I'm dreaming of a heile Welt

„I'm dreaming of a white Christmas“ – so sang Bing Crosby vor 73 Jahren, am ersten Weihnachtstag 1941.
Da hatte der Zweite Weltkrieg gerade die USA erreicht. Vierzehn Tage zuvor hatten die Japaner Pearl Harbor überfallen. Die USA hatten daraufhin Japan den Krieg erklärt. Deutschland und Italien sprangen ihrerseits Japan zur Seite. Die Vereinigten Staaten waren auf einmal mittendrin im Kriegssog.
„I'm dreaming of a white Christmas / Just like the ones I used to know.“ Was wäre es schön, wie als auf das Glöckchengebimmel von Schlitten zu horchen, statt auf das Heulen von Tieffliegern und Bomben und Sirenen.
Der Traum von der weißen Weihnacht fängt als Traum von der heilen Welt an, als sie in ihre Einzelteile zerbombt wird.
Auch im Jahr 1945 steht das Lied zur Weihnachtszeit an der Spitze der Hitparade. Da feiern sie die erste Friedensweihnacht – und wer jetzt das Lied mitsingt, singt vielleicht auch von der Erfüllung der Sehnsucht.

Die Erfüllung der Sehnsucht. Vor etwas mehr als 2.500 Jahren wurde Menschen das ebenfalls geschenkt. Sie konnten an den Ort ihrer Sehnsucht zurückkehren, nach Jerusalem nämlich.
Zwei Generationen hatten sie zuvor im Exil gelebt. Fernab von der Heimat, ihren Bräuchen und Gerüchen, ihren Nachbarn und Freunden. Nun konnten sie zurück.
Auch die, die im Land hatten bleiben können, atmeten auf. Zuvor waren sie zwei Generationen unter Fremdherrschaft bedrückt worden. Sie mussten fremden Herren und fremden Göttern dienen und in fremde Taschen wirtschaften.
Jetzt sollte sich ihre Sehnsucht erfüllen. Die Sehnsucht nach der Zeit, als die Welt noch heil und in Ordnung war. Alles würde werden wie früher. Aber das wurde es nicht.
Die Rückkehrer waren fremd in der alten Heimat. In der Fremde hatten sie am alten Glauben festgehalten. Aber in der Heimat hatten sich die Dagebliebenen mit den Göttern der Besatzer eingelassen.
Die Dagebliebenen sahen die Armut, die mit den Rückkehrern ins Land kam. Was vorher gerade so für sie gereicht hatte, sollte nun auch für die anderen noch reichen. Statt gemeinsam reich, wurde sie alle miteinander arm.
Nichts wurde wieder heil und gut. Nichts wurde wieder so wie früher. Keine weiße Weihnacht nirgendwo.
Da fing einer an, von einer neuen, einer anderen Zeit zu träumen.

Um Zions willen will ich nicht schweigen, und um Jerusalems willen will ich nicht innehalten, bis seine Gerechtigkeit aufgehe wie ein Glanz und sein Heil brenne wie eine Fackel, dass die Heiden sehen deine Gerechtigkeit und alle Könige deine Herrlichkeit. Und du sollst mit einem neuen Namen genannt werden, welchen des HERRN Mund nennen wird. Und du wirst sein eine schöne Krone in der Hand des HERRN und ein königlicher Reif in der Hand deines Gottes. Man soll dich nicht mehr nennen »Verlassene« und dein Land nicht mehr »Einsame«, sondern du sollst heißen »Meine Lust« und dein Land »Liebe Frau«; denn der HERR hat Lust an dir, und dein Land hat einen lieben Mann. Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau freit, so wird dich dein Erbauer freien, und wie sich ein Bräutigam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen.
(Jesaja 62,1-5 -- die-bibel.de)

Wie der Prophet heißt, der so träumt, wissen wir nicht. Der Einfachheit halber wird er Jesaja genannt.
Aber egal wie er heißt, eines ist er gewiss: Ungeduldig. Er will nicht schweigen. Er kann nicht stille halten. So wie es ist, darf es nicht bleiben.
Es muss sich etwas ändern für die Menschen in Jerusalem, im ganzen besetzten Land. Gerechtigkeit muss es geben. Jeder muss so viel haben, dass er davon leben kann. Heil müssen die Stadt und das Land werden. Jeder muss seinem Nachbarn die Hand reichen und in die Augen sehen können.
Es muss eine Hoffnung geben für die Menschen. Eine Hoffnung, dass es nicht mehr lange so sein wird wie jetzt. Bald muss sich etwas ändern. Ihr werdet es erleben. Wartet nur einen kleinen Augenblick.
Der unbekannte Prophet hat ein Bild für das, was kommen muss, damit sich alles ändert: „Wie ein junger Mann eine Jungfrau freit, so wird dich dein Erbauer freien, und wie sich ein Bräutigam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen.“
Was für ein kraftvolles Bild. Eine Liebesbeziehung knüpft Gott zu seinem Volk. Eine innige Beziehung, eine, die vom Feuer der Leidenschaft beseelt ist.
Die Liebe ist keine beliebig-freundliche, die alles in Watte packt. Sie ist eine mit Haut und Haaren. Für den Propheten ist Gott nicht der gütige Vater, der für alles liebevolles Verständnis aufbringt. Gott ist der verliebte Bräutigam, der seine Braut ganz will.
Es gibt in der Bibel ein Buch, das etwas aus der Reihe fällt: das Hohelied. Es ist ein durchaus auch erotischer Wechselgesang der Liebe zwischen einem Mann und einer Frau. Aber man kann es auch als Wechselgesang der Liebe zwischen Gott und seinem Volk verstehen. Einer Liebe, die die Kraft des Eros hat. Der Liebe, die schafft und verändert, die sich sehnt und verzehrt, die aufs Ganze geht.
Und weil Gottes Liebe aufs Ganze geht, kommen dabei keine halben Sachen heraus. Deshalb ist Hoffnung da für die Menschen in Jerusalem: Gott kann nicht anders. Er muss ihnen zur Seite springen. Er muss Gerechtigkeit bringen und gerade biegen, was krumm ist. Er muss die Wunden heilen, die die Zeit geschlagen hat. Er bleibt seiner großen Liebe treu. Sie brennt in ihm.

