Perlenschatz

„Die feuchte Erde klebt an den Stiefeln. Den Klappspaten in der linken, die Metallsonde in der rechten Hand, folgt Volker Beyer den Spurrillen des Ackers. Das monotone Summen des stabförmigen, von einem Ring abgeschlossenen Geräts durchbricht die Stille. Beyer schwenkt es in rhythmischen halbkreisförmigen Bewegungen, möglichst schnell, um keinen Zentimeter Boden auszulassen. Immer in der Hoffnung, dass das Summen einem schrillen Heulen weicht, die Sonde Metall im Boden anzeigt. Die Sonde heult auf. Neugierde. Spannung. Ernüchterung. ‚Ist nur Eisen’, sagt Beyer.“
So berichtete ein Reporter der FAZ von seiner Begegnung mit Volker Beyer, dem Sondengänger, dem Sonderling, der in der Hoffnung auf einen kleinen oder gar großen Schatz über den Acker geht.

Von zwei sonderbaren Schatzsuchern erzählt auch Jesus, als er einmal mit seinen Jüngern in kleiner Runde zusammensitzt:

"Das Himmelreich gleicht einem Schatz, der im Acker vergraben ist: Ein Mann entdeckte ihn und vergrub ihn wieder. Voller Freude ging er los und verkaufte alles, was er hatte. Dann kaufte er diesen Acker.
Ebenso gleicht das Himmelreich einem Kaufmann: Der war auf der Suche nach schönen Perlen. Er entdeckte eine besonders wertvolle Perle. Da ging er los und verkaufte alles, was er hatte. Dann kaufte er diese Perle."

(Matthäusevangelium 13,44-46 - www.basisbibel.de)

Was Jesus seinen Jüngern erzählt, das sind zwei Kürzestgeschichten, zwei Happen, die Appetit machen auf Nachdenken und Nachträumen. Es sind zwei Gleichnisse vom Himmelreich. Sie erzählen davon, wie Jesus es sich vorstellt, dass das Himmelreich Menschen verändert. Sie erzählen davon, wie wir es uns vorstellen können, dass Gott nah kommt und mein Leben anders macht.
Jesus erzählt die beiden Gleichnisse seinen Jüngern, für die ja schon alles ganz anders geworden ist. Sie sind aufgebrochen, haben alles stehen und liegen und hinter sich zurück gelassen, sind mit Jesus gegangen – weil sie bei ihm die Nähe Gottes, die Fülle des Lebens spürten.
Nun hören sie die beiden Geschichten von dem Schatz im Acker und der kostbaren Perle – und vielleicht entdecken sie, dass es auch ihre Lebensgeschichte ist, die Jesus ihnen erzählt.
Die er uns erzählt: Vielleicht entdecken wir auch, dass Jesus uns meint, wenn er von den beiden Sonderlingen mit dem Schatz und der Perle erzählt.

Was er da erzählt, das klingt allerdings reichlich unwahrscheinlich. Ja, den Traum, einen Schatz zu finden, den träumt nicht nur jedes Kind. Und die Phantasie, was mit dem Reichtum alles anzufangen wäre. Jedes Mal, wenn ich von einem Millionen-Lottogewinn lese, fang ich an, Pläne zu schmieden, was ich mit so viel Geld machen würde. Ich habe das Geld schnell verplant – ohne je auch nur den ersten Schritt zu tun und überhaupt nur einen Lottoschein auszufüllen und abzugeben.
Der Sonderling mit seiner Sonde auf dem Acker ist da schon einen Schritt weiter als ich. Er sucht nach dem Schatz. Er rechnet damit, etwas zu finden – und wenn es nur Eisen ist. Er hofft darauf, dass ihm der große Fund gelingt und setzt dafür Zeit und Kraft ein.
Dazu erzählt Jesus auch seine Gleichnisse: Um Mut zu machen. Das, was mir nahezu unmöglich erscheint, das, was mir ganz und gar unwahrscheinlich vorkommt – das ist bei Gott immer noch möglich und gerade bei ihm wahrscheinlich. Begebe dich auf die Suche und du wirst den Schatz finden. Du wirst finden, was dein Leben ausfüllt und dich zufrieden macht. Öffne deine Augen und dein Herz für Gott – und du wirst seine Nähe spüren.

Jesus macht Mut. Und zugleich fordert er Mut, einen nahezu verrückten Mut.
So unwahrscheinlich der Schatzfund sich auch ausnimmt – er ist doch möglich. So entbehrungsreich der Erwerb des Schatzackers auch ist – er ist immer noch vernünftig, denn der Schatz gehört dem, dem der Acker gehört.
Doch der Perlenhändler ist schlicht verrückt. Oder können Sie sich vorstellen, wie das ist, Ihren gesamten Besitz zu Geld zu machen und dann damit eine Perle zu kaufen, von der Sie nicht wissen, ob Sie Ihnen Geld bringt? Die Sie womöglich gar nicht mehr verkaufen, sondern nur bestaunen wollen?
Der Perlenhändler jedenfalls löst seine Firma auf und beraubt sich seiner Lebensgrundlage. Fast scheint es, als sei er von der besonderen, von der einen Perle besessen.
Jesus erzählt hier ganz einseitig: Frei soll ich sein und alle Sicherheiten loslassen. Alles soll ich wagen, statt die Mutter der Porzellankiste, die Vorsicht, walten zu lassen. Bewährtes soll ich hinter mir liegen lassen und zu Neuem aufbrechen. Statt Geborgenheit im Bekannten zu suchen, soll ich mich im freien Fall ins Unbekannte stürzen.
Doch dazu brauche ich Mut. Und dieser Mut, sagt Jesus, der wächst aus der großen Sehnsucht nach der einen, besonderen Perle. Die Sehnsucht nach der spürbaren Nähe Gottes – danach, in ihr ausgefüllt und zufrieden zu leben. Diese Sehnsucht in mir soll ich spüren und ernst nehmen. Ihr soll ich nachgehen und nachgehen.

