Drei, die immer weiterlaufen

„Wir sind förmlich umgeben von einer riesigen Wolke von Zeugen. Darum lasst uns alle Last abwerfen, besonders die der Sünde, in die wir uns so leicht verstricken. Dann können wir mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der vor uns liegt.“
(Brief an die Hebräer 12,1 – www.basisbibel.de)

Er läuft. Der linke Fuß drückt sich vom Asphalt ab, das rechte Bein schnellt nach vorne. Der rechte Fuß federt sein Gewicht ab, er wirft das linke Bein nach vorne.
Die Arme folgen der Bewegung und halten ihn im Gleichgewicht. Gleichmäßig geht der Atmen. Durch die Nase zieht er die Luft tief ein, durch den Mund stößt er sie aus.
Er freut sich. Er hat seinen Rhythmus gefunden. Alles passt zusammen und fügt sich ineinander. Der Atem, die Arme, die Beine. So kann er stundenlang weiterlaufen.
So muss er stundenlang weiterlaufen. Kilometer 15 zeigt das Schild vor ihm. Noch nicht einmal die Hälfte der Strecke hat er geschafft. Mehr als 25 Kilometer warten noch auf ihn.
Er weiß: Irgendwo hinter dem 20-Kilometer-Schild wartet der tote Punkt auf ihn. Er wird aussteigen wollen. Weil der Atem zu kurz wird, der Puls rast, die Beine schmerzen.
Aber er wird weiterlaufen. Ihm wird helfen, dass andere mit ihm laufen. Sie werden ihn mit sich ziehen. Weil sie weiterlaufen, wird er weiterlaufen. Immer wird einer einen anderen neben sich haben, an den er sich halten kann.
In allen Gesichtern wird zu sehen sein, wie sehr sie sich anstrengen. Verkrampfen werden die Gesichtszüge – bis sie sich plötzlich lösen.
Gegen den Widerstand, den sein Körper leistet, wird er sich durchsetzen. Fünf, sechs Kilometer wird er kämpfen. Dann wird er seinen Körper besiegt haben – und ihm wird sein, als würde er dem Ziel entgegen fliegen.
Das Ziel wartet auf ihn und es lockt ihn. Bei Kilometer 42,195. Müde wird er sein, wenn er dort ankommt. Noch Tage später wird er spüren, wie anstrengend dieser Marathon war und welche Kraft er ihn gekostet hat.
Genauso wird er das Glück spüren, das ihn durchströmt, sobald er den Zielstrich überquert hat. Die Anstrengung wird mit den Tagen verblassen. Das Glück wird bleiben.

„Wir wollen den Blick auf Jesus richten. Er hat uns zum Glauben geführt und wird ihn auch vollenden. Er hat das Kreuz ausgehalten und der Schande keine Beachtung geschenkt. Denn auf ihn wartete die große Freude, an der rechten Seite von Gottes Thron zu sitzen.“
(Brief an die Hebräer 12,2 – www.basisbibel,de)

Die Ohren des Esels bewegen sich ständig hin und her. Alles will das Tier aufnehmen. Den Lärm, den die Menschen am Straßenrand machen. Die Palmwedel, mit denen sie winken. Die Anweisungen, die der Mensch auf seinem Rücken gibt. Das Schnalzen mit der Zunge. Der Druck mit den Schenkeln.
Jesus lenkt den Esel durch die Menschenmenge zum Stadttor. Er kennt das schon, dass ständig Leute um ihn herum sind. Kaum einen Schritt kann er machen, ohne dass sie ihm folgen. Immer wieder weicht er ihnen aus und sucht die Stille.
Jetzt saugt er ihren Jubel auf. „Hosianna dem, der im Namen des Herrn kommt.“ Ja. Er ist im Namen des Herrn unterwegs. Ihn will er zu ihnen bringen. Seine Nähe sollen sie suchen. Wenn sie jetzt jubeln, tun sie das doch: Sie wenden sich dem Herrn zu.
Jesus schaut über die Menge hinweg zum Tempel und zu den Palästen der Mächtigen. Sie werden sich an seinem merkwürdigen Triumphzug stören. So wie sie sich an ihm und seinen Worten ärgern. Er stellt ihnen die Frage nach Gott. Sie hören sie als Zweifel an ihrer Macht.
Er sieht den Hügel, den sie hier Golgatha nennen. Der Ort, wo die Räuber und Aufrührer hingerichtet werden. Er ahnt: Sein Weg wird dort enden. Weil die Mächtigen die Machtfrage auf ihre Weise beantworten.
Er ahnt: Die Menschen, die ihm jetzt zujubeln, werden auch dann Spalier stehen. Sie werden nach ihm spucken und ihn verspotten. Weil er für sie doch nicht der ist, auf den sie gewartet haben.
Er ahnt: Von den Freunden, die ihn jetzt begleiten, wird dann kaum einer mehr bei ihm sein. Verraten werden sie ihn und verleugnen. Fliehen vor Entsetzen und aus Angst. Seinen Weg wird er allein gehen müssen.
Der Esel kommt an die letzte Wegkreuzung vor dem Stadttor. Er bleibt stehen und wartet auf den Schenkeldruck, der ihm die Richtung weist.
Jesus zögert: Ein Schnalzen und er würde einen anderen Weg nehmen. Fort von der Stadt, zurück in sein altes Leben. Aber nicht er entscheidet. Das hat längst ein ganz anderer für ihn getan.
Jesus hofft: Dieser Ganz-Andere bereitet ihm den Weg, der über Golgatha hinaus führt. Er öffnet ihm die Tür, die ihm und allen Menschen ein neues Leben ermöglicht. Er zeigt ihm das Ziel voller Licht, das noch im Dunkel des Todes verborgen liegt.
Der Esel setzt sich wieder in Bewegung. Er bringt seinen Reiter durch das Stadttor in die Heilige Stadt.