Wie wäre es, das Bild der Liebesbeziehung zwischen Gott und seinem Volk weiter ausmalen, versuchsweise? Wie geht es weiter, nachdem der junge Mann die Jungfrau gefreit hat?
Die junge Frau wird womöglich schwanger werden und einen Sohn gebären, den sie in Windeln wickelt und in eine Krippe legt, denn sie hatten keinen anderen Raum in der Herberge.
Wenn wir uns das so ausmalen mögen, dann ist Jesus die Folge einer Liebesbeziehung. Er kommt zur Welt, weil Gott seine Menschen liebt – mit Haut und Haaren. Ohne Rücksichtr auf das, was man als Gott so tut.
Es gibt ein Lied im Gesangbuch, das ganz unvorsichtig davon singt: „Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude ... Gottheit und Menschheit vereinen sich beide; Schöpfer, wie kommst du uns Menschen so nah!“
Ich finde es reizvoll, mir Weihnachten so vorzustellen. Gott kommt nicht zur Welt, weil es sein Masterplan ist. Er kommt nicht zur Welt, weil er es nun einmal kann. Er kommt auch nicht zur Welt, um Sehnsüchte zu erfüllen.
Er kommt, weil er nicht anders kann. Er kommt, weil er für die Menschen in Liebe entbrannt ist. Er kommt, weil er sich mit ihnen vereinen muss. Er kommt, weil alles anders werden muss.
Die Welt muss heil werden. Sie muss gerecht werden. Also lässt Gott den Palast und die Mächtigen links liegen. Also kommt er zu den kleinen Hirten und in den armseligen Stall.
Die Liebe brennt in Gott. Und sie hat Kraft, andere zu entzünden. Keiner, der ihr begegnet, bleibt der er war. Er wird angesteckt mit einer Liebe, die verrückt ist und das Unerwartete tut.

Im Kalender der andere advent war die Geschichte eines Heiligabends im Zweiten Weltkrieg zu lesen.
Da klopft es, als es bereits dunkel ist, irgendwo in den Ardennen bei einer Frau und ihrem Sohn. Drei amerikanische Soldaten stehen vor der Tür, einer von ihnen verletzt. Sie haben ihre Einheit verloren und brauchen einen Unterschlupf für die Nacht.
Die Frau zögert. Dann öffnet sie die Tür und lässt die feindlichen Soldaten eintreten. Sie schickt ihren Sohn ein Huhn fangen und Kartoffeln holen.
Bald klopft es wieder an der Tür. Vier deutsche Soldaten stehen vor der Tür. Sie haben ihre Einheit verloren und brauchen einen Unterschlupf für die Nacht.
Die Frau zögert. Dann sagt sie: „Sie können eintreten. Aber wir haben noch drei Gäste, die Sie nicht als Freunde ansehen werden.“ Und sie fügt hinzu: „Heute ist Heiliger Abend, und hier wird nicht geschossen.“
Dann verlangt sie erst von den deutschen Soldaten und anschließend von den amerikanischen die Waffen und bekommt sie ausgehändigt.
Später sitzen die Frau, ihr Sohn und die sieben Soldaten am gedeckten Tisch. „Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast“, betet die Frau.
Am nächsten Morgen bekommen die Soldaten ihre Waffen zurück. „Seid vorsichtig, Jungens“, sagt die Frau zu allen. „Ich wünsche mir, dass ihr eines Tages dahin zurückgeht, wo ihr hingehört, nach Hause. Gott beschütze euch alle!“
Die Soldaten geben sich die Hand und verschwinden in entgegengesetzten Richtungen.

Ob diese Weihnachten in den Ardennen weiß war, ist nicht überliefert. Aber von so einer Weihnacht träume ich. Denn sie ist wie Gottes Liebe: Sie brennt und verändert Menschen.
Sei es auch nur für einen kleinen Augenblick: Die Welt ist doch heiler und gerechter als zuvor. Weil Gott zu ihr gekommen.

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