Im Glauben wohnen

In der deutschen Sprache kann man Sätze bauen und Gedankengebäude errichten.
Ein schönes Sprachbild: Sich Sätze als Bau vorzustellen und Gedanken als Gebäude, die man betreten kann.
In diesem Sinne: Tür auf und mutig und neugierig über die Schwelle geschritten, hinein in Sätze und Gedanken von Paulus.

"Weil wir also aufgrund des Glaubens als gerecht gelten,
haben wir Frieden,
der auch bei Gott gilt.
Das verdanken wir unserem Herrn Jesus Christus.
Durch den Glauben hat er uns
den Zugang zur Gnade Gottes ermöglicht.
Sie ist der Grund,
auf dem wir stehen.
Und wir dürfen stolz sein auf die sichere Hoffnung,
zur Herrlichkeit Gottes zu gelangen.

Aber nicht nur das.
Wir dürfen auch auf das stolz sein,
was wir gegenwärtig erleiden müssen.
Denn wir wissen:
Das Leid lehrt, standhaft zu bleiben.
Die Standhaftigkeit lehrt,
sich zu bewähren.
Die Bewährung lehrt zu hoffen.
Aber die Hoffnung macht uns nicht zum Gespött.
Denn Gott hat seine Liebe
in unsere Herzen hineingegossen.
Das ist durch den Heiligen Geist geschehen,
den Gott uns geschenkt hat."

(Römer 5,1-5 – www.basisbibel.de)

Gewaltige Sätze, die Paulus da baut. Sätze über den Glauben und das Leben. Mit großen Worten tut er das: Frieden und Gnade und Herrlichkeit heißen sie und Standhaftigkeit und Bewährung und Hoffnung.
Aus ihnen errichtet er sein Gedankengebäude. Es erinnert mich an ein anderes, wirkliches Gebäude. Was Paulus schreibt, das führt mich an den Ort, an dem wir gerade sind. Das führt mich in diese Kirche.

Ich stelle mir vor, wie ich sie betrete, während die Mittagsglocke läutet. Der Wind bleibt draußen und mit ihm alle anderen Geräusche. Stille umfängt mich. Und ein Gefühl von Frieden: Hier bin ich Mensch, hier darf ich es sein.
Glaube, sagt das Bild, Glaube ist wie Gottes Haus, das du betreten kannst mit allem, was dich bewegt. Du kannst singen vor Freude. Du kannst schreien vor Verzweiflung. Du kannst weinen und lachen und schweigen. Du kannst du selber sein, sogar der, den du an dir noch gar nicht kennst.
Und Gott hört sich das in seinem Haus alles aufmerksam und zugewandt an. Er weiß noch besser als du, was dich bewegt. Er schaut das alles liebevoll an. Das macht den Frieden aus.
„Weil wir aufgrund des Glaubens als gerecht gelten, haben wir Frieden, der auch bei Gott gilt.“ So schreibt es Paulus.

Ich stelle mir weiter vor, wie ich in Gottes Haus mitten in der Vierung stehe. Dort schließe ich die Augen und spüre wie ich mit beiden Füßen auf den Ziegelsteinen stehe. Und ich spüre, wie mich der Boden trägt, sicher und zuverlässig.
Und ich stelle mir vor, wie ich Wurzeln schlage genau an diesem Ort. Immer tiefer wachsen sie in die Erde und ziehen aus ihr Kraft und geben mir festen Halt. Und ich fühle mich beschenkt.
Glaube, das ist wie der Boden, auf dem du stehst und mit dem du innerlich verwächst. Nicht immer, aber immer wieder spürst du, dass du getragen wirst. Und immer wieder spürst du, dass dir Kraft zufließt, die nicht aus dir kommt.
Beides ist ein Geschenk, etwas, das dir zukommt, ohne dass du etwas dazu getan hast – womöglich hast du noch nicht einmal darum gebeten.
Die Gnade Gottes „ist der Grund, auf dem wir stehen.“ So schreibt es Paulus.

Ich stelle mir vor, wie ich immer noch in der Vierung stehe und in der leeren Kirche zu singen beginne. „Verleih uns Frieden gnädiglich“, zum Beispiel.
Auch wenn ich das Lied nur ganz verhalten anstimme und mit krächzender Stimme womöglich: Es steigt in die Kuppel der Vierung und kommt von dort wieder. Es hallt nach im Raum und in mir. Es füllt den ganzen Raum und es füllt mich. Als würde es Töne wecken, die eben noch schlafend umherschwebten.
Glauben, das ist wie ein Gesang, der dich zum Klingen bringt. Er kommt aus dir heraus und bleibt doch nicht nur bei dir. Er umgibt dich von allen Seiten und hüllt dich ein.
Er macht dich zum Teil einer Melodie, die schon seit Ewigkeiten durch Zeit und Raum schwebt.
„Wir dürfen stolz sein auf die sichere Hoffnung, zur Herrlichkeit Gottes zu gelangen.“ So schreibt es Paulus.

