 -- Leben und Zuversicht

Was siehst du,
wenn du mich ansiehst,
fragst du mich.
Und ich schaue dich an.

Und ich sehe:
Aufrecht sitzt du,
den Rücken gerade,
die Schultern ungebeugt,
keine Last, die lastet,
und wenn doch, ist sie zu leicht,
um dich niederzudrücken,
ein leichtes Joch allenfalls,
das dich an die Erde bindet,
unter das der Wind fährt,
dass du auffährst mit Flügeln wie Adler.

Die Hand, die fehlt, erhebst du,
um die Tränen abzuwischen
bei denen, die zu dir kommen,
um zu segnen,
die ihr Leid zu dir tragen,
selig sollen sie sein
und sind es schon,
wie du es bist,
weil du nicht bleibst,
wo das Böse dich haben will,
sondern aufstehst aus dem Tod.

Deinen Platz findest du
auf einem Thron im Himmel,
wo das Leben zuhause ist
und von wo es ausgeht,
um in die Erde zu fallen
und wieder in den Himmel zu wachsen
wie ein Senfkorn unter den Menschen,
die sich nach dem Reich sehnen,
wo Blinde sehen und Lahme gehen
und das Böse staunend daneben steht.

Und ich sehe:
Geist und Wille,
die in dem wohnen,
was dein Vater geschaffen hat
und von dem er gesagt hat,
dass es gut ist, sehr gut sogar.
Unbändig ist das Leben,
es tanzt mit dem Tod Tango
und lässt ihn stehen
und vertraut sich dem Wind an,
der es trägt, wohin der Geist will.

Lachen und Jubeln,
in die sich die Trauer verwandelt,
als sie deinen Atem spürt,
den Hauch, der die Tränen trocknet
und die Schleier vertreibt,
die sich auf ein Leben legen,
und die Sonne scheint wieder über ihm
und es geht aus und sucht Freude
und findet sie mitten im Leben,
dort wo eben noch Nichts war.

Sehnsucht und Erfüllung,
die zwei Seiten der Medaille Hoffnung,
die alles, was sie hat, darauf setzt,
dass das, was ist, nicht bleibt
und du noch etwas vor hast
mit der Welt und jedem Einzelnen,
wovon keiner zu träumen wagt,
der seine Träume nicht träumt
mit einem Stein unter dem Kopf
und einer Himmelsleiter vor Augen.

Was siehst du,
wenn du mich ansiehst,
fragst du mich.
Und ich schaue dich an.

Und ich antworte dir:
Zuversicht.

3 -- Ruhe und Frieden

Was siehst du,
wenn du mich ansiehst,
fragst du mich.
Und ich schaue dich an.

Und ich sehe:
Die Dornenkrone ohne Dornen,
ein Kranz, schön gebunden,
für den Friedenskönig,
der die Schmerzen besiegt hat,
indem er sie getragen hat
bis zum Ende und noch weiter,
den einen entscheidenden Schritt
zu einem neuen leichten Leben,
in dem Steine abfallen,
die auf dem Herzen liegen.

Die Augen geschlossen
vor dem, was die Welt zerreißt
und das eigene Leben,
weil die Liebe blind ist
für den Hass, der um sich greift,
und doch ganz klar sieht,
den Menschen, wie er erkannt ist,
das Gegenüber für den Einen,
an dem er Wohlgefallen hat,
weil er eins ist mit Ihm.

Das Antlitz ruhig und glatt,
weggewischt die Spuren,
die Sorgen hinein graben,
der morgige Tag ist schon da
und hat für sich selber gesorgt,
ein Tag ohne Ende und Anfang,
der Augenblick, zu dem du sagst,
verweile doch, du bist so schön,
er dauert bis an den Horizont
und reicht darüber hinaus,
du ziehst ihn an, ein Kleid aus Licht,
das dich ewig birgt.

Und ich sehe:
Einatmen und ausatmen,
früh am Morgen,
die Luft schmeckt nach Leben,
reingewaschen vom Nachtregen,
geweckt vom Lied der Vögel,
was gestern war, war gestern,
und ist über Nacht gewichen,
die Seele streckt sich zur Sonne
und steht in ihrem Glanz,
Gnade, die überfließt.

Ruhe und Stille
nach einem langen Krieg,
den andere einem erklären,
und einem beständigen Kampf
mit sich selbst ohne Sieger,
der dunkle Spiegel ist klar
und verwandelt die, die hineinschauen,
in die Schönsten im ganzen Land,
weil sie einer freundlich anschaut,
der Eine, der sie liebt.

Anfang und Ende,
die sich auf ein Gläschen treffen,
und auf der Zunge zergehen lassen,
was würzig nach Ewigkeit schmeckt,
sie sammeln die Steinchen ein,
die sie auf den Weg gestreut haben,
und fügen sie zu einem Mosaik,
begeistert von dem Kunstwerk,
das Fragment bleibt und ein Ganzes wird,
weil der Eine es so will.

Was siehst du,
wenn du mich ansiehst,
fragst du mich.
Und ich schaue dich an.

Und ich antworte dir:
Frieden.

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