Ich bin ein dankbarer Mensch geworden

Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe unserer Sendung „Lebenszeit“. Heute mit einem besonderen Gast, den Sie alle kennen. Lange Jahre war er Wirtschaftsminister und Vizekanzler. Sie wissen alle: Er hat unser Land durch schwere Jahre geleitet. Was bislang wenige wussten: Er kann auf eine sehr bewegte Lebensgeschichte zurückschauen. Über die will ich mich mit unserem heutigen Gast unterhalten. Herzlich willkommen, Herr Josef. Ich freue mich, dass Sie da sind.

Ich freue mich auch. Vielen Dank für die Einladung.

Herr Josef, ich habe ja mit großem Interesse und auch Vergnügen ihre Autobiographie gelesen, die jetzt im Verlag Genesis erschienen ist. Sie haben ihr den Titel gegeben: „Gott gedachte es gut zu machen“. Wie kamen sie auf diesen Titel?

Die Idee stammt, da muss ich ehrlich sein, gar nicht von mir. Meine Lektorin, der ich für ihre Mitarbeit sehr dankbar bin, hat das Urheberrecht an dem Titel. Das war bei unserem ersten Treffen in einem Café. Sie saß mir gegenüber und schaute mich an und sagte dann ganz unvermittelt: „Gott gedachte es gut zu machen mit Ihnen.“

Was war Ihre Reaktion? Ich kann mir vorstellen …

Ich war natürlich sehr überrascht und muss auch ein wenig dämlich geschaut haben. Jedenfalls wurde mein Gegenüber ein wenig rot und stammelte eine Entschuldigung.

Und doch wurde daraus der Titel Ihres Buches.

Ja, sehen Sie – im nächsten Augenblick wusste ich: Dieser eine Satz, das ist die Überschrift über mein Leben. Der sagt und erklärt alles.

Es gibt eine Szene in ihrem Buch, ganz am Ende, da sagen Sie diesen Satz zu Ihren Brüdern.:

"Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.
Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters!
Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten.
Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte.
Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.
So wohnte Josef in Ägypten mit seines Vaters Hause und lebte hundertundzehn Jahre.

(1. Mose 50,15-22)

Ja, das muss ich erklären. Dieses letzte Kapitel entstand, nachdem die anderen Kapitel schon fertig waren.

Damit ich Sie richtig verstehe: Dieses Kapitel entstand nach der ersten Begegnung mit Ihrer Lektorin?

Ja, genau. Als ich das Manuskript schon abgeschlossen hatte, starb mein Vater Jakob.

Der in hohem Alter mit Ihren Brüdern und deren Familien aus Ihrer Heimat in unser Land gezogen ist.

Ja, genau. Gerade das ist ja das Thema auch in diesem letzten Kapitel.

In dem Sie es Ihren Brüdern ja nicht leicht machen.

Finden Sie?

Ja, finde ich schon. Sie schildern ja, wie ihre Brüder nach dem Tod ihres gemeinsamen Vaters Angst vor Ihnen haben und davor, was Sie nun mit Ihnen machen würden.

Angst hatten Sie wohl. Aber die machte ja nicht ich Ihnen. Die machten sie sich ja selber.

Wie meinen Sie das?

Nun, sie fürchteten, ich würde mit ihnen tun, was sie einst mit mir getan hatten. Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Sie spielen darauf an, dass Ihre Brüder Sie als jungen Erwachsenen ausgesetzt haben.

„Ausgesetzt“ ist nett gesagt. Sie haben mich in ein tiefes Loch geworfen und mich meinem Schicksal überlassen.

Das es dann gut mit Ihnen gemeint hat.

Sonst stünde ich jetzt nicht hier bei Ihnen.

Ihre Brüder fürchteten also Ihre Rache – die Sie dann aber nicht geübt haben. Warum eigentlich?

Die Frage stelle ich mir, seit ich meinen Brüder das erste Mal wieder gegenüber stand. Und das ist nun auch schon wieder einige Jahre her.

Und welche Antwort geben Sie sich?

Es sind zwei Antworten. Die eine Antwort ist eine Frage: Wohin hätte meine Rache geführt? Meine Brüder haben mir gegenüber Schuld auf sich geladen. Aber würde meine Rache die Schuld meiner Brüder aus der Welt schaffen? Sie würde allenfalls neue Schuld neben ihre Schuld stellen, meine nämlich.

Sie haben Ihren Brüdern also vergeben.

Das habe ich nicht gesagt. Ich kann meinen Brüdern ihre Schuld nicht vergeben. Was sie getan haben, bleibt zwischen uns. Sie müssen damit leben und ich muss damit leben.

Können Sie damit leben?

Meinen Sie meine Brüder oder mich?

Sowohl als auch.

Was meine Brüder betrifft, müssen Sie sie selber fragen. Wenn wir uns sehen, spüre ich immer noch, wie schwer es ihnen fällt, mir in die Augen zu sehen.

Und was Sie selber betrifft?

Ich habe die Schuld genommen und Gott in die Hände gelegt. Sie ist zwar noch da. Aber sie steht nicht mehr im Weg. Gott wird in Ordnung bringen, was in Ordnung zu bringen ist und was ich selber nicht in Ordnung bringen kann.

