Friedensbergwanderung
Ein langgestrecktes Gebäude steht auf
einem Hügel. Hohe Mauern mit Fensteröffnungen auf drei
Stockwerken. Ein Portal, fast so hoch wie das ganze Gebäude, links
und rechts von Säulen begrenzt.
Vor dem Gebäude weitet sich ein Platz.
Wie Adern zum Herz laufen Wege auf ihn zu. Auf diesen Wegen wimmelt
es von Menschen.
In großen und kleinen Gruppen ziehen
sie zum Hügel. Wem sie unterwegs begegnen, den fordern sie auf,
mitzukommen. Gemeinsam steigen sie die Wege hoch.
Sie treffen sich alle auf dem Platz vor
dem hohen Gebäude. Ein unglaubliches Gedränge. Ein fröhliches
Gedränge.
Wer dort ankommt, verändert sich.
Angestrengte Gesichtszüge lösen sich, gebeugte Rücken richten sich
auf. Zornige Augen beginnen vor Freude zu strahlen, geballte Fäuste
öffnen sich.
Im Gebäude selber stehen sich
Männer gegenüber. Mächtige Männer, die es gewohnt sind, dass man
auf sie und ihren Befehl hört.
Sie reden, sie hören, sie wiegen die
Häupter, sie nicken mit den Köpfen, sie reichen sich die Hände.
Sie treten hinaus aus dem Gebäude, vor
das Portal. Die Menschenmenge steht still und schweigt. Die
gewichtigen Männer breiten die Arme aus. „Friede sei mit euch.“
Die Menge jubelt. Die Menschen liegen
sich in den Armen. Irgendwoher kommt Musik. Die Menschen beginnen zu
tanzen. Ein fröhlicher Reigen. Und das ist nur der Anfang.
Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn
des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem.
Es wird zur letzten Zeit der Berg, da
des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle
Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker
werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des
HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und
wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen
und des HERRN Wort von Jerusalem.
Und er wird richten
unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie
ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln.
Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie
werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr
vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!
(Jesaja 2,1-5.)
Am Freitag Vormittag meldete die
Deutsche Presseagentur:
Israel hat aus Sorge vor neuer Gewalt
erneut den Zugang von Muslimen zum Tempelberg beschränkt. Nur Männer
über 50 und Frauen dürften die heilige Stätte betreten, teilte
Polizeisprecher Micky Rosenfeld am Morgen mit.
"Es sind Sicherheitserwägungen
gemacht worden, und es gibt Hinweise, das es heute Unruhen und
Demonstrationen geben wird."
Palästinenser-Organisationen haben für
heute [also Freitag] zu einem neuen "Tag des Zorns"
aufgerufen.
Nach der Aufforderung der Wakf-Behörde
zum Massengebet wird damit gerechnet, dass Zehntausende zum
Tempelberg kommen werden.
Am Abend meldet DPA:
Rund 10 000 Menschen kamen nach
Schätzungen der jordanischen Wakf-Behörde auf den Tempelberg. Nach
den Mittagsgebeten blieb es zunächst ruhig in Jerusalem. Später
wurden einige Palästinenser verletzt. Sie atmeten Tränengas der
israelischen Polizei ein.
Was hat Jesaja da nur gesehen, als er
das Haus des Herrn auf dem Zion sah und die Völker, die auf den
Tempelberg ziehen, und die Weisung, die von dort ausgeht, und die
Menschen, die Schwerter zu Pflugscharen schmieden?
Das fragen sich schon seine
Zeitgenossen. 15 Jahre nach Jesajas Bild vom großen Frieden besetzen
die Assyrer das Nordreich, zerstören die Hauptstadt Samaria und
zwingen den König ins Exil.
Noch einmal 20 Jahre später belagert
der Assyrer-König Sanherib Jerusalem, die Hauptstadt des Südreichs.
Der König wird deportiert und mit ihm ein Teil der Bevölkerung.
Einige Gebiete des Landes müssen abgetreten werden.
Die folgenden 2.700 Jahre geht die
Geschichte weiter. Es ist keine Geschichte des Friedens. Es ist eine
Geschichte des Streits um die Macht.
Sie erzählt von kleinen Königen und
großen Mächten. Von Aufstand und Besetzung und Befreiung. Von Krieg
und Vertreibung und Heimkehr. Von Zerstörung und Neuaufbau.
Es ist auch eine Geschichte des Streits
um den Zugang zu Gott. Die davon erzählt, wie Juden und Christen und
Moslems gegeneinander streiten.
Darum, wer rechtgläubig ist und wer
ungläubig. Wer den Gott des gemeinsamen Urahnen Abraham so verehrt,
wie er verehrt werden soll.
Es ist eine Geschichte voller Unrecht,
das Juden und Christen und Moslems sich antun. Das auf allen Seiten
groß genug ist, dass man beim Vorrechnen des Unrechts an kein Ende
kommt. Und schon gar nicht zum Frieden.
