Alles hat seine silberne Zeit

Was feiern wir, wenn wir Silberne Konfirmation feiern?
Die grüne Konfirmation ist ein Fest auf der Schwelle. Als Konfirmand stehe ich auf der Schwelle vom Kind zum Erwachsenen. Ich werde freigemacht. Ein ganzes Leben mit all seinen Freiheiten und Träumen öffnet sich vor mir.
Was aus aus den Träumen und Freiheiten geworden ist – die Frage stelle ich mir, wenn die Goldene Konfirmation ansteht. Auch sie ist ein Fest auf der Schwelle. Ich stehe dann auf der Schwelle zum Altenteil. Und ich schaue zurück. Erkenne ich noch den Konfirmanden von damals, der ich war?
Alles hat seine Zeit, heißt es. Die grüne Konfirmation, da hat die Vorfreude auf die große Freiheit ihre Zeit. Es ist Zeit, Pläne zu schmieden. Die Goldene Konfirmation – sie ist die Zeit des Dankens für mein Leben. Es ist Zeit, Rückschau zu halten.

Und wie ist das nun mit der Silbernen Konfirmation? Was hat da seine Zeit? Ist Zeit für die Vorfreude oder für den Dank? Schmiede ich Pläne oder halte ich Rückschau?
Die Antwort finde ich für mich erst einmal in einer Gegenfrage: Habe ich mit Anfang 40 überhaupt für irgend etwas Zeit? Bei all dem, wofür ich Zeit haben muss oder will?
Ich muss Zeit haben für den Beruf, in dem ich stehe. Es ist gut, dass ich ihn habe. Von ihm lebe ich, in ihm gehe ich auch auf. Und doch: Manchmal scheint er alle Zeit zu fressen.
Dabei muss ich doch auch Zeit für die Familie haben. Für die Kinder zumal – egal ob sie mich morgens wecken; oder ob sie am liebsten morgens gar nicht aufstehen wollen. Und auch für die Eltern, die ihre Goldene Konfirmation schon hinter sich haben, beginne ich Verantwortung zu tragen.
Ich will und muss auch Zeit haben für die Ehrenämter. Manchmal sind sie mehr Amt als Freude und mehr Ärger als Ehre. Aber ich kann in ihnen auch etwas bewegen. Und das zu sehen, tut auch mir gut.
Genauso will ich Zeit haben für die Freunde. Manchmal sind es noch die alten aus der Kindheit, aber es sind auch Freundschaften neu gewachsen. Und immer bleibt es wichtig, sich mit anderen auszutauschen – und mit ihnen zu feiern.
Dann sind da noch die Hobbys, denen ich nachgehen möchte. Ein bisschen Ringreiten, ein bisschen Posaunenchor – oder einfach nur ein Buch, das mich fesselt.
Ob da wirklich alles seine Zeit hat? Vielleicht gelingt es mir, dass ich für alles seine Zeit finde. Aber bestimmt nicht für alles gleichzeitig.
Ein Mann fährt zu einem Blitzbesuch zu seinem Vater auf das Dorf, erzählt der Liedermacher Gerhard Schöne in einem Lied. Der Alte füttert grade Katzen. Der Mann sagt: „Tag! Ich bleib nicht lang, ich habe eigentlich gar keine Zeit. Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht! Ich hetze mich ab und schaffe nichts. Woher nimmst du nur deine Ruhe?“
Der Alte kratzt sich am linken Ohr und sagt: „Mein Lieber: Wenn ich schlafe, schlafe ich. Wenn ich esse, esse ich. Wenn ich arbeite, arbeite ich. Aber du: Wenn du schläfst, isst du schon. Wenn du isst, arbeitest du schon. Wenn du arbeitest, schläfst du schon.“
Alles hat seine Zeit, heißt genau das: Zu wissen, wann was dran ist. Nicht innerlich immer einen Schritt weiter zu sein. Sondern zu tun, was dran ist. Mit ganzem Herzen und ganzem Gemüt.
Sich darauf zu besinnen – und auf das, was dran ist: Dazu kann Silberne Konfirmation gut sein. Aber wem sage ich das? Vielleicht eher mir selber als euch.
Ich habe den Eindruck: Es ist eine Festlandkrankheit, dass man schon immer einen Schritt weiter ist. Insulanern ist das ohnehin klar. Ich tue, was dran ist, wenn es dran ist. Und nehme mir die Zeit, die es braucht.

