Muck feiert Erntedank

Im Erntedankgottesdienst sitzt plötzlich Muck, die Zwerg-Handpuppe aus dem Kindergarten, auf der Kanzel.

Pastorin: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Muck: Mit dir auch.

Wer war das? Ach. Du, Muck. Was machst du denn hier?

Och, der Kindergarten macht jetzt drei Wochen Ferien. Drei Wochen so ganz ohne Kinder, das finde ich doof. Da habe ich Eiken gefragt, ob ich auch Ferien machen darf. Und sie hat ja gesagt. Also bin ich jetzt hier.

Und was machst du ausgerechnet hier, im Gottesdienst, auf der Kanzel?

Weil: Ich habe noch nie einen Trachtentanz gesehen. Und von hier oben kann ich am besten sehen.

Wegen des Trachtentanzes. Na klasse.

Und weil es hier in der Kirche so schön ist. Immer, wenn mich ein Kind mit zur Kinderkirche nimmt. Heute ganz besonders.

Da bin ich ja ein bisschen erleichtert. Ich dachte schon …

Und was machst du jetzt? Noch eine Geschichte erzählen?

Nee, ich wollte predigen.

Predigen? Was ist denn das?

Ich wollte etwas über die Geschichte erzählen, die ich erzählt habe.

Das finde ich komisch. Erst eine Geschichte erzählen. Und dann über die Geschichte erzählen. Das ist doch doppelt gemoppelt.

Deshalb sind die Leute gekommen. Die wollen nicht nur eine Geschichte hören. Die wollen auch über die Geschichte nachdenken.

Und wenn du jetzt über die Geschichte erzählst, dann sagst du den Leuten, was sie nachdenken sollen?

Ich sage den Leuten, was ich über die Geschichte denke. Und darüber denken dann die Leute nach.

Aha, dann fang mal an. Ich will auch nachdenken.

Dann fang ich also mal an. – Liebe Gemeinde, „seht und schmeckt, wie freundlich unser Gott ist.“ Ich finde, das ist die passende Überschrift für den Tag heute und für unseren Gottesdienst.

Das finde ich auch. Wie die Äpfel glänzen. Wie das Brot duftet, wie die Trachten...

Muck.

Ja?

Muck, weißt du, predigen heißt: Ich rede – und du und die anderen hören still zu und denken dabei über das nach, was ich sage.

Ach so. Dann bin ich jetzt still.

Aber was du gesagt hast, wollte ich auch sagen.

Siehst.

Ich wollte sagen, dass es gut ist, dass es den Erntedanktag gibt. Ein Tag, der sehen und schmecken lässt, wie freundlich unser Gott ist. Mit den glänzenden Äpfeln hier vorne, dem Brot, das duftet: Erntedank ist ein Tag, an dem mir so richtig ins Auge fällt, wie schön die Welt ist. Ein Tag, an dem ich mir auf der Zunge zergehen lassen kann, was die Erde …

Und wenn ich das tue, dann weiß ich: Gott ist ganz schön freundlich zu uns.

Muck.

'tschuldigung. Aber ich kann nicht leise nachdenken. Ich muss laut sagen, was ich denke.

Und ich kann nicht … Obwohl: Du hast ja schon wieder gesagt, was ich sagen wollte.

Echt?

Echt!

Siehst du. Ich kann gut nachdenken. Aber nur laut.

Deswegen machen wir das jetzt anders. Ich erzähle, was ich denke – und du sagst, was du darüber denkst.

Und die anderen hören zu?

Und die anderen hören zu! Gut? – Also weiter. Wo war ich?

Gott ist freundlich.

Genau. Gott ist freundlich. Das können wir sehen und schmecken, heute, am Erntedanktag. Und das ist gut so. Weil wir es nämlich manchmal vergessen, dass das so ist. Manchmal denken wir nämlich, dass nicht reicht, was wir haben. Dass nicht reicht, was wir zum Leben haben.

Darf ich was sagen?

Bitte!

Ihr seid komisch, ihr Menschen. Dass ihr immer denkt, dass es nicht reicht. Also im Kindergarten, wo ich zuhause bin, da gibt es immer genug. Die Kinder haben immer so viel zu essen mit, dass es auch für mich noch reicht. Und meistens nehmen sie wieder was mit nach Hause.

Du hast schon Recht. Das ist eine merkwürdige Angst, dass es nicht reicht. Und vielleicht geben Eltern ihren Kinder ja wirklich deshalb mehr als genug mit. Weil sie Angst haben, dass es nicht reichen könnte.

Und dann ist es doch immer mehr als genug.

