Wenn Petrus zwei Mal klingelt

Bibeltexte sind auch nur Menschen. Sie reden von Menschen, aus ihnen reden Menschen. Manche von ihnen sind wie alte Bekannte, die wir schon lange kennen und denen wir immer wieder begegnen.
Da ist der verlorene Sohn, dem wir nachfühlen können, dass er durch die Welt ziehen muss, um etwas zu erleben. Dass er dabei auf die schiefe Bahn gerät, mag uns wohl abstoßen. Aber dann teilen wir doch mit ihm die Freude, dass sein Vater ihn wieder aufnimmt.
Oder da ist der verzweifelte Jeremia, den der Zorn Gottes treibt, Menschen ihre Fehler vorzuhalten, den Finger in ihre Wunden zu legen – und der ihnen doch viel lieber freundliche Wort sagen würde. So wie es Jesaja tut, sein Prophetenkollege, der von Gottes Zukunft mit seinen Menschen, von der Zukunft der Menschen mit ihrem Gott schwärmen darf.
Sie sind alte Bekannte, denen wir immer wieder begegnen: dem einer eher mit gemischten Gefühlen, dem anderen mit großer Wiedersehensfreude.

Stellen Sie sich einmal vor, so ein Text, der Mensch hinter oder in diesem Text, würde bei uns zu Hause an der Tür klingeln.
Ein Besuch, der uns unerwartet trifft, der aber nicht ungelegen kommt. Denn wir haben gerade Zeit, wollen uns in aller Ruhe einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen widmen. Beides reicht bestimmt noch für einen Gast mehr.
Es klingelt also. Wir gehen aus der Küche an die Tür und da steht der Predigttext vor uns:
„Guten Tag, ich bin Petrus.
Deswegen will ich euch immer wieder an das Gesagte erinnern – auch wenn ihr ja schon alles wisst und unerschütterlich an der Wahrheit festhaltet, die ihr kennt. Aber ich halte es für richtig, euch durch die Erinnerung daran wach zu halten – jedenfalls solange ich noch in diesem Zelt lebe. Denn ich weiß, dass ich mein Zelt bald abbrechen muss. So hat es mir auch unser Herr Jesus Christus angekündigt.Ich will mich aber nach Kräften bemühen, dass ihr euch das Gesagte jederzeit ins Gedächtnis rufen könnt. Auch dann noch, wenn ich von euch gegangen bin."
(2. Petrus-Brief 1,12-15 -- www.basisbibel.de)

Es gibt ja so Menschen, die mit der Tür ins Haus fallen. Kaum, dass wir dazu kommen, selber etwas zu sagen, sprudelt es aus ihnen heraus. Oft sind das die Vertreter, die ihren Staubsauger und eine Versicherung an den Mann oder die Frau bringen wollen. So einer ist dieser Petrus nicht. Obwohl er doch ein wenig an die erinnert, die an der Tür klingeln, um sich mit uns über die Bibel zu unterhalten.
Wir treten also erst einmal einen skeptischen Schritt zurück, schauen uns Petrus an und versuchen zu begreifen, was er für einer ist und was ihn zu uns führt.
„So lange ich noch bei euch lebe“, hat er gesagt und davon gesprochen, dass er bald das Zelt seines Körpers verlassen würde. Offenbar denkt er, weiß er, dass er bald sterben wird. Und es scheint, dass er vorher noch etwas loswerden will. Dass er uns besucht, um uns etwas für die Zeit nach seinem Tod mitzugeben. Ein letzter Wille vielleicht oder ein Erlebnis, das nicht vergessen werden soll oder eine Erkenntnis, eine Einsicht, die er unbedingt weitergeben will.
Wenn ein Mensch stirbt, geht ja Einmaliges verloren: seine Lebensgeschichte, die nur er gelebt hat, sein Können, das nur er erworben hat.
Wie gut, wenn man beides vor seinem Tod an die nachfolgende Generation weitergibt oder weitergeben kann, dass es bewahrt bleibt. Nicht allein um des Bewahrens willen, sondern weil es auch den Nachfolgenden, den Erben hilft, das Leben zu verstehen und zu bestehen.
So zumindest sieht es Petrus. Was er uns zu sagen hat, hat mit einem Ziel zu tun, das wir erreichen können, erreichen sollen. Welches Ziel das ist, sagt er nicht. Er geht davon aus, dass wir es kennen. Wir wissen ja schon Bescheid, er braucht uns bloß zu erinnern. Auch wenn uns jetzt nicht gleich einfällt, woran er uns erinnert, was für ein Ziel das sein soll, das vor uns liegt – wir bitten Petrus erst einmal herein. Draußen ist es kalt, drinnen duftet der Kaffee und Petrus scheint sein Anliegen wirklich auf der Seele zu brennen.

