Die Aufgabe
„Ich
will Frieden in die Welt bringen, das ist meine Aufgabe“. Leo sagte
das, ein Konfirmand, den ich vor zwölf Jahren taufen durfte.
Ich
staunte damals, dass er so genau wusste, wozu er in der Welt ist. Und
ich staunte darüber, was er für seine Aufgabe hielt: Frieden
bringen.
Von
Leo zu Jesaja. Der sagt:
Gott
der HERR hat mir die Zunge eines Schülers gegeben, damit ich den
Müden zu helfen weiß mit einem Wort. Er weckt auf, Morgen für
Morgen weckt er mir das Ohr, damit ich höre wie ein Schüler.
(Jesaja 50,4 – Zürcher Bibel).
Jesaja
hat eine Aufgabe.
Er
sieht die Menschen, mit denen er lebt. Fern der eigenen Heimat.
Vertrieben aus den Dörfern, in denen sie sich geborgen fühlten.
Opfer und Verlierer eines Krieges, den sie nicht wollten und doch
führen mussten.
Es
geht ihnen nicht schlecht dort, wo sie jetzt schon längere Jahre
leben. Sie haben sich eingerichtet. Sie haben längst einen neuen
Alltag und ihr Auskommen gefunden, Familien gegründet und Kinder
geboren.
Aber
es geht ihnen nicht gut. Das Leben schmeckt schal, weil sich nicht
der Heimathimmel über ihnen wölbt. Sie sind müde, weil sie nachts
von ihrer Heimat träumen.
Jesaja
sieht die Menschen, mit denen er lebt. Und er hört, was Gott ihm
sagt. Gott redet zu ihm von seinen Plänen, die er für seine
Menschen hat. Er will sie zurückbringen in ihre Heimat. Er will ihr
Herz wieder zum Hüpfen bringen.
Und
er, Jesaja, soll diese Pläne Gottes den Müden weitersagen. Er soll
ihnen Mut zusprechen und Hoffnung machen. Er soll ihnen Freude ins
Herz legen und die Augen zum Leuchten bringen.
Und
Jesaja tut es. Er hört auf die Worte, die Gott ihm zuspricht. Er
hört sie gern, er kann gar nicht genug von ihnen hören.
Und
er sagt sie weiter. Gott macht ihm Mut und Hoffnung. Gott lässt
seine Herz springen und seine Augen leuchten.
Und
die Menschen, mit denen Jesaja lebt?
Gott
der HERR hat mir das Ohr aufgetan, und ich bin nicht widerspenstig
gewesen, bin nicht zurückgewichen.
Denen,
die schlugen, habe ich meinen Rücken dargeboten, und meine Wangen
denen, die mich an den Haaren rissen, gegen Schmähungen und Speichel
habe ich mein Angesicht nicht verdeckt.
Auch
das sagt Jesaja. Die Menschen wollen nicht hören, was er ihnen sagt.
Sie wollen nicht hören, was er ihnen von Gott weitersagt.
Sie
können es nicht ertragen, dass er ihnen von der Heimat schwärmt.
Die Heimat ist verloren. Ihr Leben ist jetzt hier. Ja, es ist die
Fremde, aber sie haben sich eingerichtet.
Da
soll Jesaja nicht kommen und immer wieder die Wunde aufreißen. Er
soll nicht von der Heimat reden. Und schon gar nicht davon, dorthin
zurückzukehren.
Die
Rückkehr – die Herren über sie, die Babylonier, die werden sie
nie zulassen.
Und
Gott: Wie sollte der ihnen zur Rückkehr verhelfen. Wo war er denn,
als sie vertrieben worden aus der Heimat?
Nein.
Die Babylonier sind zu stark. Gott ist zu schwach. Und Jesaja zu
unbequem.
Sie
schlagen ihn, sie ziehen ihn an den Haaren, sie bespucken ihn. Sie
versuchen Jesaja mundtot zu machen. Sie versuchen den Traum von der
Rückkehr auszulöschen.
Und
Jesaja? Jesaja wehrt sich nicht. Er lässt sich bespucken, an den
Haaren ziehen, schlagen. Er erträgt ihren Zorn, er erduldet ihren
Ärger.
Gott
der HERR aber steht mir bei! Darum bin ich nicht zuschanden geworden.
Darum habe ich mein Angesicht wie Kieselstein gemacht, ich wusste,
dass ich nicht in Schande geraten würde.
Er,
der mir Recht schafft, ist nahe! Wer will mit mir streiten? Lasst uns
zusammen hintreten! Wer ist Herr über mein Recht? Er soll zu mir
kommen!
Seht,
Gott der HERR steht mir bei, wer ist es, der mich schuldig sprechen
will?
Auch
das sagt Jesaja. Der Fall ist klar: Wer sich nicht wehrt, der gesteht
sich und anderen ein, dass er gescheitert ist. Der sieht ein, dass er
im Unrecht ist.
Wer
im Recht ist, der muss sich doch wehren. Der muss den Schlägen doch
etwas entgegen setzen. Wie soll er sonst davon überzeugen, dass
seine Worte die Wahrheit sind?
Wer
angegriffen wird und schweigt, liefert den Beweis, dass die anderen
im Recht sind. Die Realisten – nicht die Träumer.
