So einfach
„Steh auf, nimm deine Matte und geh!“ Das hatte der Mann zu ihm gesagt, der plötzlich vor ihm stand und ihn fragte, ob er gesund werden wolle.
Natürlich wollte er das. Seit 38 Jahren wartete er darauf. Endlich wieder laufen können. Ein Traum, der ihm in den Jahrzehnten zum Alptraum wurde, weil er sich nicht erfüllen wollte.
Aber es am Ende doch tat. „Steh auf, nimm deine Matte und geh!“ Ja, er nahm seine Matte und ging. So einfach war das.
Am Anfang ist alles ganz einfach.So einfach war das. Am Anfang. Dann kamen die Probleme.
Eine Tür tut sich für dich auf und du trittst durch sie ein in das Haus des Glaubens.
Vielleicht bist du vorher um das Gebäude geschlichen, hast an Türen gerüttelt, die verschlossen waren, hast durch Fenster geschaut, die lange nicht mehr geputzt wurden.
Aber jetzt trittst du über die Schwelle. Vielleicht reicht dir jemand die Hand. Einer, der sich auskennt in dem Haus. Der die Tür von innen für dich öffnet und dich freundlich fragt, ob du nicht eintreten willst.
Und du trittst ein und staunst und fühlst dich wohl: „Ja, hier kann ich bleiben.“ Und du wunderst dich, warum du nicht schon viel früher die Tür gefunden hast.
Du gehst zu den Menschen, die dir winken, dich zu ihnen zu setzen. Einer holt einen Stuhl und stellt ihn dir hin, eine andere springt auf und bringt Teller und Glas.
Du setzt dich und schaust sie an. Sie lächeln dir zu und schenken dir ein und du feierst mit ihnen das Leben.
„Du darfst deine Matte nicht tragen!“ Zwei Vertreter der Behörden hielten ihn fest. Der eine zeigte auf die Matte unter seinem Arm, der andere auf das dicke Buch, das der unter dessen Arm trug.
Da stand drin, dass man das nicht tun dürfe, am Sabbat eine Matte tragen. Da müsse man Gott die Ehre geben und ruhen.
Gott die Ehre geben, das wollte er gern, schließlich war er endlich gesund. Aber ruhen, ach, das hatte er doch zuvor 38 lange Jahre getan.
Das ließen die beiden nicht gelten, und er wollte ihnen den Mann zeigen, der ausgerechnet am Sabbat zu ihm gesagt hatte, er solle seine Matte nehmen. Aber der war weg.
Damit hätte der Ärger ein Ende haben können, wenn er nicht selber für mehr gesorgt hätte. Er ging in den Tempel, um Gott die Ehre zu geben und ihm zu danken. Dort traf er ihn wieder, den Mann, der ihn geheilt hatte, Jesus.
Er dankte ihm, er dankte Gott. Dann ging er fort aus dem Tempel und zu den Behörden und sagte: Der war es, der Wanderprediger Jesus, der mir gesagt hat, ich solle meine Matte nehmen, und ich habe das getan, wo ich doch nicht wusste, dass man das am Sabbat nicht darf.
So einfach ist das. Am Anfang. Dann kommen die Probleme.So einfach war das am Anfang. Und es wurde wieder einfach.
Du fühlst dich wohl im Haus des Glaubens. Du genießt die Gemeinschaft.
Aber die ist nicht nur gastfrei. Die weiß auch, wie einer sich zu benehmen hat, der dazu gehören will. Du musst gerade sitzen am Tisch des Herrn und die Hände auf den Tisch legen.
Es gibt viele Regeln, die du kennen sollst, ohne dass sie dir einer erklärt. Und Vorschriften, die du halten sollst, weil man das eben schon immer so getan hat.
Und es gibt Menschen, die darauf achten, dass du auch das tust, was sie für richtig halten. Schließlich steht das ja in dem dicken Buch, das sie unter ihrem Arm tragen.
Nur den Gastherrn, den vermisst du manchmal. Sein Platz an der großen Tafel bleibt leer. Das muss so sein, sagen die anderen. Er ist dennoch gegenwärtig. Davon spürst du manchmal wenig.
Dafür entdeckst du die Spinnweben in den Ecken des Hauses und den Dreck, der unter den Teppich gekehrt wurde.
Und dir fallen die Leute ein, die dich schon gewarnt haben, als du noch um das Haus des Glaubens herumgelaufen bist. Was, wenn es den Hausherrn gar nicht gibt?
Er war mit dabei, als die Vertreter der Behörden Jesus zur Rede stellten. Oder war es umgekehrt: Jesus stellte die Behördenwächter zur Rede?
Er zeigte jedenfalls auf das dicke Buch unter ihrem Arm und sagte:
„Ihr erforscht die Heiligen Schriften, weil ihr meint, durch sie das ewige Leben zu erhalten. Auch die sind meine Zeugen. Aber ihr wollt euch mir nicht anschließen, um das ewige Leben zu erhalten.“ (Johannesevangelium 5,39-40 -- www.basisbibel.de.)
