Zwischendurch vereinzelt Frieden

Sieben Menschen sitzen um einen Tisch. Drei Frauen, vier Männer. Vor sich ein Glas Wein, eine Scheibe Brot.
Ein dunkelhäutiger Mann sitzt dort, die rechte Hand verbunden. Einer, der den Krieg erlebt hat, als Opfer und auch als Täter.
Neben ihm eine Frau, kerzengerade, aufmerksam, zugewandt. Sie sitzt für gewöhnlich an vornehm gedeckten Tafeln, führt gebildete Tischgespräche und hat auch sonst etwas zu sagen.
Immer noch etwas zu sagen, das hat auch der Mann daneben. Wenn alles seine zwei Seiten hat, kennt er auch noch die dritte. Wer zweifelt, ist immer im Recht.
Auch der Clown neben ihm lässt sich nicht festlegen. Alles ist Spiel für ihn. So hält er sich den Ernst des Lebens vom Leib, der ihn von allen Seiten bedrängt.
Zum Beispiel die alte, blinde Frau neben ihm. Die Trauer, die Armut haben ihr Gesicht wie ihr Leben tief gezeichnet. Hoffnung verspricht allenfalls das Ende.
Die junge Frau neben ihr dagegen, sie versprüht die Lust am Leben. Das zieht die Männer an, die sie für ihre Lust bezahlen. Verkaufte und gekaufte Liebe.
Das ist gegen all die Regeln, die für den Mann neben ihr maßgeblich sind. Er lebt nach Recht und Ordnung, weiß für sich und für andere, was richtig ist.

Ein merkwürdige Gesellschaft, die sich an dem Tisch eingefunden hat.
Auf der einen Ebene, der Sachebene, hat sie der Maler Sieger Köder dort hingesetzt, für sein Wandbild im Essensraum eines Studienkollegs in Italien.
Und auf der anderen, der Bildebene?
Die sieben Menschen sind alle auf einen achten am Tisch ausgerichtet. Sein Gesicht ist nicht zu sehen. Nur die Hände, die Brot austeilen und zum Wein einladen.
„Nehmt und esst“, sagen die Hände, „nehmt und trinkt!“
„Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Bei mir werdet ihr Ruhe finden.“
Und die drei Frauen und vier Männer nehmen aus den Händen von Jesus das Brot und sie nehmen den Wein. Und sie kauen und schlucken, schweigend. Den Blick nach innen gerichtet.
Es ist so leise, dass fast zu hören ist, wie die Spannung aus ihnen weicht, aus jeder und jedem einzelnen.
Der Rechtschaffene und die feine Dame lehnen sich zurück und legen die Rollen und Regeln ab, nach denen sie spielen. Sie genießen den Augenblick, in dem sie einfach nur sind, wie sie sind.
Die Hure und der Soldat weinen stille Tränen. Es sind Tränen des Schmerzes über das, was andere ihnen angetan haben, was sie sich selber antun. Und Tränen der Hoffnung, dass es ein Ende haben kann.
Der Clown und der Zweifler hören mit dem Denken auf. Die Kommentarschleife in ihrem Kopf verstummt. Sie schmecken den gefüllten Augenblick.
Die Blinde findet ganz tief in sich ein Lächeln und holt es auf ihr Gesicht. Eine zarte Erinnerung an ein Glück, die nicht schmerzt, sondern heilt. Das Leben ist immer noch mehr.

Frieden? Ja, vielleicht fühlt sich so Frieden an. Frieden, den die Frauen und Männer zuerst in sich selber finden.
Dann heben sie den Kopf und die Augen und sehen die anderen, die mit ihnen am Tisch sitzen.
Jede und jeder einzelne sieht und spürt, was sie verbindet: Die Unruhe, die ihr Leben umtreibt. Die Ruhe, die in ihr Leben einzieht.
Sie schenken sich ein Lächeln und Wein nach und reichen einander die Hand und etwas Brot.
Frieden also, der sich ausbreitet. In ihnen. Weil er dort blüht, tut er es auch zwischen ihnen.
Sie richten sich immer noch und wieder auf Jesus aus. Der schaut sie an, eine nach dem anderen, und sagt:

»Denkt ja nicht, ich bin gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
Ich bringe Streit zwischen einem Sohn und seinem Vater, einer Tochter und ihrer Mutter, einer Schwiegertochter und ihrer Schwiegermutter. Die engsten Verwandten eines Menschen werden dann zu seinen Feinden.
Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist es nicht wert, zu mir zu gehören. Und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist es nicht wert, zu mir zu gehören.
Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir auf meinem Weg folgt, ist es nicht wert, zu mir zu gehören.
Wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren. Aber wer sein Leben verliert, weil er es für mich einsetzt, wird es erhalten.«
(Matthäusevangelium 10,34-39 -- www.basisbibel.de)

Das Lächeln verschwindet aus den Gesichtern der Tischrunde, die Blicke werden hart. Kein Frieden? Wieso?
Es fühlt sich doch gerade ganz anders an. Endlich einmal. Nach Frieden eben und Ruhe. Angekommen bei sich selber. Versöhnt mit dem eigenen Leben.
Warum zerstörst du das, Jesus? Lass uns doch hier sitzen, an deinem Tisch. Brich noch etwas Brot ab und bring noch ein wenig Wein. Wir nehmen gern noch mehr.
Wir wollen ihn auskosten den Frieden. Er zergeht uns auf der Zunge und wärmt uns das Herz. So ein Tag, so wunderschön wie heute, der sollte nie vergehen. Mach doch, das er andauert. Du kannst das doch.

