Johanna, ein eigener Mensch

„Hinter jedem großen Mann stand immer eine liebende Frau, und es ist viel Wahrheit in dem Ausspruch, dass ein Mann nicht größer sein kann, als die Frau, die er liebt, ihn sein lässt.“
Der das gesagt hat, ist – natürlich – ein Mann: Pablo Picasso, ein Macho, der mehr als eine Frau brauchte, um groß zu sein. Und die Frauen waren bereit, ihn groß zu machen. Sie waren die Musen, die ihn küssten. Sie verzichteten auf ihr eigenes Leben, um seines möglich zu machen. Die letzte von ihnen – Jacqueline Roque – nahm sich gar das Leben, nachdem er gestorben war.
„Hinter jedem großen Mann stand immer eine liebende Frau“, sagte Pablo Picasso. „Aber jetzt ändert sich das“, sangen Aretha Franklin und die Eurythmics. „Wir Frauen kommen aus der Küche, weil wir euch Männern noch etwas sagen müssen: Wir machen jetzt unser eigenes Ding. Wir stehen jetzt auf unseren eigenen Füßen.“
Das mag Ihnen vorkommen wie ein alter Hut – beziehungsweise wie ein altes Kopftuch. Und Recht haben Sie: "Sisters are doin' it for themselves" – das Lied von den Eurythmics – ist inzwischen auch schon 30 Jahre alt.

Noch einmal 1.900 Jahre älter ist ein kleiner Abschnitt aus dem Lukasevangelium:

Einmal, in der folgenden Zeit, zog Jesus von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf. Überall verkündete er die Gute Nachricht vom Reich Gottes.
Die Zwölf begleiteten ihn.
Es waren auch einige Frauen dabei, die Jesus von bösen Geistern und Krankheiten geheilt hatte: Maria aus Magdala, die er von sieben Dämonen befreit hatte; Johanna, die Frau von Chuzas, einem Verwalter im Dienst des Herodes; Susanna und viele andere. Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen.

(Lukasevangelium 8,1-3 -- www.basisbibel.de)

„Hinter jedem großen Mann stand immer eine liebende Frau.“ So kann man, so muss man verstehen, was Lukas erzählt.
Ich sehe das Bild vor mir, das er zeichnet. Jesus geht voran. Er hat alles verlassen. Er ist aus seinem Heimatdorf weggezogen. Er hat seinen Beruf aufgegeben. Er hat mit seinen Eltern, seinen Geschwistern gebrochen. Er widmet sich ganz dem Reich Gottes, das jetzt anbrechen soll.
Die Zwölf, seine Jünger, folgen ihm. Sie sind Jesus begegnet, mitten in ihrem Alltag. Simon und Johannes und Jakobus zum Beispiel, die drei Fischer. Er traf sie am Ufer des Sees.
„Kommt mit mir“, hat er zu ihnen gesagt. Und sie haben alles stehen und liegen lassen. Das Netz voller Fische, das ihre Boote fast zum Kentern brachte. Die Frau, die Kinder, die von dem lebten, was die Männer mit dem Fischfang verdienten.
„Keiner kann mein Jünger sein, der nicht zuvor alles aufgibt“, hat Jesus gesagt. Und sie, die Zwölf, haben es getan. Sie haben alles aufgegeben, um Jesus zu folgen. Früher fingen sie Fische. Jetzt setzen sie sich dafür ein, dass Menschen zu Gott finden. Nur das tun sie.
Und dann sind da auch Maria und Johanna und Susanna und viele andere Frauen. Sie alle unterstützen Jesus und die Jünger mit dem, was sie besitzen.
Sie sind wie die Jünger Jesus begegnet. Plötzlich tritt er in ihr Leben. Er heilt sie von bösen Geistern und Krankheiten. Er macht sie zu gesunden Menschen.
Sie bleiben ihm. Vielleicht weil sie dankbar sind oder weil sie bei ihm vor einem Rückfall sicher sind. Sie begeistern sich für das Reich Gottes. Sie wollen helfen, wenn es jetzt anbricht.
Aber was heißt helfen? Sie ermöglichen Jesus und den Jüngern das Leben, das sie führen. Die Frauen trennen sich von dem, was sie haben, damit sich die Männer von allem trennen können. Die Frauen geben von ihrem Besitz, damit Jesus und die Jünger ohne Besitz leben können.
„Hinter jedem großen Mann stand immer eine liebende Frau.“ Hinter der herausgehobenen Männergruppe der Jünger steht die Frauengruppe, die sie begleitet und unterstützt.