Die Behördenvertreter schauten verdutzt. Er verstand ihn sofort. Aber er hatte ja auch nicht 38 Jahre über Büchern gesessen, sondern gelähmt auf einer Matte gelegen.
Wenn dann einer kommt und sagt: „Steh auf!“ – dann musst du nicht in Büchern forschen; dann weißt du, wie Trost und Segen sich anfühlen und woher sie kommen. Plötzlich sind sie in dein Leben gefahren. Nicht weil du sie gesucht hast, sondern weil sie dir einer geschenkt hat.
Aber Jesus war noch nicht fertig mit den Behördenmenschen. Freundlich holte er zur Klatsche aus:
„Ich habe euch durchschaut: Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch. Ich bin im Namen meines Vaters gekommen, und ihr lehnt mich ab. Wenn aber irgendjemand anderes in seinem eigenen Namen kommt – den nehmt ihr auf. Wie könnt ihr denn zum Glauben kommen? Es geht euch doch nur darum, dass einer dem anderen Herrlichkeit zugesteht! Aber nach der Herrlichkeit, die der einzige Gott schenkt, strebt ihr nicht.“ (Johannesevangelium 5,42-44 -- www.basisbibel.de.)
Er sah, wie der eine der Behördenmenschen zuckte, als wollte er sich wegducken, der andere aber vor Zorn bebte: Keine Liebe zu Gott? Wo sie doch dessen Gesetze verwalteten.
Er fühlte mehr, als er verstand, dass stimmte, was Jesus den Behördenleuten vorwarf. Sie waren gefangen in dem Netz, dass sie selber gesponnen hatten.
Ein feines, ein kunstvolles Netz aus Regeln über das, was man zu glauben hat und zu tun. Sie webten immer weiter an dem Netz, immer engmaschiger wurde es. Sie achteten darauf, dass jeder tat, was er tun sollte. Und sie wussten, dass auch sie beobachtet wurden.
Es war ein Wettstreit: Wer die Regeln am besten beherrschte, stieg am höchsten. Woher die Regeln einmal kamen und wozu sie gut waren – das spielte nur auf dem Papier eine Rolle.
Sie und all die anderen Behördenvertreter hatten sich selbst gefangen in ihrem Netz. Sie waren so gelähmt, wie er die 38 Jahre auf seiner Matte gelegen hatte.
Es war an der Zeit, dass mal einer kam und zu jedem einzelnen von ihnen sagte: „Steh auf!“ Und eigentlich stand der ja vor ihnen. Aber sie sahen die Hand nicht, die er ihnen zum Aufstehen reichte.
Er, er hatte die Hand genommen. Er war aufgestanden. Und er wusste jetzt auch, wer ihm aufgeholfen hatte. So einfach war das. So einfach würde das hoffentlich bleiben.
So einfach ist das am Anfang. Und es wird wieder einfach.
Da betritt eines Tages ein Fremder das Haus des Glaubens und fragt, ob neben dir noch Platz sei. Du willst erst auf einen anderen freien Platz zeigen. Doch dann stehst du auf und holst einen Stuhl und einen Teller und ein Glas.
Der Fremde sitzt neben dir und ist neugierig. Er will wissen, was du hier machst. Du fängst an, ihm von den Regeln zu erzählen.
Aber er unterbricht dich. Von den Regeln will er nichts wissen. Von dir will er etwas wissen. Was du hier machst. Was du hier suchst.
Dir läuft es kalt über den Rücken und heiß durch den Magen. Das hattest du fast vergessen. Du bist ja in das Haus des Glaubens gekommen, weil du etwas suchtest.
Was war es? Trost? Vielleicht war es Trost. Kein Taschentuch, kein „Das wird schon wieder“. Sondern Trost. Also: Die Gewissheit, dass es Sinn macht, was du erlebst. Das Schöne und das Schwere.
Segen, das wäre ein anderes Wort für diesen Trost. Nicht dass alles irgendwie gut wird und dir nichts geschehen kann. Aber dass du gewiss sein kannst: Einer meint es gut mit dir. Er schaut dich freundlich an.
Der Fremde schaut dich an, ziemlich freundlich immerhin, und nickt. Das kann dich hier finden, sagt er. Dann legt er dir die Hand auf die Schulter und steht auf.
Er geht um den Tisch herum und setzt sich auf den Platz des Hausherrn. Und er nimmt ein Stück Brot und bricht es und gibt es an seine Nachbarin weiter.
Du willst etwas sagen, aber der Fremde, der es auch für dich jetzt nicht mehr ist, legt den Zeigefinger an die Lippen und lächelt dich an.
So einfach ist das. So einfach wird das hoffentlich bleiben.
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