Davon redet der Mund
Der "grüne Mann" in der Elisabethkirche" in Marburg (Foto: B. Dietrich) |
Ein Gesicht, aus dem grüne und goldene Blätter wachsen: Wer die Elisabethkirche in Marburg besucht, wird erstaunt diese Figur entdecken.
Sanft
schaut sie den Betrachter mit einem freundlichen Gesicht an. Die
Gesichtszüge sind weich und zugewandt – kaum zu entscheiden, ob es
sich um einen Mann oder eine Frau handelt.
Grün
und golden glänzen die Blätter, die aus dem Mund und der Stirn
dieses Menschen kommen, so als würden gute Worte und Gedanken aus
ihm herauswachsen.
Jesus
sagt:
Entweder
der Baum ist gut und dann sind auch seine Früchte gut. Oder der Baum
ist schlecht und dann sind auch seine Früchte schlecht. Denn an
seinen Früchten könnt ihr den Baum erkennen.
(Matthäusevangelium 12,33 -- www.basisbibel.de)
Was
dieses Gesicht in der Elisabethkirche hervorbringt, ist gut. Es
schaut nicht nur freundlich, seine Worte und Gedanken sind deutlich.
Es sieht mich an, als fragte es:
Und
wie ist es mit deinen Gedanken und Worten? Sind sie gut oder böse,
heilsam oder zerstörerisch?
Worte
haben Macht, mit ihnen kann man anderen Menschen helfen. Aber auch
Streit zwischen Menschen beginnt meist mit Worten. Solche bösen
Worte können das Zusammenleben von Menschen vergiften und zerstören.
Da
sagt eine Frau über ihre Mutter: „Die ist für mich gestorben.“
Grausamer
kann man sich wohl nicht von einem anderen Menschen lossagen; ein
endgültiger Trennungsstrich. Solche Worte treffen die alte Frau
direkt ins Herz.
Oder
jemand sagt in einem unbedachten Moment etwas Schlechtes über einen
anderen, vielleicht: „Dein hässliches Gesicht will ich nicht mehr
sehen.“
Kaum
gesprochen, tut es ihm schon leid, doch nun ist es zu spät. Alle
Beteuerungen und Entschuldigungen helfen nichts: Was einmal gesagt
ist, lässt sich nicht mehr zurückholen, lässt sich nicht mehr
ungesagt machen.
„Das
Wort ist schneller, das schwarze Wort“, dichtet Hilde Domin. „Es
kommt immer an, es hört nicht auf, anzukommen. Besser ein Messer als
ein Wort. Ein Messer kann stumpf sein. Ein Messer trifft oft am
Herzen vorbei. Nicht das Wort.“
Jesus
sagt:
Am Tag
des Gerichts werden die Menschen Rechenschaft ablegen müssen
für jedes sinnlos dahergesagte Wort! Denn aufgrund deiner eigenen
Worte wirst du freigesprochen. Und aufgrund deiner eigenen Worte
wirst du schuldiggesprochen.«
(Matthäusevangelium 12,36-37 -- www.basisbibel.de)
Dafür
ist der Buß- und Bettag da, als kleiner Tag des Gerichts: Damit wir
Rechenschaft ablegen vor uns selbst und vor Gott. Rechenschaft über
unnütze und unwahre Worte, die aus unserem Mund kommen.
Jesus
sagt:
Ihr Schlangen!
Wie könnt ihr Gutes reden, wenn ihr böse seid? Denn wovon das Herz
voll ist, davon redet auch der Mund.
(Matthäusevangelium 12,34 -- www.basisbibel.de)
Die
Worte weisen zurück auf den, der sie sagt. Wie die Früchte an einem
Baum, so stehen die Worte im Zusammenhang mit der Person, die sie
spricht.
Jeder
bringt nur das hervor, was in ihm steckt. Das trifft, weil wohl jede
und jeder weiß: Es ist nicht immer gut, was ich sage, es gibt Worte,
die verletzt und verstoßen haben.
Oder
ich habe nichts unternommen gegen Worte, die unwahr und zerstörerisch
wirkten. Ich habe den Mund nicht geöffnet, um dagegen zu reden.
Wer
könnte da von sich behaupten, wie ein guter Baum zu sein? Unsere
Worte sind wie ein Spiegel, der uns zeigt, wie wir sind.
Da
nützen dann auch gute Vorsätze nicht. Etwas mehr Vorsicht im Umgang
mit den Worten ist zwar lobenswert, macht mich aber nicht zu einem
anderen Menschen.
Wohlklingende
Worte können mein Wesen nicht ändern. Ich wäre dann nur wie der
Wolf, der Kreide gefressen hat – aber der Wolf bin ich weiterhin.
„Wie
könnt ihr Gutes reden, wenn ihr böse seid?“
Buße
ist mehr als das Erkennen der unnützen Worte und der Versuch, es
künftig besser zu machen. Es reicht nicht, es mit guten statt faulen
Früchten zu versuchen.
Es
käme darauf an, ein guter Baum zu werden. Das meint Jesus mit Buße:
eine Umkehr, die an die Wurzeln geht.
Das
meint Luther mit der ersten von seinen 95 Thesen:
„Da
unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: Tut Buße, hat er
gewollt, dass alles Leben der Gläubigen Buße sein soll.“
Umkehren,
wie kann das gehen? Wie wird aus einem faulen Baum ein guter? Wie
kommen wir zu einer guten Wurzel und guten Worten?
Jesus
sagt:
Ein
guter Mensch holt aus der guten Schatzkammer in seinem Innern nur
Gutes hervor. Ein schlechter Mensch holt aus seiner schlechten
Schatzkammer nur Schlechtes hervor.
(Matthäusevangelium 12,35 -- www.basisbibel.de)
Vielleicht
wäre das ein Bild für die Umkehr: Wir steigen in die doppelte
Schatzkammer in unserem Herzen hinab.
Wir
gehen mit Gott in die schlechte Schatzkammer. Vielleicht heute, am
Buß- und Bettag. Wir schauen uns all das an, was dort verführerisch
glänzt: Scharfe, blitzende Worte, die dazu geschaffen sind, andere
zu verletzen.
Wir
nehmen diese Worte und drücken sie Gott in die Hand: Nimm du sie
mit, ich will sie nicht mehr gebrauchen.
Und
dann lassen wir uns von Gott in die andere Schatzkammer führen, die
gute Schatzkammer. Und bitten Gott, dass er dort all die Worte
ablegt, die er mitgebracht hat.
Worte,
die verbinden und zusammenbringen. Die anderen sagen, was sich keiner
selber sagen kann: Ich liebe dich.
Und
wer weiß, vielleicht verändert sich dann unser Gesicht. Wird weich
und zugewandt. Und grün und golden glänzen die Blätter, die aus
dem Mund und der Stirn wachsen.
Mit Gedanken und Worten von Matthias Wöhrmann.
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