Würde mein Glaube reichen?

Dem Volk aufs Maul sehen – das ist eine hohe Kunst. Luther beherrschte sie, als er das Neue Testament übersetzte Damit , wie er sagte, die Menschen merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“ Er suchte Worte, die treffen.
Er folgte damit dem Vorbild, um das es dem Neuen Testament und Luther geht: Jesus, der das vormachte. Er fand für das, worum es ihm ging, Bilder, Geschichten, Vergleiche, die trafen und treffen. Den Alltag, das Leben, das Denken und Fühlen derer, denen seine Worte galten und gelten.
Hier eine Kostprobe davon, aus dem 14. Kapitel des Lukasevangeliums. (Übrigens in der Übersetzung der Basisbibel, die der Alltagssprache näher ist als die Lutherbibel.)

Stellt euch vor, einer von euch will einen Turm bauen: Setzt er sich dann nicht als Erstes hin,
berechnet die Kosten und prüft: Reicht sein Geld? Sonst passiert es, dass er das Fundament legt, aber den Bau nicht fertigstellen kann. Und alle, die das sehen, lachen ihn aus und sagen: 'Dieser Mensch wollte einen Turm bauen – aber er konnte ihn nicht fertigstellen.'

(Lukasev. 14,28-30 - www.basisbibel.de)

Das ist ein Bild aus dem Alltag. Jeder von denen, die Jesus zuhören, kennt einen solchen Turm: das Gebäude, das mitten im Weinberg steht und dazu dient, von dort den Überblick zu behalten und Gerätschaften unterzustellen. Vielleicht sehen sie einen solchen Turm gerade vor sich, während Jesus mit ihnen redet, auf dem Weg nach Jerusalem.
Und auch wir nicken: Ja, so ist das. Wenn wir nur das Wörtchen Turm durch das Wörtchen Kuhstall ersetzen, spielt das Gleichnis mitten in unserem Inselleben.
Wobei das Gleichnis ja tiefer geht. Der Turm, der Kuhstall – sie sind ja nur Platzhalter. Platzhalter für das, worauf es im Leben ankommt. Für die Vorhaben, an denen unser Herz hängt. Das kann der Kuhstall sein. Oder die Ausbildung, das Studium, die ich aufnehme. Oder die Partnerschaft, die Familie, die ich gründe.
Das kleine Gleichnis vom Turmbau wird so zu einem Ratschlag in Sachen Lebenskunst. Wenn du etwas anfangen willst in deinem Leben, dann prüfe vorher, ob du es zu Ende führen kannst. Hast du die Mittel dazu?
Triff deine Entscheidung erst, wenn du dir dessen sicher bist. Sonst scheiterst du an dir selber und machst dich lächerlich vor den anderen. Jesus als Lehrmeister in Sachen Lebenskunst.

Eine zweite Kostprobe, in unmittelbarer Nachbarschaft zum ersten kleinen Gleichnis:

Oder stellt euch vor: Ein König will gegen einen anderen König in den Krieg ziehen. Setzt er sich dann nicht als Erstes hin und überlegt: Sind zehntausend Mann stark genug um gegen einen Feind anzutreten, der mit zwanzigtausend Mann anrückt? Wenn nicht, dann schickt er besser Unterhändler, solange der Gegner noch weit weg ist. Die sollen Friedensverhandlungen führen.
(Lukasev. 14,31-32 - www.basisbibel.de)

Doch, das ist ein Gleichnis von Jesus. Das steht da genau so. Jesus nicht als Lehrmeister in Sachen Lebenskunst, sondern als Ratgeber in Sachen Kriegskunst.
Auch das ein Bild aus dem Alltag. Auch wenn keiner von denen, die Jesus zuhören, ein König ist oder über Soldaten verfügt. Aber alle wissen, was ein König ist und was Soldaten und was Krieg.
Manche von ihnen fühlen sich vielleicht in ihrer leisen Hoffnung getroffen, die römischen Besatzer aus dem Land zu vertreiben. Und alle, für die Lukas das Gleichnis Jahre später aufschreibt, wissen: Der Aufstand gegen Rom wird nieder­geschlagen, Jerusalem wird – weil die Aufständischen die fremden und eigenen Soldaten nicht zu Ende gezählt haben.
Wieder brauchen wir nicht viel zu ändern am Gleichnis und schon erzählt es von unserem Alltag. Zumindest von dem Alltag, den wir aus dem Fernsehen kennen: In Ägypten stehen sich schon wieder Machthaber und Aufständische gegenüber. In Syrien kämpfen sie seit zwei Jahren gegeneinander – und die Politiker und ihre Berater stehen vor der Frage, ob eine Seite diesen Krieg gewinnen kann. Wieder und wieder zählen sie die Soldaten und kommen zu keinem Ergebnis.
Mit seinem Gleichnis könnte Jesus gut einen der Berater geben, vielleicht sogar einen Vortrag auf der Münchener Sicherheitskonferenz halten.
Aber können Sie sich das vorstellen: Jesus als Ratgeber in Sachen Kriegskunst? Der nicht dazu aufruft, die Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden. Sondern der sagt: Zählt die Soldaten. Und wenn ihr sicher seid, dass ihr gewinnt – zieht in den Krieg?
Zum Glück können wir sagen: Es ist ja nur ein Gleichnis, nur ein Bild. Jesus meint ja nicht den Krieg. Aber was meint er dann? Das Leben? Ist das Leben ein Krieg? Wenn ich mir etwas vornehme in meinem Leben, soll ich es dann planen wie ein Kriegsherr seinen Feldzug? Ich gebe zu: Manchmal sage ich, wenn ich etwas vorhabe: Lasst uns mal einen Schlachtplan machen. Aber ein Schlachtplan für mein Leben?