So zeichnet Lukas das Bild von Jesus, dem Wanderprediger, den Jüngern, die ihn begleiten, und den Frauen, die auch dabei sind.
Zugleich zeichnet er ein Bild von der Gemeinde, wie er sie sich vorstellt. Er denkt an eine Gemeinde mit vielen Aufgaben, die in seiner Zeit fremd und neu waren. Kranke werden versorgt und nicht sich selber überlassen. Armen sollen nicht betteln müssen, sondern Hilfe bekommen.
Er sieht eine Gemeinde vor sich, in der miteinander geteilt wird, was da ist. Die Vermögenden geben die Hälfte ihres Besitzes ab. Sie teilen ihn mit denen, die nichts oder nicht genug zum Leben haben.
Er entwirft eine Gemeinde, in der es viel zu tun gibt für Frauen. Sie werden gebraucht, um die Hilfsdienste zu ordnen und zu leisten. Sie leiten Hausgemeinden. Sie tun das selbstständig und in eigener Verantwortung.
Für Lukas Zeit ist das erstaunlich – und ein Grund, warum die jungen christlichen Gemeinden den Zulauf haben, der sie wachsen lässt: Hier haben Frauen einen Ort, an dem sie frei sind, sich selber einzubringen.
Zugleich ist Lukas Gemeinde die Kirche der kommenden zweitausend Jahre: von Frauen bedient, von Männern beherrscht.
Die Träger der Botschaft, das sind für Lukas die Apostel und die Ältesten. Zu lehren und zu predigen, das ist die Aufgabe der Männer. Wo es um Macht und Entscheidungen, um Wahrheit und Rechthaben geht, haben Frauen nichts verloren.
Bis ins letzte Jahrhundert hinein hat sich das nicht wesentlich geändert. Auf den Ahnentafeln der Pastoren und Diakone von St. Johannis seit der Reformation stehen 57 Namen. Zwei davon gehören Frauen.

„Aber jetzt ändern sich die Zeiten“, singen die Eurythmics. „Wir Frauen kommen aus der Küche, weil wir euch Männern noch etwas sagen müssen: Wir machen jetzt unser eigenes Ding. Wir stehen jetzt auf unseren eigenen Füßen.“