Alles hat seine Zeit. Was hat bei der Silbernen Konfirmation seine Zeit? Wenn ich einmal aussteige aus dem Alltag und dem, was er an unterschiedlichen Zeiten mit sich führt?
Vielleicht hat ein bisschen von der Goldenen Konfirmation heute seine Zeit: Auf meinem Weg durch das Leben halte ich für einen Augenblick an und und schaue zurück: Wer war ich eigentlich damals, 1988? Welche Träume träumte ich von dem Leben? Was ist aus mir seitdem geworden?
Ich werde hoffentlich nicht wie der Mann aus der Sparkassenwerbung die Bilder zücken von meinem Haus, meinem Auto, meinem Boot. Aber dennoch: Ich darf stolz sein. Ich habe in meinem Leben Ziele erreicht, die ich mir gesetzt habe. Ich habe erlebt, was mich ausfüllt.
Zur Rückschau gehört aber auch, dass ich mir gegenüber ehrlich bin. Da sind auch Träume, die ich aufgeben musste. Und zumindest von einem Traum weiß ich, der unter Schmerzen zerbrochen ist.
Bei der Silbernen Konfirmation hat aber auch ein bisschen von der grünen Konfirmation seine Zeit. Ich will mich freuen auf das, was jetzt noch kommt. Ich kann einmal aus dem Grau des Alltags auftauchen und nach vorne schauen, wo das Ende des Regenbogens mich lockt.
Ich will wieder lernen, wie ein Konfirmand von dem zu träumen, was alles möglich ist. Ich weiß jetzt zwar, dass nicht alle Träume wahr werden. Aber ich weiß auch, dass sie mehr sind als Schäume. Sie treiben mich an, zum Ende des Regenbogens aufzubrechen.
Ich weiß, dass ich ihn nicht erreichen werde. Aber ich will es trotzdem versuchen. So viel Verrücktheit erlaube ich mir.

Ich finde das das Verlockende an der Silbernen Konfirmation: Ich halte für einen Augenblick die Zeit an. Ich schaue auf die Zeit, die vergangen ist, und staune über das, was in meinem Leben bisher alles seine Zeit hatte. Und ich schaue auf die Zeit, die auf mich zukommt – und all das, was sie mir bringen mag.
Beides tue ich hier im Friesendom – und nicht nur da – vor Gott: Ich danke Gott für das, was meine Zeit an Schönem ausfüllte. Für die Zeiten, die er mir geschenkt hat. Und ich kann ihm auch die Zeiten zurückgeben, die mir nicht gefallen haben.
Ich bitte Gott auch für die Zeit, die kommt. Ich bitte ihn um seinen Segen, der mich in allen Zeiten begleitet. Ich tue das ein bisschen mit Furcht, weil ich nicht weiß, was kommt. Und ich tue es mit Vorfreude, weil ich auf das hoffe, was kommt.

Ich kann danken und bitten, weil ich darauf vertraue, dass meine Zeit in Gottes Händen steht.
Das heißt: Meine Zeit kommt von Gott. Sie ist nicht das Chaos, das über mich hereinbricht. Sondern Sekunde für Sekunde, Jahr für Jahr kommt sie auf mich zu, weil Gott sie mir zum Leben schenkt. Alles in der Zeit hat seine Zeit, Gottes Zeit.
Meine Zeit steht in Gottes Händen, das heißt auch: Sie ist bei ihm aufgehoben. Die Zeit, die war, geht nicht verloren. Auch wenn es mir vorkommt, als würde sie verfliegen und sich von einem Augenblick auf den anderen in nichts auflösen: Meine Zeit ist ein Schatz, den Gott für mich bewahrt. Selbst das, was ich vergesse, hebt Gott auf, damit ich mich später erinnere.
Meine Zeit steht in Gottes Händen, das heißt schließlich: Manchmal steht die Zeit still. Gott hält sie für einen Augenblick an – für die Stunde eines Gottesdienst etwa oder auch nur für ein Gebet am Morgen oder am Abend. Er hält sie an, damit ich Zeit habe, um innezuhalten. Damit ich mich erinnere, woher ich komme, und mich darauf besinne, wohin ich gehe.
Das zu tun – dafür schenkt die Silberne Konfirmation Zeit, deshalb feiern wir sie.

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