Das Märchen von den Friedensucherinnen und Friedensjägern
I. Es waren einmal 17 Friedenssucherinnen und Friedensjäger, Mädchen und
Jungen. Die zogen aus in die weite Welt, die ihr Leben sein würde.
Guten Mutes zogen sie
los. Ihre Familien hatten ihnen den Rucksack gepackt. Die Väter
knurrten zwar über das, was die Jungen sich ausgedacht hatten. Die
Mütter wussten schon, was die Mädchen erst noch selber erfahren
wollten.
Der Rucksack war
dennoch prall gepackt. Mit Vertrauen, dass die Mädchen und Jungen
ihren Weg gehen würden. Mit dem Versprechen, dass da immer jemand
wäre, der einen kannte besser als du dich selbst. Und mit dem guten
Gefühl, dass es einen Ort gab, der nach Heimat roch.
Die Mädchen und Jungen
waren auch guten Mutes, weil sie gemeinsam gingen. Manchmal stritten
und zickten sie. Sie wussten, wie sie einander ärgern konnten. Hin
und wieder schrammten sie auch knapp am Verrat vorbei.
Aber wenn es darauf
ankam, waren sie verlässlich füreinander da. Die nächtliche
Herzschmerz-Nachricht wurde umgehend beantwortet. Die Spickzettel
weitergereicht. Die Grenzen des Erlaubten miteinander ausgetestet. Es
soll sogar vorgekommen sein, dass Mädchen und Junge sich küssten.
Die Mädchen und Jungen
waren schließlich guten Mutes, weil da noch der Segen war. Nicht so
richtig greifbar, wie der Gott, von dem er kam. Eine Idee vielleicht
nur, dass gut werden würde, wovon sie nicht wussten, wie es werden
würde.
Die Vorstellung, dass in
und zwischen all dem, was man sah, eine Kraft wirkte, die sah und
hörte und hielt und half.
Eine Idee vielleicht
nur, und doch fühlbar, dieser Segen. Mit blauen Zetteln in der Hand,
auf denen stand, was Menschen Gott anvertrauten. Das konnten sie auch
für sich selber tun.
Oder in diesen alten
Worten, die sie auswendig konnten und aus denen sprach, was Menschen
Gott zutrauten: „Du führst mich auf eine grüne Aue.“ „Und ob
ich schon wanderte im finstern Tal.“
Womöglich am
eindrücklichsten war der Segen in diesem Augenblick, als sie vor dem
Altar knieten und zwei Hände auf ihrem Kopf spürten: Friede sei mit
dir.
II. Also zogen die 17
Friedensjägerinnen und Friedenssucher, hinaus in die Weite ihres
Lebens. Aber was sie fanden, sah erst einmal ganz anders aus, als sie
es sich gedacht hatten.
Es sah nach Krieg aus und
Ungerechtigkeit und Hass. Menschen, die einander mit shitstorms
überfielen. Menschen, die anderen die Lebensgrundlagen abgruben.
Menschen, die sich gegenseitig das Lebensrecht absprachen und
töteten.
Was sie sahen, konnte
nicht bleiben wie es war. Also beschlossen die Jungen und Mädchen,
etwas zu ändern. Friedensmaschinen wollten sie entwerfen.
Fünf Prototypen bauten
die Jungen und Mädchen, durch die sich die Welt zum Besseren
verändern sollte. Den Friedensgenerator SBF, die Maschine zur
Seelensäuberung. Die Peace-Machine-Bobo. Die Friedens-Achterbahn.
Die Friedensmaschine 050519.
Die Maschinen sollten
dafür sorgen, dass Menschen, die unter Krieg leiden, das bekommen,
was ihnen fehlt, damit sie in Frieden leben können. Menschen, die
Krieg führen, sollten merken, was sie anderen antun, und so den Weg
in den Frieden finden.
Die Maschinen sollten
Zutaten liefern, die Frieden braucht: den Friedensstaub zum Beispiel.
Nach und nach sollte sich so der Krieg in Frieden auflösen.
Friede kommt, sagten
sie sich, wenn Menschen, die unter Krieg gelitten haben, und
Menschen, die den Krieg geführt haben, neu miteinander umgehen.
Die fünf Prototypen
hätten die Welt verändert. Wenn sie jemand in Serie gebaut und
eingesetzt hätte. Doch die selbst ernannten Profis lehnten ab: Mit
Frieden kann man keinen Gewinn machen.
III. Die 17
Friedensjägerinnen und Friedenssucher waren enttäuscht, dass sich
nichts ändern würde. Da, hörten sie von einer Insel irgendwo
jenseits des Horizontes: Cainerda.
Sie beschlossen auf die
Insel auszuwandern und packten zusammen, was sie dort brauchen
würden.
Handy und Klamotten.
Werkzeug und eine Decke. Ein Klavier und ein Kartenspiel. Ein Trecker
und ein Taschenmesser.
Als sie schließlich auf
Cainerda ankamen, waren von all diesen Dingen, mit denen sie
aufgebrochen waren, nur wenige übrig. Aber was sie hatten, reichte,
um miteinander anzufangen. Alles andere fand sich irgendwie an.
Aber ob sie auf Cainerda
tatsächlich den Frieden finden würden, den sie suchten?
Bald lernten die
Mädchen und Jungen, dass sie miteinander verabreden müssten, wie
sie zusammen leben. Sie brauchten eine Art Verfassung. Regeln für
ihre Gemeinschaft.
Zum Beispiel: Die
Männer machen den Haushalt und die Frauen gehen in die Werkstatt und
aufs Feld.
Aber es brauchte noch
mehr. Keiner tötet keinen. Jeder hat die gleichen Rechte. Einer geht
mit der anderen freundlich um. Eine respektiert den anderen. Alle
haben die Privatsphäre, die sie brauchen.
Sie schrieben das auf,
in ihre Verfassung für Cainerda. Und sie sahen sich an und wussten
auf einmal: So würden sie den Frieden finden, den zu suchen sie
ausgezogen waren: Wenn sie bei sich anfingen.
Sie sagten sich: Frieden
fängt mit uns an. Wenn wir vielleicht über das, was ein anderer
tut, die Stirn runzeln, ihn aber dennoch als Mensch respektieren.
Frieden fängt mit uns
an. Wenn wir wohl dafür sorgen wollen, dass wir bekommen, was uns
gut tut. Wir aber genauso darauf achten, dass andere haben, was sie
sich vom Leben wünschen.
Frieden fängt mit uns
an. Wenn wir das Recht auf Leben, das wir für uns in Anspruch
nehmen, auch allen anderen genauso zugestehen.
Und das, das erinnerte
sie wieder an den Segen, mit dem sie losgezogen waren, die Freunde an
der Seite, den Rucksack von der Familie auf den Schultern: Der Segen,
diese Kraft von Gott, gilt doch auch allen Menschen. Und jedem ganz
besonders.
Und so lebten sie
glücklich auf Cainerda, in dem Frieden, den sie gesucht und gefunden
hatten.
Und Gott sah sich das
alles an. Und siehe, es war gut. Sehr gut sogar.
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