Mittendrin statt nur dabei

Petrus ist mittendrin statt nur dabei. Und wir sind dabei und vielleicht auch mittendrin. Ich sehe jedenfalls Petrus, der an der Seite von Jesus läuft. Der reitet auf einem jungen Esel, den er gefunden hat. Ein seltsamer Anblick. Wo Jesus doch sonst immer zu Fuß gegangen ist. Als könnte er nicht mehr laufen oder wäre ihm der Weg zu schwer. Zugleich aber sieht er auch würdevoll aus, wie er auf dem Rücken des Tieres sitzt. Er ruht ganz in sich. Macht strahlt er aus. Eine Macht, die niemandem etwas beweisen muss. Eine heilige Macht, die von Gott kommt.
Sie braucht den Jubel nicht. Jesus braucht ihn nicht. Dennoch brandet er auf. Petrus schaut sich um. Unzählige Menschen stehen am Wegesrand. Immer dichter stehen sie, je näher sie dem Stadttor kommen. Sie breiten Palmenzweige aus. Sie rufen und schreien. „Hosanna. Hier kommt der König.“
Petrus strahlt. Leicht fühlt er sich, ganz leicht. Jetzt merken sie es auch. Die, die sonst immer nur gegafft haben. Die immer nur dabei standen und zusahen. Jetzt ergreift es sie auch.
So wie es ihn ergriffen hat. Jesus kam zu ihm. Er sah ihn an. Und er hatte gesiegt. Petrus musste mit ihm gehen. Den Kopf haben sie über ihn geschüttelt. Was läufst du diesem Jesus nach. Du bist doch verrückt. Alles stehen und liegen lassen. Für diesen Wanderprediger.
Aber jetzt sehen sie es auch: Dieser Mann kommt von Gott. Wo Jesus hinkommt, ist Gott dabei. Er ist mit den Händen zu greifen. Jesus. Und Gott. Wo er ist, wird alles möglich. Blinde sehen die Welt mit offenen Augen. Lahme stehen auf und nehmen ihre Trage und gehen los. Menschen schütteln ihre bösen Geister ab, als wäre es nichts
Alles ist möglich dem, der glaubt. Petrus weiß das. Er hat es mehr als einmal erlebt an der Seite von Jesus. Und jetzt, jetzt wird eine neue Zeit anbrechen. Jetzt, wo die Menschen das auch erkennen. Wo sie auch anfangen zu glauben. Jesus ist der, den Gott schickt, damit die Welt eine andere wird.
Szenenwechsel. Petrus ist immer noch mittendrin und wir sind dabei. Mit den anderen sitzt Petrus in einem Haus in der Stadt. Still ist es. Nur von den belebten Straßen dringen Geräusche zu ihnen hinein. Das Licht eines Leuchters flackert. Es wirft Schatten auf das Gesicht von Jesus. Petrus schaut ihn an.
Müde sieht Jesus aus. Traurig. Eine Stimmung, die sich auch auf ihn legt. Den ganzen Abend schon redet Jesus von Abschied. Von der Zeit, in der er nicht mehr bei ihnen sein wird. Petrus wehrt sich gegen diese Stimmung. Er will keinen Gedanken an Abschied verschwenden. Dennoch, er muss es einfach fragen:
„Jesus, wohin gehst du? Ich komme mit dir. Ich bin sogar bereit, für dich zu sterben.“
Jesus schaut ihn an. „Du bist bereit, für mich zu sterben? Das sage ich dir: Bevor der Hahn kräht, wirst du dreimal abstreiten, dass du mich kennst.“
Petrus erstarrt. Er spürt einen Klumpen im Bauch. Panik, die in ihm aufsteigt. Aber alles ist doch möglich dem, der glaubt. Und ich glaube. Felsenfest glaube ich. Ich bin der Fels, auf den du dich verlassen kannst. Das will er sagen – und sagt es doch nicht. Was, wenn es nicht stimmt? Wenn nichts stimmt. Das nicht, was Jesus sagt. Und das nicht, was er hofft.
Dann wäre am Ende alles umsonst gewesen. Der Weg, den er mit Jesus gegangen ist. All die Hoffnungen wären vergeblich, die er auf Jesus gesetzt hat. Was, wenn Jesus doch nicht die Welt verändert. Wenn sie einfach bleibt, wie sie ist? Und wenn er, Petrus, allein bliebe mit dem, was er hofft und wünscht. Für sich und sein Leben. Für die Welt.
Alles ist möglich dem, der glaubt! Ja, das schon. Aber glaubst du denn? Als würde eine Seifenblase platzen. So fühlt sich an, was Jesus ihm ins Gesicht sagt. Als würde Jesus ihm den Boden unter den Füßen wegziehen, auf dem er eben noch so felsenfest stand. Warum tut Jesus das? Warum erschüttert er ihn in seinen Grundfesten?
Erneuter Szenenwechsel. Wir sind dabei und Petrus ist immer noch mittendrin. Aber viel lieber wäre er nur dabei. Als Zuschauer, den das alles nichts angeht.
Und als der gibt er sich ja auch aus. Als Zuschauer. Dort vor dem Palast des Obersten Priesters, wo er am Tor steht. Mit einem anderen zusammen ist er den Wachen gefolgt, die Jesus gefangen abgeführt haben. Der andere ist hinein gegangen. Der hat Verbindungen nach ganz oben. Den schaut keiner misstrauisch an. Er will berichten, was drinnen mit Jesus geschieht, wenn er wieder hinaus kommt.
Denn Petrus traut sich nicht hinein. Sie würden ihn doch auch festnehmen, wenn sie ihn erkennen. Schließlich hatte er das Schwert gezogen, als sie Jesus verhaften haben. Sie mussten sich doch wehren. Aber Jesus hatte ihn zurück gehalten.
Jetzt steht er vor dem Tor. Und die Pförtnerin spricht ihn an. „Bist du nicht auch einer von Jüngern dieses Mannes?“ Petrus zuckt zusammen. Freundlich fragt die Frau. Bewundernd fast. „Aber Petrus schüttelt den Kopf. Nein, das bin ich nicht!“
Eiseskälte steigt in Petrus auf. Das wird an dem Wind in dieser klaren Nacht liegen. Er geht weg vom Tor. Weg von der Pförtnerin und ihren fragenden Augen. Er geht zum Feuer, das die Wachen angezündet haben. Er stellt sich zu ihnen und wärmt sich ebenfalls.
Einer der Wächter schaut ihn an: „Bist du nicht auch einer von seinen Jüngern?“ „Nein, das bin ich nicht!“ Ein anderer schaut ihn an. Petrus erkennt ihn sofort. Auf den war er mit seinem Schwert losgegangen. Der andere scheint ihn auch zu erkennen: „Ich habe dich doch im Garten bei ihm gesehen!“ „Nein, nein, das kann nicht sein!“ Petrus schüttelt den Kopf und geht schnell in die Nacht. Da hört er einen Hahn krähen.
Alles ist möglich dem, der glaubt? Ja. Aber er glaubt ja nicht. Er verrät alles, worauf er in den letzten Jahren sein Leben gebaut hat. Er verrät Jesus. Er verrät sich selbst. Von wegen Felsen. Ein Wetterhahn ist er, der sich im Wind dreht. Ein wenig eisiger Ostwind und alles ist weggeweht. Leere Versprechungen und hohle Worte.
Allein ist er im kalten Dunkel. Er beginnt zu laufen. Weglaufen, einfach weglaufen. Weg vom Palast und den Wachen. Weg von Jesus. Weg vom eigenen Versagen.
Als er nicht mehr kann, bleibt er stehen. Er lässt sich unter einen Olivenbaum fallen. Er ringt nach Luft. Alles ist möglich dem, der glaubt? Ach, mein Gott – ich glaube, hilf meinem Unglauben.