Und er schreibt weiter: „Aber nicht nur das. Wir dürfen auch stolz sein, was wir gegenwärtig erleiden müssen.“
Das Gedankengebäude, das Paulus errichtet, hat einen Innen: den Glauben, gebaut aus Frieden und Gnade und Herrlichkeit. Und das Gebäude hat ein Außen: das Leben, gebaut aus Standhaftigkeit und Bewährung und Hoffnung.

Ich stelle mir also vor, dass auch ich vom Innen zum Außen wechseln. Ich verlasse ich die Kirche – und dort empfangen mich die Geräusche, die der Alltag macht. Und wenn ich auf die Ecke am Kirchturm zugehe, erwischt mich der Wind.
An manchen Tagen kommt er von hinten und schiebt mich um die Ecke herum. An anderen Tagen bläst er mir ins Gesicht, wenn ich um die Ecke biegen will.
Das Leben, sagt das Bild, das Leben kommt immer dazwischen. Es tritt zwischen mich und meine Träume und Pläne vom Leben.
Beides muss ich auf die eine oder andere Art zusammenfügen: Das, was ich erlebe, mit dem, was ich träume oder plane. Mal fügt es sich wie zwei Puzzleteile ineinander. Mal gerät alles aus den Fugen.
Wie es sich fügt oder nicht fügt: Es ist mein Leben, das dazwischen kommt. Es ist eine Aufgabe, mit der Betonung auf dem Hauptteil: Es ist eine Gabe.
„Wir dürfen auch auf das stolz sein, was wir gegenwärtig erleiden.“ So schreibt es Paulus.

Für Paulus gibt es außen mehr Wind, der mir ins Gesicht bläst, als Wind, der mich anschiebt.
Das ist schade, aber es liegt wohl in der Sache der Natur: Den Rückenwind, der mich anschiebt, merke ich gar nicht. Ich freue mich allenfalls, wie leicht mir alles gelingt. Den Gegenwind aber, der mich anstrengt, den spüre ich immer.
Und gerade der lehrt dich etwas. Er tut es mehr und anders, als es der Rückenwind kann. Der Gegenwind hilft dir, dass du deine Wurzeln spürst.
Jetzt, an der Ecke, wo der Gegenwind an dir zerrt und dich umwerfen will, merkst du: Es ist gut, dass du deine Wurzeln hast. Gegen allen Wind bist du fest verwurzelt im Grund. Dein Glaube hält dich.
„Das Leid lehrt, standhaft zu bleiben.“ So schreibt es Paulus.

Aber kann es nicht sein, dass der Gegenwind zu stark ist? Er zerrt so lange, bis der Baum samt Wurzeln umkippt. Die Erfahrung ist: Es kann so sein. Menschen erleben Schrecken, die sie am Leben und am Glauben verzweifeln lassen.
Paulus weiß das, aber es ist nicht seine Erfahrung. Er stellt eine andere dagegen: Glaube ist eine Kraft, die zunimmt, je mehr einer von ihr leben will oder muss.
Du stehst also im Gegenwind und bist froh, dass dich die Wurzeln halten. Du lehnst dich gegen den Wind und spürst die Kraft, ihm zu trotzen – eine Kraft, die nicht aus dir selber kommt.
Und es geschieht noch mehr: Jeder Windstoß verwurzelt dich noch stärker im Boden. Der Gegenwind, der dich entwurzeln will, macht deine Wurzeln nur kräftiger. Glaube wächst mit dem Gegenwind.
„Die Standhaftigkeit lehrt, sich zu bewähren.“ So schreibt es Paulus.

Es ist dennoch gut, wenn der Gegenwind schließlich nachlässt und einschläft. Damit ich nicht beständig mit dem Leben kämpfen muss und endlich wieder aufrecht stehen kann. Der Körper entspannt sich, das Herz schlägt ruhiger, die Seele atmet auf.
Und es ist gut, sich diesen Augenblick einzuprägen. Diesen mit Glück gefüllten Augenblick, in dem der Wind von dir ablässt und du frisches Leben in dir spürst. Pack ihn in deine Schatzkiste, um dich immer wieder an ihm zu freuen. Und damit du ihn hervorholen kannst, wenn du ihn brauchst.
Er macht dir Mut: Wenn dich deine Wurzeln einmal im Gegenwind gehalten haben, werden sie es wieder tun.
„Die Bewährung lehrt zu hoffen.“ So schreibt es Paulus.

Paulus baut ein Gedankengebäude aus Frieden und Gnade und Herrlichkeit und Standhaftigkeit und Bewährung und Hoffnung.
Damit wir es nicht als Luftschloss abtun, fügt er hinzu:
„Gott hat seine Liebe in unsere Herzen hineingegossen. Das ist durch den Heiligen Geist geschehen, den Gott uns geschenkt hat.“
Für Paulus ist der Glaube so wirklich wie ein Haus aus Stein. Er sieht ihn wie Augen eine Mauer sehen. Er spürt ihn, wie Finger Steine betasten können
Das kannst du auch, sagt er. Im Glauben wohnen wie in einem Haus.

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