Was also meint Jesus? Mit seinen Bildern vom Turmbau und vom Feldzug? Noch einmal das Lukasevangelium.

Jesus sagt: "Wer zu mir kommt, dem muss alles andere unwichtig werden: sein Vater und seine Mutter, ebenso Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein eigenes Leben: Sonst kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und mir auf meinem Weg folgt, kann nicht mein Jünger sein. ... Wer von euch nicht alles aufgibt, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein."
(Lukasev. 14,25-27.33 - www.basisbibel.de)

„Was Jesus von denen verlangt, die ihm folgen wollen.“ So überschreibt die Basisbibel die Worte Jesu. Und eigentlich lässt sich, was er sagt, in einem Wort zusammenfassen: „Alles.“ Jesus verlangt alles. „Wer von euch nicht alles aufgibt, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.“ Darauf zielen sie ab, die beiden Bilder vom Turmbau und vom Feldzug.
Wer mit Jesus mitgehen will, der soll sich hinsetzen und seine Entschiedenheit überschlagen: Reicht die, um für Jesus alles hinter sich zu lassen? Wer Jesus folgen will, der soll einen Schlachtplan machen: Reicht meine Kraft, um ganz bei Jesus zu sein?
Wir können die Antwort noch ein wenig hinausschieben. Weil die Frage ja erst einmal anderen gilt. Denen, die tatsächlich bei Jesus sind. In dem Augenblick auf dem Weg nach Jerusalem, als er sich umdreht und zu ihnen spricht.

Er spricht nicht zu ihnen, um sie vor den Kopf zu schlagen. Er will sie vorbereiten und warnen. Was nicht ausschließt, dass sie sich trotzdem vor den Kopf geschlagen fühlen.
Aber Jesus weiß, was kommen wird. Er weiß, was ihn in Jerusalem erwartet. Wenn es irgend ginge, würde er den Kelch an sich vorüber gehen lassen und nicht alles geben. Aber er muss alles geben. Er muss sein Leben geben.
Jesus weiß das. Er weiß auch, was die erwartet, die mit ihm nach Jerusalem gehen. Sie müssen damit rechnen, dass auch sie alles geben müssen. Sie müssen sich dafür entscheiden, bevor sie weiter mit ihm gehen. Sie müssen sich dafür entscheiden, im Fall der Fälle alles aufzugeben, was ihnen wichtig ist. Die Familie, das Zuhause, das Leben.
Petrus, der tut das. Er gibt alles auf, als er nach dem Fischfang seines Lebens alles liegen lässt und Jesus folgt. Er geht einfach weg von seiner Familie, von der Frau, den Kindern. Er geht fort aus seinem Beruf, lässt die Fische einfach in der Sonne liegen. Er will auch sein Leben lassen: „Ich bin bereit mit dir ins Gefängnis zu gehen, ja, mit dir zu sterben!“ So sagt er zu Jesus. Um ihn dann wenig später, als sie Jesus zu Pilatus führen, doch zu verleugnen: „Ich kenne ihn gar nicht!“ Vor dem allerletzten Schritt schreckt er zurück.
Jesus verurteilt das nicht. Er stellt keine Forderung auf, benennt keine Bringschuld, die einer zu erfüllen hätte. Er beschreibt nur den Preis, den es haben kann, wenn einer zu ihm gehören will.

Die Menschen in der Gemeinde, für die Lukas sein Evangelium schreibt, kennen diesen Preis auch. Und die ihn noch nicht kennen, sollen um ihn wissen.
Wer sich der Gemeinde anschließt, dem kann es geschehen, dass er dafür einen Preis zahlen muss. Es kann ihm geschehen, dass seine Familie ihm den Rücken kehrt.