Das klingt, als hätten Sie die Schuld unter den Teppich gekehrt.

Keineswegs. Meine Brüder und ich wissen um die Schuld. Ich habe unter dem gelitten, was meine Brüder mir angetan haben. Und sie leiden jetzt unter dem, was sie mir angetan haben. Die Schuld ist ausgesprochen. Sie liegt auf dem Teppich.

Können Sie das nicht einfach alles vergessen?

Wie soll ich die entscheidenden Ereignisse in meinem Leben vergessen, ohne mich selber zu vergessen?

Und die zweite Antwort, warum sie keine Rache üben?

Die hat eben gerade mit meinem Leben zu tun. Und mit dem Titel des Buches.

Gott gedachte es gut zu machen.

Gott gedachte es gut zu machen. Als meine Brüder nach dem Tod unseres Vaters zu mir kamen, da habe ich ihnen gesagt: „Ihr gedachtet es Böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“

Also: Ihre Brüder haben Sie in die Grube geworfen und Gott hat Sie herausgeholt.

Nein, das wäre zu einfach. Es war ja nicht Gott, der mich aus der Grube geholt hat. Das waren Kaufleute. Und als ich aus der Grube heraus war, wurde ja nicht gleich alles wieder gut. Erst jetzt kann ich das sehen.

Was können Sie sehen?

Den roten Faden in meinem Leben. Dass Gott etwas mit mir und meinem Leben wollte und will.

Also: Mit Gott vom Tellerwäscher zum Millionär. Oder: Aus der Grube an die Spitze des Staates. Nach dem Motto: Ende gut, alles gut.

Auch das wäre zu einfach. Das würde ja heißen, dass Gott nur bei denen ist, die am Ende Erfolg haben. Was ist mit denen, bei denen der Erfolg bis zum Schluss ausbleibt? Und es würde auch nicht den Krisen gerecht, die ein Mensch durchlebt. Es war nicht schön in der Grube. Es war schrecklich, in ein die Fremde verschleppt zu werden. All das, was ein Mensch erleidet, wird nicht dadurch aufgehoben, dass es ihm am Ende wieder gut geht.

Wodurch dann?

Es wird gar nicht aufgehoben. Es wird eingebettet. Eingebettet in den einen Satz: Gott gedachte es gut zu machen.

Das müssen Sie mir erklären.

Ich will es versuchen: Als meine Brüder mich in die Grube geworfen hatten und ich in das Land hier verschleppt wurde, fragte ich mich lange Zeit: Warum? Warum ausgerechnet du? Was hast du getan? In meiner Biographie können Sie nachlesen, dass ich auf diese Frage durchaus Antworten in meinem Verhalten gegenüber den Brüdern fand. An ihrer Stelle hätte ich mich wohl auch in die Grube geworfen.

Aber?

Aber die Antworten halfen mir nicht weiter. Sie veränderten nichts an meinem Leben. Die Antworten hielten mich im Vergangenen gefangen, das ich nicht mehr ändern konnte. Sie eröffneten mir keine Zukunft.

Und wie sind Sie vom Vergangenen los gekommen?

Damals war ich jung. Ich habe einfach weiter gelebt. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Und die Zeit meinte es ja gut mir.

Ich dachte, Gott gedachte es gut mit Ihnen.

Ja. Das sage ich jetzt. Damals habe ich das noch nicht gesehen. Da war die Zeit auf meiner Seite.

Und heute ist Gott auf Ihrer Seite.

Genau. Oder besser: Ich habe mich auf Gottes Seite geschlagen. Ich suche jetzt nach seinen Spuren in meinem Leben.

Und werden sie fündig?

Jeden Tag ein bisschen mehr. Gott gedacht es gut zu machen. Dieser Satz ist nicht so sehr die Summe meines Lebens. Sondern viel mehr das Vorzeichen vor meinem Leben. Ich unterstelle das meinem Leben: „Gott gedachte es gut zu machen.“ Und diese Unterstellung trägt Früchte.

Was für Früchte?

Ich frage nicht mehr, warum mir dieses widerfährt oder jenes ausbleibt. Ich frage jetzt: Wozu lässt Gott dich das erleben? Wo ist da das Gute, also der Segen, den er dir verspricht? Und das macht mein Leben heller, offener für die Zukunft. Auch segensreicher.

Weil sie Antworten finden, die Ihnen Gottes Segen in Ihrem Leben zeigen.

Genau deshalb. Nach dem Gespräch mit meiner Lektorin habe ich meine Autobiographie noch einmal ganz neu gelesen. Eben unter dem Vorzeichen der Überschrift: Gott gedachte es gut zu machen. Und je mehr ich las, desto mehr staunte ich, desto dankbarer wurde ich. Für die Erfolge sowieso. Aber eben und gerade auch für die gefühlten Niederlagen. Gott und sein Segen versteckten sich auf jeder Seite.

Das klingt, als hätte Sie das Schreiben an Ihrer Lebensgeschichte verändert.

Ja. Ich bin ein dankbarer Mensch geworden.

Dank ist das Stichwort. Vielen Dank, Herr Josef, für das Gespräch.

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