Von Paulus und einem Maserati
Um gefunden zu werden, muss jemand da sein, dem ich fehle.
Da sind zum Beispiel zwei
Männer.
Der
eine, Hartmut Sprenger, läuft über den Berliner Alexanderplatz. Vor
den Bauch hat er eine tragbare Verkaufsbude geschnallt. Er verkauft
Grillwürstchen mit Senf und Ketchup und Brötchen.
Wenn
ihn nicht die Kollegin von ihrem Stammplatz verscheucht. Oder
Jugendliche ohne zu zahlen auf ihren Skateboards davongleiten.
Der
andere, Lorenz Hoffmann, sitzt im verglasten Berliner Bürohochhaus
eines Telekommunikationsunternehmens. Er schaut sich als Personalchef
Bewerbervideos an. Er soll über einen neuen Marketingleiter
entscheiden.
Wenn
denn die Mitarbeiter nur ordentliche Vorarbeit leisten würden. Oder
die Assistentin, seine heimliche Freundin, auf den Beziehungsstress
verzichten würde.
Um gefunden zu werden, muss jemand da sein, dem ich fehle.
Da ist zum Beispiel auch Paulus.
Von
ihm ist im ersten Brief an Timotheus zu lesen. Als der geschrieben
wird, ist Paulus schon vierzig Jahr tot. Dennoch steht sein Name als
Absender über dem Brief.
Weil
Paulus eine Generation nach seinem Tod zu einem Beispiel geworden
ist. Dafür etwa, wie sich einer verliert und wieder gefunden wird.
Der
Beispiel-Paulus schreibt:
Ich
danke Christus Jesus, unserem Herrn, der mir die nötige Kraft
gegeben hat. Denn er hat mir sein Vertrauen geschenkt und mich in
seinen Dienst genommen.
Dabei
war ich früher ein Gotteslästerer, habe ihn verfolgt, und mich voll
Überheblichkeit gegen ihn gestellt. Aber er hat mir sein Erbarmen
geschenkt. Denn ungläubig, wie ich war, wusste ich nicht,was ich
tat. (1 Timotheus-Brief 1,12-13.)
Was
der Brief an Timotheus deutet, das erzählt die Apostelgeschichte von
Lukas – auch sie entstand eine Generation nach dem Tod von Paulus.
Paulus
heißt da am Anfang Saulus. Er ist ein Eiferer. Einer, der es gut
findet, dass einer für den falschen Glauben mit Steinwürfen
hingerichtet wird. Einer, der sich aufmacht mit ordentlichem Auftrag
den falschen Glauben und seine Anhänger zu verfolgen.
Und
dann fällt dieser Eiferer wortwörtlich vom Pferd, so dass ihm das
Sehen, aber nicht das Hören vergeht: „Warum verfolgst du mich?
Warum verfolgst du Menschen, die mir nachfolgen?“ Das hört er
Jesus fragen, der nicht da und doch bei ihm ist.
Und
aus Saulus wird Paulus. Aus dem Verfolger wird ein Nachfolger. Einer
der nicht müde wird, zu reisen und zu reden. Um weiterzusagen, was
ihn gefunden hat.
Gnade
nennt er es. Ein Geschenk. Dass Gott nicht auf das schaut, was einer
tut oder nicht tut. Sondern dass Gott auf das schaut, was einer schon
längst ist: ein Mensch Gottes.
Der
erdachte Paulus schreibt im Brief an Timotheus:
Ja,
unser Herr schenkte uns Gnade über alle Maßen. Und mit ihr Glaube
und Liebe, die aus der Verbundenheit mit Christus Jesus erwachsen.
(1. Timotheus 1,14.)
Manchmal
finden einen Gnade und Glaube und Liebe unverhofft. So unverhofft,
dass einer vom Pferd fällt und drei Tage blind ist und dann vom
Saulus zum Paulus wird.
Manchmal
liegen Gnade und Glaube und Liebe auch schon genau vor dir und du
siehst sie nicht. Hartmut Sprenger und Lorenz Hoffmann zum Beispiel
ergeht es so.
Ihre
Geschichten sind miteinander verwoben. Hartmut Sprenger war einmal
der Marketingchef in einer Telekommunikationsfirma. Die wurde von
einer größeren Firma geschluckt; deren Personalchef: Lorenz
Hoffmann.
Einer
seiner ersten Handlungen: Per Handstreich 200 Leute entlassen, nach
Aktenlage, ohne persönliche Anschauung der Person. So trifft es auch
Hartmut Sprenger.
Ihre
Geschichten verweben sich weiter: Als Anhalter steigt Hartmut
Sprenger in das Auto von Lorenz Hoffmann, einen bronzefarben Maserati
mit 600 PS.
Lorenz
Hoffmann wird so Zeuge des Lügengestrüpps, in dem sich Hartmut
Sprenger seit fünf Jahren verliert: Der Tochter und der geschiedenen
Frau spielt er immer noch den Manager mit viel Geld und noch mehr
Terminen vor.
Und
Lorenz Hoffmann selber verläuft sich ebenfalls immer tiefer in ein
Lügengebäude: Er weiß bald, dass er Verantwortung trägt für die
Entlassung von Hartmut Sprenger – und der soll das nicht
herausbekommen. Außerdem ist der Maserati ist gar nicht seiner.