Mag sein, dass Jesus das kann. Aber er tut es nicht. Er hält die Zeit nicht ewig an. Der heilige Augenblick verfliegt. Die Uhren ticken wieder. Leise, aber beständig.
Jesus weist der Tischgesellschaft den Weg zur Tür. Hinaus in ihr Leben, in ihren Alltag.
Dorthin müssen sie zurück, jede und jeder einzelne. Noch nicht jetzt sofort, aber gleich. Besser sie denken schon einmal daran, was auf sie zukommt.
Sie sehen sich, wie sie aufstehen, einer nach der anderen, und wie sie vor die Tür treten. Dort ist die Welt noch immer dieselbe. Nur sie, sie haben sich verändert.
Was wird geschehen, wenn sie aufeinandertreffen, die Welt da draußen und sie hier drinnen?

Der Soldat sieht sich zurück in seinem zerschossenen Kriegsland. Ihn ekelt der Hass, der die Gesichter verzerrt. Ihr Krieg ist nicht mehr sein Krieg. Er würde gerne Frieden stiften. Aber sie werden ihm eine Waffe in die Hand drücken wollen.
Die Vornehme sieht sich auf dem nächsten Empfang. Ihr fehlen die Worte für Smalltalk und sie mag die Maske mit dem Dauerlächeln nicht mehr aufsetzen. Nur ein paar ehrliche Fragen und ehrliche Antworten – das ist alles, was sie will.
Der Zweifler sieht sich in der nächsten Diskussion. Wie leer fühlen sich die akademischen Glasperlenspiele an. Viel lieber ginge er hinaus und staunte. Über die Sonne, die kitschig rot aufgeht; über die Rose, die im November noch blüht.
Der Clown sieht sich wieder in der Manege. Er soll dort stolpern und auf den Hintern fallen. Das Leben ist zu ernst für so einen Quatsch, die Zeit zu kostbar, um sie anderen zu vertreiben. Er fängt mitten in der Vorstellung an zu predigen. Und alle lachen.
Die blinde Frau sieht sich wieder im Heim. Sie wartet auf das Klappen der Tür und den Besuch, dem sie erzählen kann. Vom goldenen Oktober und dem dunklen November. Die Schwestern haben keine Zeit, der Sohn kein Ohr.
Die Hure sieht sich wieder in der Einkaufsstraße. Sie spürt die Blicke der Männer auf ihrem Körper. Unsichtbare Hände, die sie überall anfassen. Als würde ihr Körper ihnen gehören. Aber er gehört ihr. Wunderbar gemacht und ihr geschenkt.
Der Rechtschaffene sieht sich wieder im Park. Ein Ball rollt ihm vor die Füße. Er stellt die Tasche weg und geht zu denen, die auf der Wiese spielen. „He, Sie“, ruft ihm einer nach, „das Betreten des Rasens ist verboten!“

So oder so ähnlich wird es sein, wenn die Zeit wieder läuft, dort draußen in der Welt. Wenn die Sieben wieder mittendrin sind in ihrem Leben.
Gegen den Strom werden sie schwimmen müssen. Gegen den Pril der alten Gewohnheiten, der sich seinen Weg durchs Watt so tief gegraben hat. Ob sie dazu die Kraft haben?
Gegen die anderen Menschen werden sie sich stellen müssen. Die, die sie so kennen, wie sie gewesen sind. Die darauf bestehen, dass sie auch so bleiben. Ob sie das schaffen?
Wer sich gegen den Strom stellt, stößt gegen die, die mit dem Strom schwimmen. Wer sein Leben ändert, stellt die in Frage, die ihr Leben einfach so weiter leben.

So oder so ähnlich wird es sein, wenn sie wieder in der Welt sind. Noch sitzen die seligen Sieben hier drinnen und die Zeit steht im heiligen Augenblick still.
Sie fragen Jesus: Gibt es nicht etwas, das uns hilft? Beharrlich zu sein gegen die alten Gewohnheiten? Und denen zu widerstehen, die uns auf unsere Rollen festlegen?
Jesus steht auf und holt sieben Körbe und sieben Karaffen. Er nimmt vom Brot und verteilt es auf die Körbe. Er füllt die Karaffen mit Wein.
Verpflegung für unterwegs, ein Korb und eine Karaffe für jede und jeden von ihnen. Wo sie auch hinkommen, sie brauchen nur einen Tisch. Den decken sie dann mit dem Brot und dem Wein.
Sie laden die Leute ein. „Kommt, es ist alles bereit. Seht und schmeckt, wie freundlich unser Gott ist.“

Viele werden kommen – nicht alle, aber viele – und sich an den Tisch setzen. Gemeinsam werden sie von dem Brot essen und von dem Wein trinken. Es wird nach Ruhe schmecken und nach Frieden.

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