So sitzen wir also mit ihm im Wohnzimmer, freuen uns, dass ihn der Kuchen schmeckt, schenken ihm noch eine Tasse Kaffee ein und warten geduldig gespannt, was nun noch kommt.
Nach einer Weile schaut Petrus uns an, stellt die Tasse beiseite und beugt sich zu uns hin.
"Wir haben euch ja angekündigt, dass unser Herr Jesus Christus machtvoll wiederkommen wird. Und dabei haben wir uns nicht auf ausgeklügelte, erfundene Geschichten gestützt. Sondern wir haben mit eigenen Augen seine wahre Macht und Größe gesehen. Gott, der Vater, ließ seine Ehre und Herrlichkeit sichtbar werden – damals,als von der Ehrfurcht gebietenden Herrlichkeit Gottes her eine Stimme erklang, die zu ihm sprach: "Das ist mein Sohn, ihn habe ich lieb. An ihm habe ich Freude." Diese Stimme haben wir selbst gehört. Sie kam vom Himmel her, als wir mit Jesus auf dem heiligen Berg waren."
(2. Petrus-Brief 1,16-18 -- www.basisbibel.de)

Das also ist es, woran Petrus uns erinnern will. Ja, er hat Recht, er sagt uns nichts Neues, das haben wir alle schon gehört und in unserem Herzen bewegt: Jesus Christus kommt und in ihm kommt Gott.
Das haben wir eben gerade erst gefeiert, als wir Weihnachten gefeiert haben. Auch wenn diese Geschichte manchmal wie ein Märchen klingt: Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.
Das erinnert an die drei Worte, mit denen Märchen beginnen: Es war einmal… Aber es meint doch das genaue Gegenteil. Es war nicht irgendwann einmal, sondern es geschah zu der Zeit, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte.
Da kam Gott zu den Menschen als Mensch zur Welt. Nur dass es schon so lange her ist, dass es so fern und so zeitlos wie ein Märchen erscheint. Schade, dass Petrus uns das voraus hat: Augenzeuge zu sein. Wir können nur darauf vertrauen, dass es wahr ist, was Petrus uns erzählt.
Auch diese Geschichte kennen wir schon, die Geschichte von seinem Erlebnis auf dem Berg, von diesem einmaligen Moment, diesem heiligen Moment, als sich Petrus und den beiden anderen Jüngern die Augen öffneten und sie für die Dauer eines Blitzschlags erfasst, dass in diesem Jesus, mit dem sie durch das Land zogen, dass in diesem Jesus ihnen Gott selber begegnet.
Wie ein Blitzschlag hat sich Petrus dieses Erlebnis in die Erinnerung eingebrannt. Von dem Erlebnis und der Erinnerung daran hat er gelebt, lebt er noch, da er vor uns auf dem Sofa sitzt. Das können wir spüren. Das Erlebnis und die Erinnerung daran geben ihm Kraft, sein Leben zu bestehen – und sie macht ihm Hoffnung, dass er dort, wo er jetzt bald hingeht, der göttlichen Hoheit Jesu wieder begegnet. Das ist das Ziel, das er vor sich hat, das auch wir vor uns haben. Damit wir das vor unserem inneren Auge bewahren, will Petrus uns seine Erinnerung einbrennen, die sich ihm so eingebrannt hat.