Was hat Jesaja da nur gesehen als er
die Menschen und Völker sieht, die zum Berg des Herrn ziehen?
Vielleicht ist das, was er sieht und
beschreibt, nicht die Lösung. Vielleicht ist es ein Teil des
Problems.
Wer nur schnell hinsieht, sieht
womöglich das, was er sehen will: Einen Triumphzug, wie ihn
Herrscher gern zeigen.
Der Kaiser, König, Führer vorneweg
hoch zu Pferd und huldvoll winkend. Hinter ihnen Wagen voller
erbeuteter Waffen und Goldtruhen. Und schließlich in Ketten und mit
gesenkten Köpfen die Geschlagenen und Unterworfenen. Am Rand die
johlende und spuckende Menge.
So ziehen die Völker und die Herrscher
zum Zion, zum Berg Gottes: als Geschlagene und Unterworfene. Dort
wartet Gott auf sie und nimmt die Parade derer ab, die zu ihm kommen.
Am Ende, so sagt das Bild denen, die
nur schnell hinschauen, am Ende siegt unser Gott. In den letzten
Tagen werden sich ihm und nur ihm alle Völker unterwerfen. Und wir
werden mit Gott herrschen. Wir werden die Herren des Friedens sein.
Wer nur schnell hinsieht, der sieht wie
unser Gott auf unserer Seite eingreift und den Feinden die Schwerter
nimmt und die Spieße und sie von Soldaten zu Bauern umschult. Als
wäre Gott der Erfinder des Morgenthau-Plans.
Aber ist das Frieden? Wenn einer
gewinnt und der andere verliert? So hört womöglich Krieg auf. Wenn
einer stärker ist als der andere. Wenn einer die Macht hat, dem
anderen den Frieden nach seinem Willen aufzudrängen.
Aber was für den einen ein
Friedensvertrag ist, wird für den anderen zum Schanddiktat. Und nach
kurzer Zeit marschieren wieder die Soldaten und zwanzig Jahre später
brechen die Verlierer den nächsten Krieg vom Zaun.
Was hat Jesaja da nur gesehen, als er
sich auf die Zehenspitze stellte, um hinter den Horizont zu schauen?
Dorthin wo die Sonne nur noch über Gerechten scheint, weil es keine
Ungerechten mehr gibt.
Man muss ein zweites Mal hinschauen.
Dann sieht man in der Völkerwanderung zum Berg des Herrn die einen,
die von weither kommen. Und die anderen, die sich dort schon längst
zuhause wähnen.
Es sind nicht nur die anderen, die
Frieden machen müssen mit Gott. Es sind nicht nur die anderen, denen
Gott die Waffen aus der Hand nimmt und stattdessen ein Buch mit
seiner Anleitung für den gerechten Frieden in die Hand gibt.
Auch die einen, die meinen, einen
Standortvorteil zu haben, sind dabei. Nur weil sie Einheimische sind,
können sie sich noch lange nicht an der Schlange vorbeimogeln. Sie
müssen sich einreihen.
Das Licht des Herrn scheint über
denen, die auf den ersten Blick ungerecht sind. Wie über denen, die
sich in der eigenen Rechtschaffenheit und Rechtgläubigkeit sonnen
wollen.
Siehe da: Da fällt das Licht des Herrn
auf sie beide, auf die einen und auf die anderen. Die einen erkennen,
dass Gott wohl das Unrecht verurteilt, das sie tun – aber nicht
sie, die es tut. Die anderen erkennen, dass Gott sie liebevoll
anschaut – sie aber dennoch nicht tun, was gut und gerecht ist.
Die einen wie die anderen erkennen erst
jeder für sich und dann staunend gemeinsam: Wir sind bestenfalls auf
dem Weg. Auf dem Weg zu dem Menschen, der wir nach Gottes Willen sein
sollen.
Kein einer ist einen Schritt weiter als
ein anderer, kein anderer weiß den Weg besser als irgend einer. Den
Weg zu dem Frieden, den Gott will. Den muss Gott ihnen schon zeigen,
den einen wie den anderen, allen gemeinsam.
Stell dir vor, die großen
Kriegstreiber und die kleinen Streithähne würden das einsehen.
Diejenigen, die sich um die Hoheit über den Tempelberg streiten. Wie
diejenigen, die um die Wahrheit im Familienstreit rangeln.
Stell dir vor, sie würden das
einsehen: Frieden finden wir nur, wenn wir gemeinsam den Weg dorthin
gehen. Sie hätten noch keinen Schritt getan – und stünden schon
in Gottes Licht.
Dann haken sie sich ein und singen
gemeinsam: We are marching in the light of God und gehen los.
Wer nicht
marschieren mag, hält sich einfach an Jesaja. Kommt nun, ihr vom
Hause Jakob – und auch alle anderen: Lasst uns wandeln im Licht des
HERRN!
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