Zwei, die Gott ehren

Ein Tag vor nicht ganz zweitausend Jahren vor einem Haus in Cäsarea. Zwei Männer standen sich gegenüber.
Der eine war ein Jude, der an Jesus Christus glaubte, der andere ein römischer Hauptmann, der an den Gott Israels glaubte. Petrus hieß der eine, Kornelius der andere.
Der hatte Boten zu Petrus geschickt, um ihn zu sich zu bitten. Petrus folgte der Bitte.

So erzählt es die Apostelgeschichte:

Einen Tag später trafen Petrus und seine Begleiter
in Cäsarea ein.
Kornelius erwartete sie schon.
Er hatte auch seine Verwandten
und engsten Freunde zu sich eingeladen.
Als Petrus ins Haus eintreten wollte,
kam Kornelius ihm entgegen.
Ehrfürchtig fiel er vor Petrus auf die Knie.
Aber der zog ihn hoch
und sagte:
»Steh auf!
Ich bin auch nur ein Mensch.«
Während er sich mit Kornelius unterhielt,
betrat er das Haus.
Dort fand er all die Leute vor,
die herbeigekommen waren.
Petrus sagte zu ihnen:
»Ihr wisst ja:
Einem Juden ist es nicht erlaubt,
Umgang mit einem Fremden zu haben
oder ihn zu Hause aufzusuchen.
Aber Gott hat mir gezeigt,
dass man keinen Menschen
unvorschriftsmäßig oder unrein nennen darf.
Deshalb bin ich eurer Einladung
ohne Widerspruch gefolgt.
Aber jetzt möchte ich gerne wissen,
warum ihr mich eingeladen habt.«
Kornelius antwortete:
»Es war vor drei Tagen, genau zur gleichen Zeit –
um die neunte Stunde.
Ich betete gerade in meinem Haus.
Sieh doch,
da stand plötzlich ein Mann vor mir,
der ein strahlend weißes Gewand trug.
Er sagte:
›Kornelius, dein Gebet ist erhört worden.
Gott hat deine Gaben für die Armen
mit Wohlgefallen aufgenommen.
Schicke also jemanden nach Joppe
und lass Simon zu dir bitten,
der auch Petrus genannt wird.
Er ist zu Gast im Hause des Gerbers Simon am Meer.‹
Da habe ich sofort nach dir geschickt.
Schön, dass du gekommen bist.
Jetzt sind wir alle hier vor Gott versammelt,
um zu hören,
was der Herr dir aufgetragen hat.«
(Apostelgeschichte 10,24-34 – www.basisbibel.de)

Szenenwechsel: Von Cäsarea vor zweitausend in das Frankfurt unserer Tage. Dort sitzen an einem Abend im vergangenen Jahr in einer Wohnung zwei Männer beieinander.
Der eine ist gläubiger Katholik, der andere gläubiger Muslim. Beide sind sie Schriftsteller. Martin Mosebach heißt der eine, Navid Kermani der andere. Seit Jahren sind sie einander freundschaftlich verbunden.
Beiden gemeinsam ist, dass sie Wanderer sind, Wanderer zwischen den Kulturen und Religionen: Sie bewegen sich hin und her zwischen Abendland und Morgenland, zwischen Islam und Christentum. Daraus knüpfen sie das Band ihrer Freundschaft.

An diesem Abend zusammengebracht hat sie ein Journalist. Er will sich mit ihnen unterhalten – über ihre unterschiedlichen Religionen und ihre Freundschaft.
Also fragt er: „Herr Mosebach, Ihr Schriftstellerkollege und Freund Navid Kermani hat gerade eine große Meditation über das Christentum veröffentlicht: ›Ungläubiges Staunen‹ heißt das Buch. Muss erst ein Muslim kommen, um den Christen zu zeigen, wie faszinierend ihre eigene Religion ist?“
Das stimme wohl, sagt Martin Mosebach, denn der durchschnittliche Christ kenne seine Religion nicht mehr. „Sein religiöses Wissen ist ausgeronnen wie aus einem geplatzten Sack.“
Aber Navid Kermani wendet ein: „Über den Islam könnte ich so ein Buch nie schreiben. […] Ich kann nur vom anderen, vom Fremden schwärmen.“

Mir gefällt dieser Gedanke: Ich kann nur vom Fremden schwärmen. Da fährt einer, der das erste Mal auf Föhr ist, staunend über die Insel: Wie der Himmel sich spannt, wie das Watt glitzert, wie grün die Marsch ist. Sein Gastgeber, dem er das abends erzählt, sagt trocken: Jaja.
Dann fährt der Föhrer in den Urlaub, das erste Mal in die Berge. Er ist begeistert vom Wald im Tal und der Aussicht vom Gipfel. Am Abend schwärmt er bei seinem Gastgeber, wie schön alles ist – und der antwortet: Ja, mei.
Schließlich kommt der Föhrer nach Hause und da sieht er es wieder: Wie der Himmel sich spannt, wie das Watt glitzert, wie grün die Marsch ist.

