Ein Nikolaus nach Jesajas Dienstbeschreibung
Ruth Rudolph / pixelio.de |
Das liegt daran, dass im protestantischen Norden im 19. Jahrhundert der Weihnachtsmann den Nikolaus abgelöst hat. Im Süden dagegen, da gibt es noch den Nikolausabend.
An ihm kommt der Nikolaus in die Häuser. Er tritt ein, im roten Überhang mit Kapuze. Er schreitet langsam, mit einem goldenen Stab. Auf dem Rücken trägt er einen großen Sack. Ein langer weißer Bart verdeckt sein Gesicht.
Dann schlägt er sein Goldenes Buch auf. Für die Nikolaus-Unkundigen: Das Goldene Buch ist das Buch, in dem die guten und weniger guten Taten eines Kindes vermerkt sind.
„Fangen wir doch mal bei der Lissy an und schauen, was da in meinem Goldenen Buch über sie steht. Ah, ja. Du brauchst jetzt kein Töpfchen mehr. Das gefällt dem Nikolaus ganz gut.“
„Schauen wir weiter im Goldenen Buch. Eins muss ich dir mal sagen: Also, es ist sehr wichtig, dass man immer gut die Zähne putzt. Das wird der Nikolaus mal im Auge behalten.“
Dann verteilt der Nikolaus die Geschenke. Lissy bekommt eine kleine Zahnbürste mit Zahnpasta, Hausschuhe und Kinderschokolade.
Auf www.nikolausabend.de steht: Der Nikolaus hat natürlich keine hellseherischen Fähigkeiten. Er liest das vor, was die Eltern ihm vorher auf einem Zettel überreicht haben.
Dort steht auch: Es ist nicht ratsam das Kind vom Nikolaus schelten zu lassen. Besser ist es Wünsche zu äußern, durchaus auch mit erhobenem Zeigefinger.
Und: Der Nikolaus kann vom Kind auch Versprechen abnehmen. Dabei aber die guten Eigenschaften nicht vergessen. Das sollte sogar ganz oben stehen.
Das können auch Punkte sein die man noch verstärken möchte. Im gesamten darf man dieses aber nicht übertreiben. Es ist ja ein Nikolausabend und keine Jahresbilanz.
So steht das auf www.nikolausabend.de. Wir sind ja froh und dankbar, dass unsere Eltern nie den Nikolaus eingeladen haben. Das erspart jetzt auch unseren Kindern den Besuch – und uns, ihn mit Zetteln für das Goldene Buch vorzubereiten.
Obwohl so ein Nikolausbesuch mit Goldenem Buch ja eine verlockende Idee für Eltern ist: Endlich können sie ihren Kindern mal sagen, was sie ihnen immer sagen, ohne es selber sagen zu müssen.
Und das können sie in der Hoffnung tun, dass die Kinder auf das hören, was sie immer hören, wenn sie es nicht von den Eltern hören, sondern vom Nikolaus.
Andererseits lässt sich genau das einwenden: Im Goldenen Buch steht nur, was Menschen hineinschreiben. Der Nikolaus sagt nur, was Menschen ihm in den Mund legen.
Im Goldenen Buch müsste etwas stehen, was sich vorher niemand ausdenken kann. Etwas wunderbar und überraschend Neues und bislang Ungehörtes.
Der Nikolaus müsste etwas sagen, das Eltern ihren Kindern nicht sagen und Kinder nicht von ihren Eltern hören. Ach, noch mehr: Er müsste etwas sagen, das Menschen einander nicht sagen können.
Das bringt uns jetzt vom Nikolaus zu Jesaja. Was er sagt, das klingt wie eine Dienstbeschreibung für den Nikolaus, der uns gern besuchen soll.
Jesaja sagt: Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir.
So müsste das sein beim Nikolaus, der nach Hause kommt: Das ist einer, der nicht sagt, was Menschen ihm in den Mund gelegt haben.
Das ist einer, der etwas sagt, aus dem ein Segen spricht, der von weit her kommt. Ein Wort, das ganz fremd ist und deshalb glaubwürdig und vertrauenswürdig.
Jesaja sagt: Denn der Herr hat mich gesalbt, um den Elenden frohe Botschaft zu bringen.
So müsste das sein beim Nikolaus, der zu den Menschen geht: Das ist einer, der ihnen sagt, was ihnen geradewegs ins Herz spricht.
Der spricht aus, wonach sie sich im Tiefsten gesehnt haben. Seine Worte klingen wie eine Melodie, die man noch nie gehört hat und doch beim ersten Hören schon mitsingen kann, weil sie einen tief berührt.
Jesaja sagt: Er hat mich gesandt, um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind.
Uns fallen in diesen Corona-Tagen unzählige Menschen ein, die darauf warten. 400 Menschen sterben hier gerade täglich an dem Virus. Auch andere Länder melden steigende Zahlen.
Aber die Toten sind ja nicht eine Zahl. Sie tragen ja Namen. Zu ihnen gehört ja ein einmaliges, unwiederbringliches Leben. Und Menschen, die es bis eben mit ihnen teilten.
Jesaja sagt: Er hat mich geschickt, um Freilassung auszurufen für die Gefangenen und Befreiung für die Gefesselten.
Auch da fallen uns Menschen ein, die Namen tragen, die aber nicht genannt werden. Sie sehnen sich nach Freiheit und Sicherheit und einem Leben jenseits von Armut und Krieg.
Und sitzen doch in Lagern in Lybien, auf Gran Canaria, auf Kreta. Die kentern doch mit überladenen Schlauchbooten. Und die, die helfen wollen, werden davon abgehalten.
Jesaja sagt: Er hat mich gesalbt, um ein Jahr des Wohlwollens des Herrn auszurufen.
Laut müsste er dieses Jahr ausrufen. Damit die es hören, die im Streit liegen. Die sich nur im Kreis ihrer Argumente drehen und einander ihre Meinungen ins Gesicht schreien.
Und zart müsste er dieses Jahr ausrufen. Damit die Menschen hinhören auf das, was einer nur annehmen kann, wenn es ihm ins Ohr geflüstert wird: Du bist mein Kind, dich habe ich lieb.
Was ja Eltern zu ihren Kindern sagen. Immer wieder und womöglich doch zu selten. Was ihnen umso leichter vom Herzen kommt, je öfter sie es selber gehört haben und hören.
Dazu braucht es einen Nikolaus nach Jesajas Dienstbeschreibung: Einer, der kommt und das Goldene Buch beiseite legt, weil er nur diesen einen Satz auswendig weitersagt: Du bist mein Kind, dich habe ich lieb.
Auf ihn warten wir. Wir warten ungeduldig, weil wir uns sehnen. Wir warten zuversichtlich, weil er unterwegs ist zu uns. Wir warten, jeden Tag ein bisschen ungeduldiger und zuversichtlicher.
Er kommt. Nicht als einer, der alles über die Menschen weiß. Sondern als einer, der alle und jeden neu entdeckt. Nicht als einer, der ins Goldene Buch schaut. Sondern als einer, der in die Augen schaut.
Er kommt. Aber nicht als alter weißer Mann mit Bart. Sondern als kleines Kind in Windeln gewickelt. Nicht als Nikolaus. Sondern als Christkind.
Jesaja sagt: Wie werde ich mich freuen am Herrn!
Jesaja sagt: Meine Seele jauchze über meinen Gott.
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