Wie einer arbeitet, so betet er auch

Heute haben wir doppelten Grund in der Sonne zu sitzen und zu dösen. Schließlich ist heute doppelt frei: Sonntag und Feiertag.
Aber eigentlich ist das Verschwendung. Es wäre doch besser, statt an einem doppelt frei zu haben, an zwei Tagen einfach frei zu haben.
Wie nett, dass sich da Politiker dafür stark machen, Feiertage nachzuholen, wenn sie auf einen Sonntag fallen.
Vor allem das Nachholen des 1. Mai als freien Tag sei wünschenswert, sagt die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Beate Müller-Gemmeke. „Das hätte Charme. Dann haben Beschäftigte zum einen Zeit für die Kundgebung am Sonntag [ich füge hinzu: und für den Gottesdienst!] und können am freien Montag ihre Zeit der Familie widmen.“

Natürlich wurde dem Vorschlag widersprochen. Der 1. Mai sei ja nicht dazu gedacht, in der Sonne zu dösen, sondern um bei Kundgebungen mit Trillerpfeifen und Transparenten Reformen und Verbesserungen in der Arbeitswelt einzufordern.
Bei der Idee, den Feiertag nachzuholen, „geht [es] also offenkundig gar nicht mehr um die Sache selbst, sondern nur darum, frei zu haben, weniger zu arbeiten“, sagt der CDU-Europaparlamentarier Herbert Reul.
Und das ginge natürlich nicht: Jeder Feiertag, der auf einen Arbeitstag fällt, kostet, sagt Wirtschaftsforscher Christoph Schröder. Mehr als zehn Milliarden Euro beträgt die Wertschöpfung an einem Arbeitstag. Fallen in einem Jahr viele Feiertage auf Arbeitstage, macht sich das im Wirtschafts­wachstum bemerkbar.

Dazu eine Geschichte nach Heinrich Böll:
In einem Hafen liegt ein ärmlich gekleideter Mann in seinem Fischerboot und döst.
Ein Urlauber spricht ihn an: „Sie werden heute einen guten Fang machen.“ Kopfschütteln des Fischers.
„Aber man hat mir gesagt, dass das Wetter günstig ist.“ Kopfnicken des Fischers. „Sie werden nicht mehr ausfahren?“ „Ich bin heute morgen schon ausgefahren.“
„Aber wenn Sie heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal ausführen, würden sie drei, vier, fünf, vielleicht sogar zehn Dutzend Makrelen fangen!“ Der Fischer nickt.
„Sie würden nicht nur heute, sondern an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht viermal ausfahren – wissen Sie, was geschehen würde?“ Der Fischer schüttelt den Kopf.
„In einem Jahr könnten Sie einen Motor kaufen, in drei oder vier Jahren vielleicht einen kleinen Kutter haben, ein Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik – und dann … dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen und auf das herrliche Meer blicken.“
Der Fischer schließt langsam die Augen: „Das tu' ich ja jetzt schon.“

Was mir an der Geschichte vor allem gefällt: Sie stellt mir die Frage, wie ich arbeite und lebe.

Der Urlauber, so stelle ich es mir vor, der lebt, um zu arbeiten. Selbst in seinem Urlaub denkt er an die Arbeit.
Er denkt an die eigene Arbeit, die zuhause ohne ihn eher schlecht als recht weitergeht – schließlich ist er unabkömmlich, nur er kann seine Arbeit so gut erledigen, wie er es tut.
Das hat ihm auch sein Chef versichert, als er ihn in den Urlaub verabschiedete. „Den haben Sie sich wirklich verdient“, hat er hinzugefügt. Einfach so in der Sonne liegen, darf man nicht. Man muss es sich verdienen. Und genehmigt bekommen.
Um danach umso besser zu dienen: „Erholen Sie sich gut. Dann können Sie hinterher wieder kräftig anpacken.“
Auf dem Urlaubsantrag steht schließlich nicht Genussschein. Da steht Erholungsurlaub. Will sagen: Urlaub ist zum Erholen da – zum Erholen fürs Arbeiten.
Der Urlauber hat das verinnerlicht. Selbst in seinem Urlaub wird er nicht dösen. Er wird die Zeit gewinnbringend nutzen. Er wird die Insel von oben nach unten und von links nach rechts durchqueren. Hinter jede besichtigte Sehenswürdigkeit wird er ein Häkchen machen.
Am Ende kann er den Einheimischen ihre Insel erklären. Und dem Fischer, wie er besser arbeitet, um sich etwas zu verdienen, statt einfach so in der Sonne zu dösen.