Lorenz
Hoffmann darf den Wagen nur überführen. Tatsächlich ist er ein
Geschenk für Jesus – der allerdings richtig Chesús ausgesprochen
wird: ein berühmter Fußballer.
Das
Lügengestrüpp wird immer dichter. So dicht, dass es die Brust
zusammendrückt und die Seele zerkratzt. So undurchdringlich, dass es
nur von außen aufgelöst werden kann.
Olivia,
die 16jährige Tochter von Hartmut Sprenger, und Katrin, dessen
Ex-Frau, machen sich daran.
Olivia
ist hartnäckig. Sie will nicht, dass ihr Vater sich ständig mit
Terminausreden entzieht. Er muss sofort in das teure Internat kommen
und sie von dort in die gemeinsamen Ferien abholen. Der Vater macht
sich auf den Weg – bangen Herzens, die Tochter so oder anders zu
verlieren.
Katrin
ist feinfühlig, mit dem Herzen und mit den Händen. Bei Lorenz
Hoffmann löst sie die Verspannungen. Als Physiotherapeutin die
Blockade in einem Wirbel. Und als Frau das versteinerte Herz.
Das
Lügengestrüpp beginnt sich zu lösen, weil es seine Notwendigkeit
verliert. Den Rest übernimmt der Maserati.
Erst
wird er abgeschleppt und in den Wirren danach nimmt eine Kommissarin
genüsslich die immer neuen Lügen von Hartmut Sprenger und Lorenz
Hoffmann auseinander.
Schließlich
setzt Olivia den Maserati gegen einen Baum, wütend über die längst
durchschauten Lügen des Vaters. Olivia trägt nur einen gebrochenen
Arm davon, die Lügengebäude der beiden Männer erleiden
Totalschaden – ebenso der Maserati.
Was
Jesus, nein: Chesús dazu sagt? Wir können es uns denken.
Um
gefunden zu werden, muss jemand da sein, dem ich fehle.
Für
Hartmut Sprenger und Lorenz Hoffmann, die beiden Männer aus dem Film „600 Ps für zwei“, sind es die hartnäckige Tochter und die
feinfühlige Frau.
Zwei
Menschen, die die beiden Männer festhalten – auch wenn die sich
immer wieder entziehen wollen. Zwei Menschen, die hindurch schauen
durch das, was die Männer mehr scheinen als sein wollen.
Erstaunlich,
dass den Frauen gefällt, was sie dort sehen. Zumindest erstaunlich
für die beiden Männer. Aber auch befreiend.
Der
Schein fällt von ihnen ab wie eine zu enge und zu schwere
Ritterrüstung. Mit leichtem Gepäck und einem Herz, das atmet,
machen sie sich auf den Weg in ein anderes Leben.
Auf
den Weg in ein anderes Leben machte sich auch Paulus, von dem die
Apostelgeschichte erzählt und dem der erste Timotheus-Brief auch das
in die Feder diktierte:
Das
folgende Wort ist zuverlässig und verdient vorbehaltlose
Annahme: »Christus Jesus ist in diese Welt gekommen,
um die Schuldbeladenen zu retten.« Und ich selbst bin der
erste unter ihnen.
Aber
gerade deshalb hat er mir sein Erbarmen geschenkt.
Denn Christus Jesus wollte an mir als Erstem
beispielhaft seine ganze Geduld zeigen.
Sie
gilt allen, die künftig zum Glauben an ihn kommen und
dadurch das ewige Leben empfangen. (1. Timotheus-Brief 1,15-16.)
Paulus
ist zum Beispiel geworden – eine Generation nach seinem Tod und
noch viele Generationen später. Vielleicht auch für Menschen wie
Hartmut Sprenger und Lorenz Hoffmann. Ein Beispiel dafür, wie
hartnäckig und feinfühlig der Christus einem Menschen begegnet.
Paulus
will sich ihm entziehen. Aber Christus hält ihn fest. Auch wenn
Paulus noch so eifert und wütet und sich darin verliert. Jesus
bleibt bei ihm. Geht ihm nach. Rührt ihn an.
Paulus
spürt, wie der Wirbel knackt. Ein kurzer Schmerz nur. Und alles
Wollen und Sollen und Müssen lösen sich und krachen scheppernd zu
Boden. Das Gepäck wird leicht, das Herz atmet auf. Christus hat ihn
gefunden.
Um
gefunden zu werden, muss jemand da sein, dem ich fehle.
Paulus
fehlt Christus zu seinem Glück. Jeder Mensch fehlt Gott zu seinem
Glück. Solange bis er ihn findet. Der Mensch Gott und Gott den
Menschen. Ob auf dem Pferd oder im Maserati oder auf einer Insel im
Alltag.
Das
ist für den erdachten Paulus mehr als genug Grund, Gott zu loben:
Dem
ewigen König, dem unvergänglichen, unsichtbaren und einzigen Gott
gebührt die Ehre. Er regiert in Herrlichkeit für immer und ewig.
Amen! (1. Timotheus-Brief 1,17.)
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