Wunschvoll glücklich - ein Dialog

Eugène Burnand (1850-1921),  La prière importune.

Würdest du das tun? Ich bestimmt nicht.
Was würde ich tun?
Na, was Jesus erzählt: Irgendwann kurz nach Mitternacht bei den Nachbarn klingeln, weil du etwas zu essen brauchst für einen Besuch, der überraschend aufgetaucht ist.
Ich bräuchte das nicht zu tun. Weil bestimmt etwas im Kühlschrank wäre.
Na gut. Aber wenn ausnahmsweise mal nichts im Kühlschrank wäre. Würdest du dann?
Ich weiß nicht. Als Kind hätte ich das vielleicht getan.
Wieso als Kind?
Na, Kinder sind so unverschämt. Wenn sie etwas haben wollen, wollen sie es haben. Am liebsten gleich und sofort. Gern auch mitten in der Nacht.
Das erinnert mich an den Film, den ich Freitag mit den Kindern geschaut habe. Da will Ben, ein 13jähriger Junge, dass sein Großvater ihm eine rote Gitarre schenkt. Für 700 Dollar.
Und schenkt der Großvater sie ihm?
Natürlich nicht. „Wieso sollte ich?“, fragt er seinen Enkel. „Und Ben antwortet: Weil du mir noch nie etwas geschenkt hast.“
Ganz schön unverschämt.
Das hätte der Großvater antworten können. Hat er aber nicht.
Sei nicht so unverschämt!“ Ich weiß nicht, wie oft ich das als Kind gehört habe. Und ich fürchte, mindestens einmal zu oft sage ich das jetzt zu meinen Kindern.
Jaja, die gute Erziehung. Und dann kommt Jesus und wirft sie über den Haufen mit seiner Geschichte.
Weil da einer mitten in der Nacht den Freund aus dem Schlaf holt: „Ich brauche Brot. Jetzt.“
Ganz schön unverschämt, dieser Mann.
Aber er braucht doch das Brot für den Besuch, der ihn überrascht hat, womöglich auch schon mitten in der Nacht.
Naja, bei aller Gastfreundschaft: Der Besuch wird schon verstehen, dass er kein Brot bekommt, wenn er unerwartet und mitten in der Nacht auftaucht.
Aber das ist doch auch peinlich, meinen leeren Kühlschrank zeigen und zu sagen: „Das tut mir leid. Warum hast du nicht Bescheid gesagt, dass du kommst?“
Ja, aber noch peinlicher ist es, bei der Nachbarin zu klopfen, bis sie mir verschlafen öffnet – nein, auf diese Idee würde ich nicht kommen. So unverschämt bin ich nicht.
Was heißt das eigentlich: Unverschämt?
Unverschämt ist einer, der keine Rücksicht nimmt.
Meinst du, das ist nur Rücksicht, wenn du nachts nicht bei der Nachbarin klingelst?
Was sollte es sonst sein?
Naja, vielleicht fürchtest du ja auch, dass sie dir die Tür vor der Nase zuschlägt: „Was, mitten in der Nacht? So eine Unverschämtheit!“
Du meinst also, ich gehe nicht rüber, weil ich vermute, dass sie mich beschimpft.
Ja. Du bist nicht unverschämt. Du bist verschämt.
Und da kommt Jesus um die Ecke und erzählt mir seine Geschichte: „Sei nicht verschämt! Sei unverschämt!“
Genau. Vergiss deine gute Erziehung und sei unverschämt wie der Mann, der mitten in der Nacht seinen Freund aus dem Bett holt!“
Oder wie Ben, der von seinem Großvater verlangt, dass der ihm eine rote Gitarre für 700 Dollar schenkt, weil er sein Großvater ist.
Immerhin weiß Ben, was er will: eine rote E-Gitarre. Und der Mann weiß auch, was er braucht: ein Stück Brot für den nächtlichen Besuch.
Das wäre ein Anfang, um unverschämt zu sein: Dass ich etwas will, wirklich will. Ganz handfest, etwas, das ich anfassen kann. Oder weniger greifbar, eine Sehnsucht.
Dazu brauchst du Mut. Den Mut, dir selber einzugestehen, dass du das wirklich willst und brauchst. Nicht nur ein bisschen und vielleicht irgendwann. Sondern ganz und gar und am besten jetzt sofort.
Kein: „Ist nicht so wichtig, das kann warten!“ Sondern: „Ich brauche das! Ich will das! Jetzt!“ Einen Mut, der alle gute Erziehung beiseite schiebt.
Danach braucht es Vertrauen. Vertrauen in den, dem du deinen Wunsch anvertraust. Ben traut seinem Großvater zu, dass der ihm die Gitarre schenkt. Der Mann vertraut seinem Freund, dass der ihm mitten in der Nacht Brot gibt.
Wem vertraue ich? Wem traue ich zu, dass er mit meinem Wunsch etwas anfangen kann? Zu wem will ich gehen?
Und schließlich musst du loslassen. Wenn du den Wunsch ausgesprochen hast – dann liegt er bei dem, dem du ihn anvertraut hast.
Der Großvater ist es, der über die rote Gitarre entscheidet. Der Freund ist es, der das Brot holt – oder auch nicht.
Nicht du hast es in der Hand, was aus deinen Bitten und Wünschen wird. Die anderen haben die Erfüllung in der Hand – und damit auch dich und dein Glück.
Und am Ende erfüllt sich mein Wunsch – womöglich ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Der Großvater lehnt Bens Bitte nämlich ab. Stattdessen muss Ben sich die 700 Euro für die Gitarre bei Mr. Smith, dem Ladenbesitzer, erarbeiten. Aber so bekommt er schließlich doch die Gitarre und gewinnt einen Freund, eben Mr. Smith.
Vielleicht wird das, was du bekommst, auch größer. Der Freund holt mitten in der Nacht nicht nur Brot, sondern bringt auch Oliven und Wein.
Es kann geschehen, dass das Glück nicht dem Bild gleicht, das ich von ihm gemalt habe – aber sich dennoch so anfühlt, wie ich es erträumt habe.
Und gleichzeitig bleibt immer ein wenig Sehnsucht offen, wirst du sozusagen immer nur wunschvoll glücklich.
Seid unverschämt!“, sagt Jesus. „Wer bittet, der bekommt. Wer sucht, der findet. Wer anklopft, dem wird aufgetan.“
Womöglich hat Jesus dabei an eine rote Gitarre gedacht und an ein nächtliches Stück Brot. Womöglich hat er auch an die anderen Wünsche und Sehnsüchte gedacht, die aus dem Herzen kommen.
Seid unverschämt! Sagt laut, wonach ihr euch sehnt. Habt den Mut, es euch einzugestehen. Habt das Vertrauen, es anderen anzuvertrauen.
Habt den Mut, es Gott anzuvertrauen. Legt Gott in die Hände, was euch bewegt, was ihr euch wünscht, wonach ihr euch sehnt!
Was ihr dann bekommt, ist ein Segen. Der sieht manchmal anders aus, als ihr ihn euch vorgestellt habt. Aber er fühlt sich so an, wie Glück sich anfühlt.
Etwas erfüllt sich, wovon ich geträumt habe. Anders vielleicht, als ich es mir ausgemalt habe. Aber doch so, dass das Herz hüpft.
Etwas erfüllt sich so, dass ich wunschvoll glücklich werde.

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