Mit dem Lob fängt es an
„Du wirst dem Herrn vorangehen und die Wege für ihn bereit machen.“ So sagt Zacharias über seinen Sohn Johannes. Und wie er dann dem Herrn vorangeht, das zeigt der Altar von St. Johannis.
Er zeigt es auf der Außenseite des linken Altarflügels, die wir sehen, weil jetzt im Advent der Altar zugeklappt ist. Johannes steht da hinter einem Pult und sagt den Menschen: Ändert euer Leben.
Macht etwas anders in eurem Leben. Er zählt es an seinen Fingern ab, was sie tun können – die Menschen, die zu ihm kommen, dort, auf dem Bild, hier in der Kirche.
„Wer zwei Hemden hat, soll dem eines geben, der keines hat“, sagt Johannes. „Wer etwas zu essen hat, soll entsprechend handeln.“
So bereitet ihr dem Herrn den Weg. Dem Herrn, der schon längst unterwegs ist, der schon ganz nah ist. So sagt es Johannes, als er herangewachsen ist.
„Du wirst dem Herrn vorangehen und die Wege für ihn bereit machen.“ So sagt es Zacharias, als sein Sohn Johannes gerade erst acht Tage alt ist. Wie er es sagt, das ist auf der Außenseite des anderen Altarflügels zu sehen.
Dort steht Zacharias, gekleidet in ein Priestergewand. Ihm gegenüber sitzt Elisabet. Sie hat Johannes auf dem Arm, er trinkt an ihrer Brust.
Johannes soll Johannes heißen. Auch wenn sonst niemand in der Familie so hieß. Zacharias schreibt den Namen auf. Und er sagt ihn bestimmt auch, als er wieder sprechen kann.
Vor allem aber lobt Zacharias. Er lobt Gott. Damit fängt er an. Damit fängt es an. Mit dem Lob. Zacharias lobt Gott für das, was er getan hat.
Dass er Gott lobt, ist verständlich. Er hat allen Grund dazu. Er ist Vater geworden. Elisabet ist Mutter geworden. Sie sind Eltern geworden. Gegen alles, was sie erwarteten, jenseits allem, was sie erhofften.
Aber Halt! Nicht dafür lobt Zacharias seinen Gott. Zumindest nicht jetzt und nicht laut. Zacharias nennt einen anderen Grund für sein Lob.
„Gelobt sei der Herr, der Gott Israels!,“ sagt Zacharias. „Er hat uns einen starken Retter gesandt.“ Aber der Retter ist nicht Johannes. Das ist ein anderer.
Damit fängt Zacharias an. Mit dem Lob. Für etwas, das noch gar nicht geschehen ist. Jedenfalls nicht in der Abfolge der Geschichte, wie das Lukasevangelium sie erzählt. Christ, der Retter, ist noch nicht da.
Zumindest noch nicht so, dass er rettet. Er ist noch nicht geboren. Er ist gerade mal ein Kind im Mutterleib. Er ist noch im Werden. Er ist noch im Kommen.
Es ist noch Advent. Für Zacharias. Für uns. Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. Aber noch ist Nacht. Noch warten wir auf den Tag.
Das ist ein erstaunliches Zusammentreffen in diesem Advent: Tag für Tag gehen wir auf Weihnachten zu. Tag für Tag kommt der Lockdown näher.
Das Fest der Liebe und des Lebens kommt näher. Die Pandemie greift immer mehr um sich. Als Krankheit und als Tod und als Angst.
In diesem Advent erleben wir es als Gesellschaft gemeinsam: Die Botschaft vom Leben und von der Liebe trifft immer auf eine Wirklichkeit, die Angst macht und bedrohlich wirkt.
Wie feiern Weihnachten, wie schön das Leben ist und wie gut es ist, dass wir zusammen sind mit Menschen, die zu uns gehören. Und wissen doch und erleben es doch, dass es so ja nicht immer und überall ist.
Manchmal ist das Leben nicht schön, sondern bedrohlich und bedroht. Manchmal fehlt da einer oder eine, die doch eigentlich da sein sollte.
Wir erleben in diesem Advent zusammen, was Menschen als einzelne immer wieder erleben: Wie zerbrechlich das Leben ist und wie groß die Sehnsucht, dass es heil und ganz ist.
„Gelobt sei der Herr, der Gott Israels!,“ sagt Zacharias. „Er hat uns einen starken Retter gesandt.“ Aber der Retter ist noch nicht da. Zacharias wartet noch. Er sehnt sich noch.
Aber er beginnt schon zu loben. Er lobt und nimmt schon vorweg, was noch gar nicht geschehen ist. Er lobt den Tag schon mitten in der Nacht. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern.
„Du wirst dem Herrn vorangehen und die Wege für ihn bereit machen.“ So sagt es Zacharias, als sein Sohn Johannes gerade erst acht Tage alt ist und das, was Zacharias sagt, noch gar nicht aufnehmen kann.
Aber vielleicht können wir es aufnehmen. Als etwas, das wir weitertragen, indem wir es tun: Dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereit machen. Den Weg zu uns und zu anderen.
Vielleicht gelingt uns das, indem wir tun, was Zacharias tut: Gott loben für etwas, das er schon längst getan hat und worauf wir immer noch warten. Für etwas, wonach wir uns sehnen und was er längst erfüllt hat.
Was, wenn wir Gott loben dafür, dass er die tröstet, die gerade untröstlich traurig sind? Oder wenn wir Gott loben für das Leben, das er denen schenkt, deren Leben bedroht ist?
Was, wenn wir Gott loben für die Einsicht, die der denen schenkt, die uneinsichtig sind? Oder wenn wir Gott loben für die Gerechtigkeit, die er denen widerfahren lässt, die unter den Ungerechtigkeiten stöhnen?
Es kann sein, dass es dennoch weiter Nacht bleibt. Die Trauer verfliegt nicht einfach. Das Leben ist weiter bedroht. Die Uneinsichtigen werden weiter auf ihren Meinungen beharren. Die Ungerechtigkeiten lösen sich nicht einfach.
Dennoch: Wenn wir loben, lichtet sich schon die Nacht. Wir rufen den Retter herbei. Den, der tröstet und Leben bewahrt. Den, der Einsicht schenkt und zur Gerechtigkeit verhilft.
Wenn wir ihn loben ist er schon da. Da macht er sich bereits bemerkbar mit seiner Kraft. Und die wischt die Tränen ab. Die hält die Hand. Die schenkt einen klaren Blick. Die stärkt den Rücken.
Wenn wir ihn loben, verändert er uns schon. Mitten in der Nacht singen wir vom hellen Tag. Wie wir lachen werden und gemeinsam tanzen. Wie wir Wege finden und was wir zum Leben brauchen.
Und wenn wir loben, bringen wir Hoffnung zu denen, die sie brauchen. Die Hoffnung auf Trost und Einsicht und Leben und Gerechtigkeit. Wir singen ihnen vom Licht, das mitten in der Nacht schon scheint.
Wenn wir loben, bereiten wir den Weg dafür, dass sich etwas ändert in einem Leben und eine Sehnsucht sich erfüllt. Wenn wir loben, bereiten wir dem Herrn den Weg.
Vielleicht sagt Johannes ja auch das: „Wer eine Hoffnung hat, soll dem eine geben, der keine hat. Und wer etwas zu loben hat, soll entsprechend handeln.“
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