Ich soll verrückt sein vor Sehnsucht nach Gott und seiner Nähe – und das Verrückte ist: Mein Verrücktsein wird belohnt. Ich gewinne, wenn ich so verrückt bin.
Die Jünger sind es. Sie sind so verrückt, dass sie alles verlassen und Jesus folgen. Dafür erwarten sie eine Gegenleistung. Und sie bekommen sie: Sie spüren die Nähe Gottes.
Sie hören und sie sehen es, wie Jesus Gottes Nähe zu den Menschen bringt, zu den Lahmen und Blinden, zu den Ausgegrenzten und Gescheiterten. Und sie spüren seinen Segen an sich selber: Dass ihr Leben gut wird, was ihnen auch passiert.

Dieses Gefühl, diese Gewissheit, dieses Vertrauen möchte ich auch für mein Leben haben: Dass es gut wird, was mir auch geschieht. Aber ob ich so verrückt sein kann wie die Jünger? Wie der Mann mit dem Schatz im Acker? Wie der Kaufmann mit der kostbaren Perle?
Es ist doch leichter, an dem festzuhalten, was ich habe: An dem regelmäßigen Einkommen, mit dem ich mein Auskommen habe, auch wenn es natürlich gern mehr sein dürfte. An der Gesundheit, über die ich mich nicht beklagen will, auch wenn es mir natürlich noch besser gehen könnte. An der Familie, in der ich einen guten Rückhalt habe, auch wenn es immer mal Auseinandersetzungen und Missstimmungen gibt.
Das alles, was ich habe, ist ja bereits ein großer Schatz. Er glänzt vielleicht nicht immer besonders hell. Aber wenn ich ihn hin und wieder ein wenig aufpoliere – im Urlaub beispielsweise –, dann kann ich ihm neuen Glanz verleihen.
Und vor allem: Diesen Schatz habe ich, ihn besitze ich. Wieso sollte ich ihn für etwas anderes aufgeben? Vielleicht werde ich ihn nie aus freien Stücken aufgeben, um den anderen Schatz, um die Perle zu bekommen.
Aber was, wenn ich ihn verliere? Wenn die Quelle versiegt, aus der mein Einkommen sprudelte und ich mich um mein Auskommen sorgen muss? Wenn ich krank werde und mein Körper nicht mehr so funktioniert wie bisher. Wenn die Familie auseinander bricht und ich allein dastehe. Hoffentlich öffnen sich dann meine Augen und mein Herz für den Schatz im Acker, für die kostbare Perle, dass Gott mir nahe ist.
Auch das ist verrückt. Doch womöglich glänzt der Schatz, den ich jetzt habe, so stark, dass er erst seinen Glanz verlieren muss, bevor ich den Glanz vom Schatz im Acker, den Glanz der kostbaren Perle wahrnehme.
Dabei glänzen sie so stark, sagt Jesus, dass einer all seinen Reichtum einsetzt, um den Schatz zu bekommen. Dass ein anderer alles, was er hat, hergibt, um die Perle zu erhalten.
Was da so glänzt, das ist das Himmelreich. Für mich ist das die Nähe Gottes, die ich spüre, die ich spüren kann, wenn ich alles loslasse, was mich hält, und mich in ihre Arme fallen lasse.
Es ist das Gefühl, dass Gott mich trägt. Das nimmt mir die Furcht, dass ich den Boden unter den Füßen verliere, wenn meine Existenz wegbricht. Es ist die Gewissheit, dass Gott mir den Rücken stärkt. Das vertreibt die Furcht, dass mir die Kraft zum Leben ausgeht, wenn ich krank werde. Und es ist das Vertrauen, dass Gott mich bei meiner Hand hält. Das hebt die Furcht auf, dass ich allein und verlassen bin, wenn Familienbande reißen.
Dieses Gefühl, diese Gewissheit, dieses Vertrauen sind der Schatz, sind die Perlen, die so glänzen. Manchmal habe ich sie schon und freue mich an ihnen. Manchmal muss ich mich auf die Suche nach ihnen begeben. Dann gehe ich mit meiner inneren Sonde über den Acker meines Lebens mit der Sehnsucht nach der Nähe Gottes, nach dem Gefühl, der Gewissheit, dem Vertrauen, dass mein Leben durch ihn gut wird, was mir auch passiert.
Dann höre ich auf die Gleichnisse, die Jesus erzählt. Und ich will und kann glauben, was er erzählt: Es gibt sie, den Schatz im Acker und die kostbare Perle. Sie warten auf mich, dass ich sie finde und mich durch ihr Glänzen überwältigen lasse.

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