Ob er nun ein Jude ist, der auf einmal sagt: Ich habe den Messias gefunden – und der dafür angefeindet wird: Wie kann einer, der am Kreuz stirbt, der sein, dem Gott Vollmacht gibt?
Oder ob er eine Grieche ist, der auf einmal sagt: Ich habe den Weg zu Gott gefunden – und der dafür ausgelacht wird: Wie kann einer, der hingerichtet wird, uns zu Gott bringen?
Es kann ihm geschehen, dass seine Familie ihn fallen lässt. Es kann ihm geschehen, dass er auf nichts mehr gilt und alles verliert. Weil er sich zur Gemeinde hält. Weil er Jesus folgt.
Also soll jeder einzelne sich hinsetzen und ganz genau prüfen: Will ich das? Kann ich das? Reicht mein Geld, um den Turm zu bauen? Reichen meine Soldaten, um in den Krieg zu ziehen? Reicht mein Glaube, um für Jesus alles hinter mir zu lassen? Reicht mein Glaube, um ganz bei Jesus zu sein?

Wir können die Antwort immer noch ein wenig hinausschieben. Weil sie ja anderen gegolten hat und gilt. Menschen, die in einer anderen Situation gelebt haben und leben, als wir es tun.
Da sind etwa die sieben Mönche des Kloster Notre Dame de l'Atlas in Algerien. Lange Jahre gab es dort ein unaufgeregtes Klosterleben. Aber 1996 wurden sie entführt und enthauptet. Für ihren Glauben mussten sie ihr Leben lassen.
Um ihr Leben fürchten auch ständig die Christen im Irak. In dem Bürgerkrieg dort sind sie zwischen alle Fronten geraten.
Wer sich zur Gemeinde, wer sich zum Glauben, wer sich zu Gott hält – dem kann es geschehen, dass er einen Preis dafür zahlt.
In meiner Zeit im mecklenburgischen Klütz habe ich davon viele Lebensgeschichten gehört. Glaube kostete dort nicht das Leben. Aber er konnte Lebensträume kosten.
Kinder, die in die Kindergruppen der Gemeinde gingen, mussten in der Schule aufstehen und sich auslachen lassen. Konfirmanden wurden nicht zum Abitur zugelassen. Wer im Beruf etwas werden wollte, sollte aus der Kirche austreten.
Der Staat übte Druck aus. Die einen beugten sich dem Druck und gaben ihren Glauben auf. Die anderen hielten ihm stand und gaben ihren Berufswunsch auf. Andere suchten einen Mittelweg, taten dem Staat Genüge und gingen weiter zur Kirche.
Glaube hatte einen Preis – und jeder, der zur Gemeinde gehören wollte, musste sich hinsetzen und abwägen: Will ich das? Kann ich das? Reicht mein Geld, um den Turm zu bauen? Reichen meine Soldaten, um in den Krieg zu ziehen? Reicht mein Glaube, um für Gott manches hinter mir zu lassen? Reicht mein Glaube, um ganz bei Gott zu sein?

Jetzt können wir die Frage nicht mehr weiter hinausschieben. Jetzt müssen wir sie uns selber stellen. Wobei wir ja in der glücklichen Lage sind, sie um das kleine Wörtchen „würde“ zu ergänzen: Würde ich das wollen? Würde ich das können? Würde mein Glauben reichen, um für Gott etwas aufzugeben? Würde mein Glauben reichen, um ganz bei Gott zu sein?
Ich bin ja in der glücklichen Lage, dass ich nicht alles zu geben brauche für meinen Glauben. Eher ist es umgekehrt: Mein Glaube gibt mir, was ich brauche.
Er verspricht mir Gottes Segen, er gibt mir die Zusage, dass Gott es gut mit mir meint. Wenn ich konfirmiert werde, wenn ich kirchlich heirate, wenn ich meine Kinder taufen lasse. Er spricht mir Trost zu und Mut, wenn ich von einem Verstorbenen Abschied nehmen muss. Er gibt mir das Gefühl, dass alles ist, wie es sein soll, wenn ich Heiligabend und Erntedank und hin und wieder mal in die Kirche gehe.
Und das ist gut so. Es ist gut so, dass ich meinen Glauben habe. Und dass er mir gibt, was ich brauche zum Leben.
Aber was wäre, wenn? Was wäre, wenn ich einen Preis zu zahlen hätte? Was wäre, wenn ich etwas aufgeben müsste für meinen Glauben? Würde mein Glauben reichen? Ich kenne meine Antwort nicht.

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