Das Erstaunliche ist, dass das schon bei Lukas so angelegt ist. Da stehen die Frauen auf ihren eigenen Füßen – Johanna zum Beispiel.
Sie lebt am Hof von Herodes Agrippa, Sohn von Herodes dem Großen, Erbe eines Teils von dessen Reich, von Roms Gnaden Landesherr über Galiläa. Sie lebt dort als Frau von Chuzas, dem Verwalter der Ländereien von Herodes, dessen Finanzminister womöglich.
Eigentlich ist das ja eine Nachricht für die Klatschpresse: Eine Dame aus der Hofgesellschaft, die Frau eines hohen königlichen Beamten im Gefolge Jesu! Eine Frau, die ein reiches, gesichertes Leben an der Seite eines einflussreichen Mannes aufgibt, um das gefährliche und armselige Leben eines Menschenfreundes und Wanderpredigers zu teilen.
Wir wissen wenig über sie. Ist sie schön, reich und dem Hofleben überdrüssig Jesus nachgefolgt? Oder ist sie krank, nicht mehr anziehend genug für das Leben am Hof und deshalb ihrem Mann fortgelaufen?
Sie wird am Hof in Tiberias am See Genezareth von Jesus gehört haben. Ich stelle mir vor, dass sie ihm dort begegnet. Vielleicht geht sie heimlich zu ihm, weil sie von ihm etwas erwartet für sich und ihr Leben. Vielleicht steht sie aber auch nur neugierig in der Menge, die ihm zuhört.
Da trifft sie sein Blick, freundlich, eindringlich. Sie fühlt sich erkannt. Seine Hand berührt sie sacht, fest. Sie spürt eine Kraft, die nicht von ihr und nicht von ihm kommt. Sie wird heil, ein ganzer, ein anderer Mensche.
Sie geht an diesem Tag mit ihm und den Menschen, die bei ihm sind. Sie erlebt etwas ganz Unerhörtes: Menschen, die frei miteinander reden, ohne die Floskeln des Hofes. Menschen, die unabhängig sind, ohne Blick auf das, was man tut und andere sagen. Sie erlebt eine Gemeinschaft, die Schichten übergreift, die Frauen und Männer zusammenführt.
Johanna beschließt, bei Jesus und in dieser Gemeinschaft zu bleiben. Sie verlässt ihren Mann und das Hofleben und beginnt ein neues Leben.
Sie zieht mit Jesus über Land, schreibt Jörg Zink: „Zum ersten Mal nicht mehr die Frau eines Mannes, sondern eine Frau. Johanna, ein eigener Mensch.“
Das erste Mal entscheidet sie über ihr eigenes Leben. Kein Vater, kein Mann, die sagen, was sie zu tun hat. Sie durchbricht die Grenzen, die Erziehung und Gewohnheit und Regeln ihr setzen.
Jesus gibt ihr die Kraft, der Mensch zu werden, der sie ist. Eigenständig, von Gott gewollt, Frau über ihr Leben, ihr Denken, ihr Tun, ihr Glauben, ihr Lieben.

Dieser eigene Mensch bleibt sie. Sie hat immer noch Zugriff auf einiges Vermögen. Sie hat immer noch Verbindungen an den Hof. Sie kennt die angenehmen Dinge, die das Leben schön machen.
Vielleicht bringt sie etwas Wohlstand und schönes Leben in die Gemeinschaft der Frauen und Männer um Jesus. Sie kauft Jesus das teure Gewand, das aus einem Stück Stoff genäht ist und um das später die Soldaten würfeln. Sie kümmert sich um das Haus in Jerusalem, wo die Gemeinschaft die letzten Tage gemeinsam verbringt. Sie bezahlt das Essen, mit dem sie sich am allerletzten Abend stärken.
Sie ist es auch, die Salben besorgt, um mit ihm den Leichnam Jesu einzubalsamieren. Sie überredet Maria von Magdala und Maria, die Mutter von Johannes und Jakobus, mit ihr zu kommen.
Gemeinsam gehen sie zum Grab, erzählt Lukas. Dort treffen sie auf zwei Männer in leuchtenden Gewändern. „Warum sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“, sagen die zu ihnen. „Er ist nicht hier. Gott hat ihn vom Tod auferweckt!“
Aufgewühlt kehren sie zurück zu den Zwölf und erzählen ihnen, was sie erlebt haben. Aber die halten ihren Bericht für reine Erfindung.
Die drei Frauen bleiben bei dem, was sie erlebt und gehört haben. Und auch die anderen Frauen, denen sie davon erzählen, glauben es.
Sie wissen, dass Auferstehung möglich ist – sie haben sie selber schon erlebt. Jesus, den Gott jetzt vom Tod auferweckt hat, hat sie einst auferweckt. Er hat sie auferweckt zu einem neuen, eigenen, selbstbestimmten Leben.
Die Männer, die ihnen das nicht glauben, haben ihre Auferstehung zum Leben erst noch vor sich.

Zum Nach- und Weiterlesen: Elisabeth Moltmann-Wendel, Frauen um Jesus.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Fortsetzung folgt

Dreifach Gott begegnen

Herr, sag uns, wie wir beten sollen