So
denken die Menschen. Aber Jesaja weiß es besser. Er weiß die
Wahrheit auf seiner Seite. Er weiß Gott auf seiner Seite.
Was
er weitersagt, sind nicht seine Worte, es sind Gottes Worte. Was er
zu sagen hat, sagt er ja nicht von sich aus, sondern weil er es sagen
muss. Er hat einen Auftrag – und den muss er ausführen.
Dieser
Auftrag fällt ihm schwer. Der Hass, mit dem ihm die Menschen
begegnen, setzt ihm zu.
Er
versucht sich zu schützen. Hart wird er, hart gegen die anderen,
hart gegen sich selber. Hart wie ein Kieselstein, den nur weiches
Wasser formen kann.
Er
muss ertragen, was er ertragen muss. Damit er weitertragen kann, was
Gott ihm aufgetragen hat.
Und
Gott wird ihm helfen. Da ist er sicher. Ganz am Ende werden sie nicht
mehr über ihn lachen. Dann werden sie mit ihm lachen. Vor Freude,
dass Gott wirklich tut, was er sagt.
Am
Ende werden sie ihm, Jesaja, keine Gewalt mehr antun. Sondern sie
werden staunen über die gewaltige Macht, mit der Gott sie
zurückführt in die Heimat.
Am
Ende werden sie zu ihm, Jesaja, kommen, und bei ihm um Entschuldigung
bitten. Und er wird nicken und sagen:
„Ich
habe nur getan, was Gott wollte. Und Gott hat getan, was er tun
wollte.“ Und still wird er seinen Sieg genießen, der Gottes Sieg
ist.
Ich
bewundere Jesaja. Ich bewundere ihn dafür, wie aufmerksam er ist.
Jedenfalls stelle ich ihn mir aufmerksam vor.
Ganz
aufmerksam für die Menschen um ihn herum, mit denen er lebt. Für
das, was sie bewegt und angeht. Für das, was sie brauchen,
eigentlich brauchen.
Aufmerksam
ist er auch für Gott. Morgen für Morgen wacht er auf und hört auf
Gott. Ganz aufmerksam ist er für das, was Gott will, was sein Wille
ist für die Menschen. Für das, was Gott ihnen geben will an Mut und
Hoffnung.
Und
ganz aufmerksam ist er auch für die Aufgabe, die Gott ihm zudenkt.
„Du sollst es sein“, hört er Gott sagen, „du sollst es sein,
der sie zu den Menschen trägt: die Hoffnung und den Mut, von denen
sie zehren und leben. In dein Ohr und Herz lege ich meine Worte,
damit sie aus deinem Mund an das Ohr und Herz der Menschen gelangen.“
Jesaja
hat etwas verstanden von den Menschen und von Gott.
Die
Liebe kommt in die Welt, aber nicht im Triumphzug, sondern still und
leise. Nicht, indem sie alles überstrahlt – sondern indem sie
leise leuchtet. Nicht in den großen Taten, die auf einen Schlag
alles verändern – sondern im beharrlichen und geduldigen Tun im
Alltag.
Und
so kommt Frieden in die Welt: Nicht als strahlender Sieger, sondern
als leiser Bote. Nicht, indem er die Mächtigen niederringt –
sondern indem er die Ohnmächtigen geduldig macht. Nicht in großen
Schlachten, die den Krieg mit seinen Waffen schlagen – sondern im
gewaltlosen und womöglich endlosen Erdulden und Ausharren.
Wer
Frieden und Liebe in die Welt bringen will, der kann nicht nach den
Regeln von Gewalt und Hass spielen. Der muss aus dem Kreislauf aus
Gewalt und Zorn aussteigen.
Ich
wünsche mir, dass jeder von uns, dass Sie und ich etwas von dieser
Klarheit und Offenheit in uns tragen, wie Jesaja sie hat.
Dass
wir wie er aufmerksam sind für die Menschen um uns herum. Für das,
was sie brauchen, was ihnen fehlt. Für das, was ihnen hilft und gut
tut.
Und
dass wir offen sind für das, was Gott für diese Menschen will. Für
die Liebe, die er ihnen ins Herz legen will. Für die Wahrheit, die
er ihnen zumuten will. Für den Segen, in die er sie stellen will.
Und
dass wir bereit sind für das, was Gott von uns will. Für die
Aufgabe, die Gott jeder und jedem einzelnen überträgt. Denn wir
sind es ja, die anderen, die einander weitersagen müssen, was Gott
für die Menschen will.
Wie
sollen sonst seine Liebe und sein Segen zu uns, zu allen Menschen
kommen – wenn wir sie nicht in die Welt bringen?
Leo übrigens, der Konfirmand von
damals, ist inzwischen ein erwachsener Mann, Mitte zwanzig. Gestern
habe ich mich auf die Suche nach ihm begeben. Und ihn gefunden, auf
Facebook.
Er hat Soziologie und
Erziehungswissenschaften studiert. Und macht gerade seinen Master in
Bildungswissenschaften. Pädagogik also.
Und seine Aufgabe: Frieden in die Welt
bringen? Auf meine Frage schrieb er: „Ich denke, den Frieden werde
ich wohl in kleinem Umfeld in meinem Wirkungskreis versuchen.“
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