Ernte für andere

Um gleich eine große Erntedankfrage zu stellen: Wie kommen wir eigentlich zu einer reichen Ernte? Einer reichen Ernte nicht so sehr auf den Feldern, sondern in unserem Leben? 

Nun, werden vielleicht manche von Ihnen sagen, dazu braucht es das richtige Wetter. Nicht so, wie in den letzten beiden Jahren. Sie legen zumindest den Verdacht nahe, dass wir die ersten Vorboten des Klimawandels erleben. Letztes Jahr hatten wir vom Frühjahr bis zum Herbst die große Trockenheit, auch auf der Insel. Zwar war es in diesem Jahr feuchter, steht der Mais und das Grün für die Tiere besser. Dennoch passten das Wetter und vor allem die Temperaturen zu Föhrs Werbeslogan: friesische Karibik. Dabei waren die Hitzetage hier noch wenige und erträglich. 
Aber für unser Leben brauchen wir beides: Viel Sonne, also schöne Erlebnisse, die uns aufblühen lassen, die uns wärmen. Und es braucht auch genug Regen: Erlebnisse, die uns Kraft geben und wachsen lassen. Urlaub auf Föhr etwa.

Andere von Ihnen werden vielleicht sagen: Eine reiche Ernte wird uns vor allem geschenkt. Da wächst in unserem Leben ohne unser Zutun einfach etwas. Wie etwa auch in diesem Jahr wieder in den Gärten. In unserem kleinen Pastoratsgarten zum Beispiel reichlich Erdbeeren, trotz des Unkrautes um sie herum. Der Pflaumenbaum hing wieder voll. Und von den Birnen gab es Anfang der Woche einfach so eine leckere Torte.
Schön, wenn es auch in unserem Leben so ist. Dass wir einfach so ohne unser Zutun ernten können. Weil wir mit einem Menschen leben, der uns gut tut. Weil Kinder zu uns gehören, die wir wunderbar finden. Weil uns Freunde gefunden haben, die uns verstehen. Weil wir uns in unserem Leben zu Hause und geborgen fühlen.

Die Nächsten werden sagen: Eine reiche Ernte, die verlangt vor allem viel Arbeit und viel Fleiß. So wie sie die Bauern aufbringen, die vor dem Aufstehen schon im Stall bei den Kühen sind. Die immer wieder im Wettlauf mit dem Regen die Silage von den Fennen holen. Wie der Nachbar, der sich jeden Tag um seine Gemüsebeete und sein Gewächshaus kümmert – seine Tomaten schmecken wunderbar. Wie die Nachbarin, die jeden Nachmittag ihre Blumenrabatten pflegt und hegt – die Blütenpracht ist einfach schön anzuschauen.
So verhält es sich auch mit der Ernte in meinem Leben. Es braucht viel Arbeit, um etwas zum Wachsen und Blühen zu bringen. Aber wenn ich mich fleißig einsetze, dann werde ich reich ernten können. Wenn ich gut lerne, finde ich eine gute Arbeit. Wenn ich gut arbeite, werde ich Erfolg ernten.

Und wieder andere werden sagen: Eine reiche Ernte liegt an Gottes Segen. „Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“ So sagt es Jesaja. Ich finde das ein wunderschönes Bild. Ein Bild für die Sehnsucht nach einer reichen Ernte in meinem Leben. Und dafür, dass diese Sehnsucht sich erfüllt. „Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“
Wer einmal in einem trockenen Land war, der weiß um die Kraft dieses Bildes. Der weiß, wie wunderbar es ist, aus einer erdgrauen und kargstaubigen Landschaft plötzlich einen Garten zu betreten, in dem das Grün des Grases leuchtet, das Gelb der Blumen strahlt, das Rot der Früchte wärmt. Ja, wenn so mein Leben wäre, das wäre schön. Wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.
Nun, sagt Jesaja, das liegt nicht nur an Gottes Segen. „Du hast es selber in der Hand“, sagt Jesaja. „Du musst dich nur anstrengen und fleißig sein.“

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.
Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

(Jesaja 58,7-11) 

„Brich mit dem Hungrigen dein Brot“ – „und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“
Vielleicht lassen sich die Worte Jesajas so in aller Kürze auf den Punkt bringen. Die Worte, die Jesaja da im Namen Gottes weiter sagt, die verheißen ja etwas. Sie verheißen eine reiche Ernte in unserem Leben. Und das Schöne daran: Diese Ernte hängt nicht vom Wetter ab, das in unserem Leben herrscht. Wir müssen nicht bang danach Ausschau halten, ob es morgen besser oder schlechter wird. Diese Ernte hängt auch nicht vom Zufall der Natur ab, die uns mal reicher, mal ärmer beschenkt. Nein, wir haben es selber in der Hand, dass und was wir ernten. Wir müssen uns nur anstrengen und fleißig sein.