Ja. Aber weißt du: Dahinter steht die Erfahrung, dass es wirklich nicht reicht. Nach dem Krieg sind viele Menschen hierher nach Föhr gekommen, weil es bei ihnen in der großen Stadt Hamburg nicht genug zu essen gab. Und ein bisschen später sind viele Menschen von hier nach Amerika gefahren, weil es hier nicht genug Arbeit für sie zum Leben gab.

Aber das ist doch lange her.

Wohl. Aber auch heute gibt es hier auf Föhr und in unserem reichen Land Menschen, die sich gutes und leckeres Essen nicht leisten können, weil ihr Geld nicht reicht. Und in anderen Ländern ist es noch viel, viel schlimmer. Da wächst auf den Feldern zu wenig, um alle Menschen satt zu machen. Es ist nicht selbstverständlich, dass reicht, was ich habe.

Also feiern wir Erntedank, weil es bei uns reicht und uns lecker schmeckt. Und was machen die, bei denen es nicht reicht?

Gute Frage. Also ...

Nicht sagen, ich weiß es. Die feiern Erntebitte. Die gehen mit leerem Magen in die Kirche und bitten Gott, dass er sie satt macht. Und dann gehen sie satt nach Hause.

Ach, Muck. Das wäre schön, wenn es so einfach wäre.

In deiner Geschichte ist das so einfach.

In welcher Geschichte?

Die du erzählt hast. Da sind ganz viele Leute, die Hunger haben. Sie haben ganz wenige Brote. Jesus verteilt die Brote. Und es reicht für alle. Es bleibt sogar noch etwas übrig. Das ist doch ganz einfach.

Da hast du auch wieder Recht. Es kann ganz einfach sein. So einfach wie in der Geschichte. Bloß gerade das ist schwer.

Was? Was einfach ist, ist schwer?

Ja. In der Geschichte ist es ja so: Die Jünger sehen das, was vor Augen ist. Sie sehen die vielen Menschen, die Hunger haben. Und sie sehen, wie wenig Brot sie haben. Sie rechnen: Ein Brot macht – sagen wir – 20 Menschen satt, ein bisschen zumindest. Dann brauchen wir für 4.000 Menschen wie viele Brote?

Ich kann noch nicht rechnen.

200 Brote. Aber wir haben nur sieben. Da fehlen also 193 Brote. 193 zu sieben. Das kann nicht reichen.

Denken die Jünger.

Genau. Und so denken meistens die meisten Menschen. Mir jedenfalls geht es so. Ich sehe, was da ist. Und ich sehe, was gebraucht wird. Und dann sehe ich oft genug, dass das, was da ist, nie reichen wird .

Das ist also das Schwere. Und was ist das Einfache?

Nein, das war das Einfache. Einfach ist, wenn ich sehe, was da ist. Schwer ist, zu sehen, dass mehr da ist, als ich sehe.

Was?

Schwer ist, das zu tun, was Jesus tut: Der sieht die vielen Menschen. Der sieht das wenige Brot. Und trotzdem vertraut er darauf, dass es reicht.

Weil er sieht, wie freundlich Gott ist.

Genau, Muck. Weil er Gott vertraut. Er vertraut, dass Gott dafür sorgt, dass mehr da ist, als ich sehen kann. Und das, das ist schwer.

Ich verstehe. Ihr Menschen könnt das nicht: Jemandem vertrauen, den ihr nicht seht.

Jetzt schießt du aber übers Ziel hinaus, mein lieber Muck.

Aber ich habe da eine Idee, die das Schwere ein bisschen einfacher macht.

Da bin ich gespannt.

Die kommt auch aus der Geschichte. Erst können die Jünger nicht glauben, dass es reicht. Und dann verteilen sie die Brote. Und plötzlich reichen sie.

Also, du meinst, wir sollten besser teilen. Das ist aber sehr einfach gedacht.

Das ist gar nicht so einfach, teilen und abgeben.

Aber immer noch einfacher als zu vertrauen, meinst du?

Vielleicht kannst du das eine ja lernen, wenn du das andere tust. Vielleicht lernst du ja zu vertrauen, wenn du abgibst.

Wie denn das?

Also: Wenn du abgibst, dann tust du das, weil du dem anderen helfen willst. Und weil du vertraust – nämlich dass das, was du dann noch hast, für dich schon noch reichen wird.

Eine schöne Vorstellung: Jedes Mal, wenn ich etwas abgebe, vertraue ich ein bisschen mehr, dass reicht, was da ist. Für den anderen wie für mich. Die Sache hat nur einen Haken: Ich muss anfangen, abzugeben. Und dafür muss ich vertrauen.

Aber dafür feiert ihr Menschen doch Erntedank, oder? Nur so könnt ihr doch sehen und schmecken, wie freundlich Gott ist. Indem ihr vertraut und abgebt.

Amen. Muck. Amen.

Was?

Amen, das heißt: Du hast Recht, Muck. Und das heißt: Wir sind fertig.

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