Der Fischer dagegen, so stelle ich es mir vor, der arbeitet, um zu leben.
Es ist nicht so, dass er ungern arbeitet. Er mag es, auf das Wasser zu fahren, und die Netzen zu stellen. Wieder an Land nimmt er die Fische aus und verteilt sie an die Restaurants, an die Händler auf dem Markt. Dann kehrt er zurück zu seinem Boot und putzt die Netze, eines nach dem anderen.
Was er zu tun hat, füllt den Tag aus. Es dauert, so lange es dauert. Und wenn er fertig ist, ist er fertig. Am Ende des Tagesgeschäftes ist er zufrieden mit sich und dem, was er getan hat. Denn er hat für diesen Tag genug getan.
Er weiß, was er zum Leben braucht, für die Seinen und für sich selber. Und er weiß aus Erfahrung: Was er tut, reicht für das täglich Brot. Was er arbeitet, reicht für das Leben.
Also kann er auch genießen. Das still plätschernde Wasser, die Sonne, die ihn wärmt, der Geruch von Holz und Tang in der Sonne. All das, was er vom Leben bekommt, ohne dafür etwas getan zu haben. Ohne es sich verdient zu haben.

Wie der eine lebt, um zu arbeiten, und der andere arbeitet, um zu leben – so beten sie auch.
Ich stelle mir vor: Am Sonntag besucht der Urlauber den Gottesdienst in seinem Urlaubsort. Er bestaunt die erstaunlich große Kirche. Er freut sich an dem erstaunlich großen Posaunenchor. Er hört aufmerksam die Bibellesung: das Vaterunser.
Und er betet: „Großer Gott, hab Dank für meine Tatkraft. Wie gut, dass ich so vieles tun kann. Ich will etwas machen aus meinem Leben.“
Währenddessen sitzt der Fischer an seinem Platz im Hafen und döst in der Sonne. Der Unterschied zu den anderen Tagen: Heute ist er nicht auf dem Wasser gewesen, hat keine Fische gefangen, keine Netze sauber gemacht. Er hat eben einen Ruhetag.
Wie er da sitzt und döst, betet er: „Guter Gott, hab Dank, dass du mir die leeren Hände füllst. Wie gut, dass du mir Tag für Tag gibst, was ich zum Leben brauche.“
Wie sie da so sitzen und beten, der Urlauber in der Kirchenbank und der Fischer bei seinem Boot, da denken sie an den jeweils anderen.
Wie mag es sich wohl anfühlen, vor sich hinzudösen, während das Leben an einem vorbeiläuft?, denkt der eine. Und der andere denkt: Wie mag sich das wohl anfühlen, der Arbeit nachzulaufen und dabei das Leben zu verpassen?

Ora et labora, heißt es. Beten und arbeiten. Beides gehört zusammen. Wie einer arbeitet, so betet er auch.
Ich kann arbeiten und beten wie der Urlauber. Ich tue es dann aus einer Haltung des Zeigens.
Ich arbeite und ich arbeite, um zu zeigen, was ich leisten kann. Der Motor für das Boot, der Kutter, die Marinadenfabrik – ich erarbeite sie mir nicht, weil ich sie brauche. Sondern weil ich es kann. Und weil ich es anderen zeigen will, dass ich es kann.
Und wenn ich bete, dann bete ich, um zu zeigen. Ich komme zu Gott mit dem, was ich geleistet habe. Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe. Und ich will, dass Gott auf mich stolz ist.
Ich kann auch arbeiten und beten wie der Fischer. Ich tue es dann aus einer Haltung des Empfangens.
Ich arbeite, um zu empfangen, was ich zum Leben brauche. Mir reichen mein Boot und der tägliche kleine Fang, weil sie mir genug geben, um zu leben. Ich weiß, dass ich die Fische gefangen habe – und doch staune ich, dass sie mir ins Netz gehen.
Und wenn ich bete, dann bete ich, um zu empfangen. Ich komme zu Gott mit dem, was mein Leben reich macht. Ich bin dankbar dafür und bitte um das, was ich zum Leben brauche.

So bete ich, wie ich arbeite. Und wie einer betet, so lebt er.
Der Urlauber hält Gott hin, was er in den Händen hält. Und er will, dass Gott ihm bestätigt, dass das schon eine Menge ist. Er stellt sich vor Gott und hofft, dass er sich sein täglich Brot verdient hat. Aber in ihm wohnen weiter die Zweifel, ob es wirklich langt – also muss er immer weiter arbeiten an dem, worauf er vor Gott stolz sein kann. Wie soll er da seinen Urlaub genießen?
Der Fischer hält Gott die leeren Hände hin. Alles, was er von Gott will, ist, dass er ihm die Hände füllt. Mehr kann er von Gott nicht wollen. Er bittet ihn um sein täglich Brot für diesen Tag. Er macht das im Vertrauen, dass Gott es ihm auch geben wird. Heute und morgen und die Tage, die kommen. Schließlich hat er es gestern getan und vorgestern und am Tag davor.
Also sitzt er weiter im Hafen und döst in der Sonne. Zeit sich zu ihm zu setzen, heute am doppelt freien Sonntag der Arbeit.

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