„Hatten Sie die Befürchtung, vor lauter Begeisterung dem eigenen Glauben untreu zu werden?“, fragt der Journalist Navid Kermani. Der antwortet: „Es war eher andersherum. Durch die Beschäftigung mit dem Christentum habe ich Aspekte des Islam kennengelernt, derer ich mir in ihrer Tiefe nicht bewusst war.“
Ich bin an das Eigene gewöhnt – so sehr, dass ich nicht mehr sehe, wie schön es ist. Es braucht den Fremden, der mich darauf hinweist. Oder ich muss selber ins Fremde fahren, um das Eigene neu zu entdecken.

Also schwärmt Martin Mosebach: „Nichts ist so berührend, wie einem muslimischen Großvater dabei zuzusehen, wie er seinem Enkel das Beten beibringt.
Der alte Mann kniet auf dem Teppich, das Buch vor sich, neben ihm der Junge, ebenfalls kniend, das weiße Mützchen auf. Der Großvater verbeugt sich, der Junge schaut ihm zu, macht es nach.“
Der katholische Christ Mosebach will deswegen nicht Muslim werden. Aber er wünscht sich, dass Christen sich etwas bei den Muslimen abschauen.
Zum Beispiel wie sie Gott so ernst nehmen, dass sie vor ihm knien. Und wie sie ihren eigenen Glauben so ernst nehmen, dass ihn Großeltern ihren Enkeln weitergeben und Enkel ihn von den Großeltern abschauen.
Navid Kermani seinerseits schwärmt: „Ich habe auf meinen Reisen in Kriegsgebiete die Erfahrung gemacht, dass es eine bestimmte Form von Frömmigkeit gibt, egal in welcher Religion, die zwingend mit Güte einhergeht.
Bei christlichen Mönchen und Nonnen ist mir dieser Zug der bedingungslosen Liebe gegenüber Fremden und Andersgläubigen besonders aufgefallen.
»Liebe deinen Feind« ist ein revolutionärer Gedanke, der [...] auch in den Islam eingezogen ist, aber [...] immer als christliche Weisheit anerkannt wurde.“

Für die beiden Freunde Kermani und Mosebach ist es keine Frage, dass sie an denselben Gott glauben.
Mosebach sagt: „Religionsgeschichtlich ist völlig klar, dass Christen und Muslime sich vor demselben Gott niederwerfen. Der Islam spricht vom »Gott Abrahams«, das tun Juden und Christen auch.“
Kermani ergänzt: „Das Wort Allah bedeutet Gott. Es meint keinen Spezialgott. Arabische Christen sagen auch Allah, wenn sie Gott meinen. Und wenn ich Deutsch rede, sage ich Gott, nicht Allah.“

Wie selbstverständlich suchen und finden sie Gott im Gotteshaus des jeweils anderen.
Kermani erzählt: „Als mein Großvater 1963 durch Deutschland und Frankreich gereist ist, hat er seinen Gebetsteppich ständig in Kirchen ausgebreitet [...] – und wurde kein einziges Mal schief angeschaut.“
Von sich selber sagt er, er bete in Kirchen, „aber nicht mit gefalteten, sondern ausgebreiteten Händen und still, nicht ostentativ. Wenn ich einen Augenblick der Besinnung brauche, gehe ich in eine Kirche.“
Und Mosebach antwortet auf die Frage, ob er in der Moschee bete: „Selbstverständlich. Kennen Sie nicht den jesuitischen Witz? »Darf man beim Beten rauchen? Nein. Darf man beim Rauchen beten? Natürlich.« Man darf und soll also überall beten, besonders natürlich in einem Gotteshaus.“