Während er das tut, wird der Kaffee in seiner und unserer Tasse kalt und die Kerze, die wir angezündet haben, kürzer. Als Petrus irgendwann schließlich aufsteht, um zu gehen – nein, er möchte nicht noch ein Stück von dem leckeren Kuchen – als er dann aufsteht, zeigt er auf die Kerze:
"So gewinnt das prophetische Wort für uns noch an Zuverlässigkeit. Und ihr seid gut beraten, wenn ihr euch daran haltet. Denn dieses Wort ist wie ein Licht, das an einem dunklen Ort brennt – solange bis der Tag anbricht und der Morgenstern in eurem Herzen aufgeht."
(2. Petrus-Brief 1,19 -- www.basisbibel.de)

Wir bringen ihn zur Tür und verabschieden uns von ihm. Wir schauen ihm nach, bis er um die nächste Straßenecke verschwindet und gehen in Gedanken ins Wohnzimmer zurück, wo noch die Kerze strahlt.
Das Licht, das in der Dunkelheit brennt, hat Petrus gesagt, das sind die Worte der Propheten, das sind die Worte aus der Bibel. Und das haben wir ja auch schon erfahren.
Immer mal wieder stoßen wir auf Worte aus der Bibel, die uns aus der Seele sprechen. Was uns an Sorgen bedrückt, das bringen sie zur Sprache. Der Mut, den wir fassen wollen, den sprechen sie uns zu. Es ist, als würden uns diese Worte Türen in unserem Herzen öffnen, damit das Licht Gottes, seine Wärme in uns einströmen kann. Die Worte können das, weil sie selber etwas von dem Licht, der Wärme Gottes empfangen haben.
Der Blitzschlag, in dem Menschen wie Petrus die Nähe und die Hoheit Gottes erfahren und erlebt haben, der hat sich diesen Worten eingebrannt. Und manchmal, wenn wir diesen Worten begegnen, durchfährt der Blitzschlag auch uns und brennt sich uns ein.
Vielleicht geht uns das auch mit den Worten unseres Besuchers so, mit den Worten des Petrus, der gar nicht der Petrus sein kann, der sich nur seinen Namen geliehen hat und in seinem Namen schreibt – 60 Jahre etwa nach dem Tod von Petrus.
Er hat sich den Namen geliehen, weil er im Geist von Petrus schreibt, weil er lebendig machen will, was Petrus lebendig gehalten hat: Die Erfahrung, das Erlebnis, dass Gott sich ihm gezeigt hat – in Jesus, mit dem er durch das Land gezogen ist.
Ich stelle mir vor, dass auch der Mensch, der im Namen von Petrus schreibt, so eine Erfahrung, so ein Erlebnis gehabt hat: Dass Gott sich ihm zeigt, dass Gott sich mit seiner Nähe und Wärme von ihm spüren lässt, dass Gott sich ihm wie ein Blitzschlag einbrennt.
Und ich stelle mir vor, dass wir alle, die wir heute Morgen hier sind, das auf die eine oder andere Weise erfahren haben. Es wird wohl nicht die Stimme vom Himmel gewesen sein, die wir gehört haben. Aber da wird es vielleicht den einen Moment der Stille in einer Kirche, den Ausblick von einem Berggipfel, das Rauchen des Meeres gegeben haben, in dem wir gespürt haben, dass Gott uns ganz nahe ist, wo wir für die Dauer eines Blitzschlags gewiss gewesen sind, dass Gott bei uns ist.
Oder da war die Begegnung mit einem besonderen Menschen, ein Gespräch, vielleicht auch nur eine Geste, die tief hineinreichte in das, was uns und unser Leben ausmacht. Sie hat uns bewegt und zugleich auf festen Grund gestellt, weil wir spürten, dass Gott unser Leben trägt.
Vielleicht wäre es eine gute Idee, mit diesen Erfahrungen und Erlebnissen einmal bei einem Menschen zu klingeln, um ihm zu erzählen, was sich uns eingebrannt hat, wovon wir leben, um ihn zu erinnern, wovon wir alle leben, welches Ziel wir haben: Gottes Nähe.

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