Schmerzensmann - noch drei Annäherungen


Drei kleine Texte zum "Schmerzensmann" im Altar von St. Johannis. Geschrieben für "Orgel & Text" am 9. September 2019. Am glücklichen Ende einer einjährigen Krebsauszeit, an deren Anfang ebenfalls "Orgel & Text" mit drei ersten kleinen Texten zum Schmerzensmann standen.

Christus als Schmerzensmann -
Skulptur (15. Jh.) in St. Johannis auf Föhr
Schmerzensmann II: Mit Leben anrühren

Ich stehe vor dir
von Angesicht zu Angesicht
höre dich sagen
Ich lebe
und du
sollst auch leben

Ich höre die Worte
schaue dich an
sehe
wie du dort sitzt
still und ruhig
versammelt
in deiner Mitte

Ich schaue dich an
warte
bis du die Augen öffnest
und mich anschaust
ich warte
bis du die Hand ausstreckst
und mich anrührst

Wie du ihn anschaust
den kleinen großen Mann
auf einen Baum ist er geklettert
einsam und klein
weil er sich selber groß machen wollte
reich auf Kosten anderer
Dein Gast muss ich sein
sagst du zu ihm
er steigt von seinem Baum
bereitet dir ein Essen
sitzt mit dir am Tisch
und fängt an zu leben.

Wie die nahe fremde Frau
von Ellbogen gestoßen
an den Rand gedrängt
nicht wert dass du sie siehst
unwürdig dass du sie anfasst,
aber sie will Reste aufsammeln
von dem was du verschenkst
in maßlosen Maßen
sie rührt dich an
da wendest du dich ihr zu
gibst ihr dein Segen
und sie fängt an zu leben

So fange ich an
zu leben

Wenn du die Augen öffnest
mich anschaust
mit einem Blick
der mich sieht
wie ich mich selber sehe
klein und gernegroß
unter Menschen ganz allein
mit einem Blick
in dem ich mich erkenne
wunderbar gemacht
ein Menschenkind, das dir wohlgefällt

So fange ich an
zu leben

Wenn du mich anrührst
mit einer Hand
die mir schenkt
wonach ich mich sehne
zärtlich und warm
ein Schauer auf meinem Rücken
ein Lächeln um den Mund
eine Träne auf der Wange
Unerhörtes im Ohr
als ich dich sagen höre
Ich lebe
und du
sollst auch leben

Schmerzensmann II: Ins Leben fallen

Ich stehe vor dir
von Angesicht zu Angesicht
und höre dich sagen
Ich lebe
und du
sollst auch leben

Ich höre die Worte
schaue dich an
sehe die Wunde klaffen
in deiner Brust
und das Blut fließen
aus den Löchern
in Füßen und Hand

Ich schaue dich an
warte
bis dein Körper sich krümmt
und windet unter Schmerzen
warte
bis du den Mund aufreißt
das Leid herausschreist
dich abwendest von einem Gott
der das zulässt und dich verlässt

Wie der Versucher darauf wettet
dass einer sich abwendet von Gott
wenn er alles verliert
woran sein Herz hängt
wenn nichts mehr bleibt
was sein ist
wofür er danken kann
doch die Wette verliert der Versucher
weil der eine festhält an Gott
mit Gott rechtet
ihn nicht entlässt
ihm sein Leben
voller Leid und Schmerz
als Ankläger hinhält.

Wie du sie Gott hinhältst
die Wunden am Körper
in Herz und Seele
wie du nach ihm rufst
ihm deinem Vater
den Versuchern zum Trotz
die dich dafür verlachen
dich fragen
wo er denn nun wieder sei
dein allgegenwärtiger Gott

Du bleibst still
schreist nicht
windest dich nicht
antwortest dann leise
allen Versuchern
Ich lasse mich fallen in das Leid
und spüre wie Gott mich in den Arm nimmt
ich werfe mich hinein in den Schmerz
und fühle wie Gott mir nah kommt.
ich überlasse mich dem Tod
und weiß dass ich aus Gott lebe

Die Versucher lachen schriller
schreien lauter
wenden sich ab
Ich sehe weiter hin
schweige mit dir
Ich will versuchen
so gut ich es kann
zu vertrauen
im Leid auf Gottes Arme
im Schmerz auf seine Nähe
im Tod ja auch im Tod
auf das Leben aus ihm
Ich will versuchen
so gut ich es kann
so wahr mir Gott hilft
auf deine leisen Worte zu hören
Ich lebe
und du
sollst auch leben

Schmerzensmann II: Zum Leben aufstehen

Ich stehe vor dir
von Angesicht zu Angesicht
und höre dich sagen
Ich lebe
und du
sollst auch leben

Ich höre die Worte
schaue dich an
sehe
wie du gerade aufgewachst
aus deinem Todesschlaf
am dritten Tag
dich streckst
bereit aufzustehen

Ich schaue dich an
warte
bis du das tust
bis du aufstehst
ein Engel kommt
rollt den Stein zur Seite
du trittst heraus
aus dem Dunkel ins Helle
aus der Höhle ins Freie

Das Grab lässt du hinter dir
gehst los
hinaus auf den Weg
triffst zwei Männer
auf ihrem Weg
ohne Freude
ohne Hoffnung
du schließt dich ihnen an
bringst sie
zu ihnen nach Hause
bleibst bei ihnen
als es Abend werden will
nimmst das Brot
teilst es mit ihnen
sie erkennen dich
nur einen Augenblick
der verfliegt
nur einen Augenblick
der ewig dauert
alles verändert
sie laufen hinaus
in den Abend
der allen Schrecken verliert
stürmen hinein
in das Dunkel
aus dem neues Leben aufsteht

Sie rennen zu mir
nehmen mich bei der Hand
sie reißen mich los
vom Tod und vom Grab
ziehen mich hinaus
in die Nacht
und das Leben
ich laufe mit ihnen
stolpernd erst
ängstlich
dann fasse ich Tritt
die Schritte werden sicher
meine Füße finden den Weg
das Herz fasst Vertrauen
die Seele spannt die Flügel
ich atme auf
atme ein
rieche den Tau des Morgens
vor mir in weiter Ferne
sehe am Horizont
den Silberstreif des Tages
der nie vergeht.

So stehe ich vor dir
von Angesicht zu Angesicht
und höre dich sagen:
Ich lebe
und du
sollst auch leben

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