Die beiden Freunde, der Christ und der Muslim sind sich nah. Mosebach sagt, ihm sei „ein gläubiger Muslim viel näher […] als ein Christ mit wegtheologisierter Religion.“ Auch wenn er findet, dass jeder Mensch durchaus katholisch werden müsste.
Kermani sagt: „Als Muslim habe ich nicht gelernt, dass jemand, der seine Religion hat, konvertieren sollte. Der Ungläubige, der keinen Bezug zur Religion hat, beunruhigt [im Islam] weit mehr als ein gläubiger Christ oder Jude.“

Die beiden Freunde wissen zugleich, was sie trennt. Für den Muslim Kermani ist Jesus ein besonderer Mensch, ein vollkommener sogar. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Für den Christ Mosebach ist Jesus der Sohn Gottes, der eine Gottmensch. Mehr geht nicht, weniger aber auch nicht.
Dieser Unterschied bleibe, sagen beide, den könnten sie nicht wegdiskutieren oder in einem Kompromiss auflösen. Und sie fügen hinzu: „Aber wenn die Positionen geklärt sind, gibt es keinen Streit.“

Womöglich ist etwas anderes entscheidender als das richtige Glaubensbekenntnis.
Mosebach erzählt, dass er von den Muslimen, die er auf seinen Reisen traf, nie gefragt wurde, ob er Christ sei. „Ihre Frage war stets: »Betest du?« Wenn das bejaht wurde, gab es keinen Vorbehalt mehr.“

Was uns aus der Frankfurter Wohnung, wo es jetzt Pasta mit Anchovis und Weißwein gibt, wieder nach Cäsarea zu Kornelius und Petrus führt.

Wir hören noch einmal, wie Kornelius zu Petrus sagt:
»Schön, dass du gekommen bist.
Jetzt sind wir alle hier vor Gott versammelt,
um zu hören,
was der Herr dir aufgetragen hat.«
Petrus begann zu sprechen:
»Jetzt begreife ich wirklich,
dass Gott nicht auf die Person sieht!
Wer ihn ehrt
und nach seinen Geboten handelt,
den nimmt Gott an –
ganz gleich aus welchem Volk er stammt.«
(Apostelgeschichte 10,33-35 – www.basisbibel.de)

Das klingt so einfach und selbstverständlich. 1 + 1 = 2. Ehre Gott + handle nach seinen Geboten = Gott nimmt dich an.
Aber für Petrus ist das neu. Als Jude hat er gelernt: Gott nimmt ihn an, weil eine jüdische Mutter ihn geboren hat. Durch seine Geburt gehört er zu Gottes Volk und also ist er wie das ganze Volk von Gott auserwählt.
Auch für Kornelius ist das neu: Von den Juden hat er gelernt: Er wird nie ganz zu ihnen gehören. Auch wenn sie ihn achten für das, was er tut, bleibt er ein Fremder. Weil er nie ganz zu ihnen gehören wird, wird er auch nie ganz zu Gott gehören. Denn nur, wer zu ihnen gehört, gehört auch zu Gott.
Da war eine Grenze, die Gott zu ziehen schien zwischen seinem Volk und alle anderen Menschen.
Diese Grenze – wenn es sie überhaupt woanders als in der Einbildung der Menschen gab – diese Grenze ist jetzt gefallen.
Zu Gott gehörst du, weil du Gott ehrst. Weil du im Leben und im Sterben auf ihn und auf ihn allein vertraust. Weil du dich an ihm festmachst, auf ihn hoffst, ihn jeden Tag neu suchst.
Zu Gott gehörst du, weil du nach seinen Geboten handelst. Weil du das suchst, was dem anderen Menschen gut tut. Weil du ihn als einen achtest, der Gott genau so nah oder fern ist, wie du es bist.

Das klingt so einfach und selbstverständlich. 1 + 1 = 2. Ehre Gott + handle nach seinen Geboten = Gott nimmt dich an.
Vor zweitausend Jahren haben das der Jude Petrus und der Gottsucher Kornelius gelernt. Es ist an der Zeit, dass wir mit ihnen und von ihnen lernen.
Der Katholik Martin Mosebach und der Muslim Navid Kermani machen vor, wie es gehen kann.
Sie staunen über die Schätze im Glauben und in der Tradition des andern. Sie benennen die Unterschiede, die es zwischen ihnen gibt, ohne sie auflösen oder den anderen überzeugen zu wollen.
Vor allem: Sie vertrauen, dass der andere genau so ernsthaft in seinem Leben Gott sucht und ehrt, wie sie selber es tun.

Eine einfache Frage reicht, um in dem fremden Menschen die Glaubensschwester, den Glaubensbruder zu erkennen: „Betest du?“ Ja, ich bete!

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