Aber: Es ist ein besonderer Fleiß, den Jesaja verlangt. Es ist eine besondere Arbeit, auf der dann Gottes Segen liegt.
Wenn wir von Fleiß und Arbeit reden, dann meinen wir für gewöhnlich: „Du kannst es schaffen, wenn du dich nur anstrengst. Dir stehen alle Möglichkeiten offen. Du musst sie nur nutzen. Es liegt alles in deiner Hand. Schaue nur auf dich. Gott ist mit dem Tüchtigen.“
Im Umkehrschluss heißt das freilich: „Wenn du es nicht schaffst, dann hast du dich nicht genug angestrengt. Wenn dir eine reiche Ernte verwehrt bleibt, dann liegt es an dir. Denn schließlich liegt es in deiner Hand – das Gelingen wie das Misslingen, der Erfolg wie der Misserfolg.“ Dabei habe ich doch manchmal trotz allen Fleißes Misserfolg und manchmal in aller Faulheit großen Erfolg.
Ähnlich und doch ganz anders klingt, wie Jesaja den bewässerten Garten verspricht: „Du kannst das schaffen, wenn du dich anstrengst – für den anderen. Dir stehen alle Möglichkeiten offen, wenn du auf den anderen achtest. Sorge dich um den anderen. Und Gott sorgt sich um dich.“
Im Umkehrschluss heißt das: „Wenn du dich nur um dich kümmerst, wirst du vertrocknen. Wenn du nur auf dich achtest, wirst du nichts ernten. Wenn du nur auf dich schaust, wirst du Gott nie erfahren.“ 
Nein, sagt Jesaja, Menschen sind nicht das, was sie mit Fleiß und Arbeit aus sich selber machen. Ihr seid auch und vor allem das, was ihr aus und mit anderen Menschen macht. Gottes Segen liegt nicht um eurer selbst willen auf euch – sondern um der anderen Menschen willen liegt er auf euch.

Da klingelt es zum Beispiel an meiner Haustür. Doppelt, als käme nun die Post. Aber vor der Tür steht einer mit einer speckigen Kappe, ungewaschenen Haaren, Fünf-Tage-Bart, dreckiger Jacke, schmutziger Hose und einem Stoffbeutel. Er riecht, nein: er stinkt; nach Schweiß und Alkohol. Und er will etwas von mir, natürlich: Geld.
Wie geht es weiter? Ich könnte ihm etwas von der Ernte in seinem Leben erzählen, für die er hart arbeiten müsse. Also davon, dass er aufhören soll, zu trinken. Und anfangen, sich eine Wohnung und eine Arbeit zu suchen. Dass er sich mal waschen soll und dann ein wenig anstrengen. Damit etwas aus ihm wird. Er würde sich meine Worte unterwürfig oder verärgert anhören und ohne Geld davonziehen.
Ich kann aber auch die Tür öffnen und ihn hineinlassen. Dann schmiere ich ihm eine Scheibe Brot und koche ihm eine Tasse Kaffee. Ich setze mich zu ihm und leiste ihm beim Essen Gesellschaft. Er erzählt mir seine Geschichte, die ich für wahr halten kann, wenn ich will. Als er dann geht, sagt er: „Das tat gut, vielen Dank.“
Für den Augenblick dieser kleinen Mahlzeit blüht etwas auf, in seinem Leben, in meinem Leben. Weil er erfährt, dass sich einer um ihn kümmert. Weil ich erlebe, wie mich einer freundlich und dankbar anschaut.
Es ist nur ein Augenblick. Aber vielleicht bleibt etwas zurück von diesem Augenblick. Der Eindruck, dass sich zwei Menschen begegnen. Das Gefühl, dass auf diesem Augenblick der Begegnung Gottes Segen liegt. 

Das wäre doch schön, wenn wir das als die reiche Ernte in unserem Leben betrachten würden: Nicht das, was wir aus uns gemacht haben und noch machen. Sondern das, was wir für andere getan haben und noch tun können. Und das wäre doch schön, wenn wir so immer wieder zu einer reichen Ernte kommen würden: Indem wir uns anderen Menschen zuwenden und danach fragen, was wir für sie tun können. 
Dann – so verspricht es Jesaja – dann werden sie und wir sein „wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“

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