Wir lassen ihn dort zurück – den atemlosen Petrus. Wir sind hier in der Kirche, in unserem Leben, mittendrin oder vielleicht auch nur dabei.
Die Begegnung mit Petrus klingt in mir nach. Ich fühle mich mit ihm verbunden, ich kann ihn gut verstehen.
Ich kann seine Begeisterung nachvollziehen: „Alles ist möglich dem, der glaubt.“ Er kann diesen Satz sagen, weil er erfahren hat, dass das so ist. Nach einer durchwachten Nacht, in der er keinen einzigen Fisch gefangen hat, wirft er doch noch einmal das Netz aus. Weil Jesus ihm das sagt. Weil er auf ihn vertraut. Da macht er den Fang seines Lebens.
Glaube kann leere Fischnetze füllen und Berge versetzen. Aus diesem Glauben heraus lebe ich. Natürlich ist es vor allem eine Hoffnung, die ich in mir trage: Dass mir mit meinem Glauben nichts unmöglich ist und alles möglich wird.
Aber diese Hoffnung wächst auf dem Boden von Erfahrung. Weil ich das schon einmal erlebt habe, erwarte ich, dass ich es wieder erlebe. Glaube wächst mit jedem Erlebnis, bei dem ich erfahre, was er mir alles möglich macht.
Weil ich das für mich selber so sagen kann, erwarte ich das auch für die Welt. Ich traue Gott zu, dass er in seiner Welt handelt. Weil ich ihn im meinem eigenen Leben entdecke. Dass du so glauben und vertrauen und hoffen kannst – das wünsche ich dir, liebe Anni.
Ich kenne aber auch die Fragen, die Petrus umtreiben. Was, wenn der ganze schöne Glaube nur eine Einbildung ist?
Als Jesus ihn ruft, steigt Petrus aus dem Boot und läuft über die Wellen auf ihn zu. Nach einem Augenblick merkt er, was er da tut – und versinkt in den Wellen.
Jetzt sage ich noch: Natürlich, ich vertraue auf Gott. Das Vertrauen lohnt sich. Eine schreckliche Erfahrung später wird mir dieses Vertrauen brüchig. Wie die Eisschicht auf einem See, die mich von einem Augenblick auf den anderen nicht mehr trägt.
Eben konnte ich mit meinem Glauben noch Berge versetzen. Jetzt liege ich begraben unter einem Berg aus Sorgen und Fragen. Nichts ist mehr möglich. Kein Gott weit und breit. Er ist einfach aus meinem Leben gegangen. Keine Spur führt mich mehr zu ihm. Alle Wege bringen mich weg von Gott.
Ich bin dann versucht, wie Petrus Gott einfach zu verleugnen. Nein, ich kenne ihn nicht. Er hat noch nie eine Rolle in meinem Leben gespielt. Bei Petrus ist es Angst um sein Leben, die ihn dazu bringt. Mir fällt es schwer, Gott zu verteidigen gegen all die Fragen, wo er denn nun sei. Wie er das zulassen könne, was nicht sein darf in meinem Leben und in der Welt: Tod und Streit. Armut und Leid. Ich habe keine Antwort. Außer der Antwort, dass ich keine Antwort habe.
Aber ich habe einen Wunsch: Ich möchte das dann auch so können wie Petrus: Weglaufen, bis ich nicht mehr kann. Bis ich merke, dass ich dem Leid nicht entkomme, den Fragen nicht und Gott auch nicht. Dann, wenn ich das merke: Dass in all den Fragen und in all dem Leid Gott immer noch da ist – dann will ich zu Gott beten: „Ich glaube – hilf meinem Unglauben.“

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