„Wir sind also förmlich umgeben von einer riesigen Wolke von Zeugen. Darum lasst uns alle Last abwerfen, besonders die der Sünde, in die wir uns so leicht verstricken. Dann können wir mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der vor uns liegt.
Dabei wollen wir den Blick auf Jesus richten. Er hat uns zum Glauben geführt und wird ihn auch vollenden. Er hat das Kreuz ausgehalten und der Schande keine Beachtung geschenkt. Denn auf ihn wartete die große Freude, an der rechten Seite von Gottes Thron zu sitzen.
Denkt doch nur daran, wie geduldig er die Anfeindungen von schuldbeladenen Menschen ertragen hat. Dann werdet ihr nicht müde werden und nicht den Mut verlieren.“

(Brief an die Hebräer 12,1-3 – www.basisbibel.de)

Sie sitzt in ihrem Rollstuhl und strahlt. Es ist ihr Geburtstag. Viele sind zu ihr ins Heim gekommen, um ihr zu gratulieren.
Sie feiern mit ihr zusammen ihr langes Leben. Einen weiten Weg hat sie zurückgelegt bis zu diesem Tag heute. Weiter als sie jemals erwartet hätte. Keiner vor ihr ist in ihrer Familie jemals so alt geworden.
„Ich bin so froh“, sagt sie. „Ich habe ein so schönes Leben.“ Sie erzählt von glücklichen Zeiten und wunderbaren Erlebnissen. In der Jugend hat sie keinen Tanz ausgelassen und – sie zwinkert – manchem jungen Kerl den Kopf verdreht. Bis sie den Mann fand, mit dem sie ihr Leben teilte.
Es hat sie ausgefüllt, die Kinder groß zu ziehen – aus allen ist etwas geworden. Immer hat sie auch Zeit gefunden, sich für andere einzusetzen. „Die Menschen haben mir vertraut“, sagt sie. Jetzt wird sie umsorgt, auch wenn es Zuhause natürlich schöner war.
Sie fehlt ihr hin und wieder, die Gemeinschaft, die sie dort in der Gemeinde und den Gottesdiensten erlebte. „Wir haben aufeinander geachtet“, sagt sie. Jetzt schaut sie die Gottesdienste im Fernsehen. Die Lieder, die sie auswendig kann, singt sie mit.
„Ich bin so dankbar“, sagt sie auch. „Ich habe viel Kraft gehabt.“ Ihr Mann kam mit einer schweren Verletzung aus dem Krieg. „Andere hätten ihn verlassen, ich bin geblieben.“
Manchmal fühlte sie sich in einem ihrer Ehrenämter allein gelassen. „Sie machen das schon“, hat man ihr immer gesagt. Und sie machte es dann. „Es war ja sonst keiner da.“
Tränen steigen ihr in die Augen. „Meine Tochter hatte keine Chance gegen die Krankheit.“ Vor fünf Jahren ist sie gestorben. „Dabei war doch ich vorher dran.“
„Ich werde Gott fragen, was er sich dabei gedacht hat“; sagt sie, „wenn ich dann bei ihm bin.“ Sie ist bereit zu gehen. Auch wenn sie noch ein wenig leben will. „So lange es mir so gut geht und der Herr mich lässt.“
„Befiehl dem Herrn deine Wege, denn er wird es wohl machen.“ Das ist ihr Konfirmationsspruch. An ihm hält sie sich fest. „Das war immer in meinem Leben so“, sagt sie. Gott hat es gut gemacht, auch wenn es ihr nicht so schien. Also wird er auch den letzten Schritt gut machen
Den Konfirmationsspruch hat sie von ihrer Großmutter geerbt und später dann an die Enkelin weitergegeben. „Damit sie Gott auch vertraut“, sagt sie, „so wie ich.“ Damit sie wie sie einen langen Weg geht. Immer mit dem Vertrauen, dass Gott ihr über alle Hindernisse hinweg hilft. Und immer mit dem Blick auf das Ziel, an dem Gott auf sie wartet.
„Die Sorgen habe ich spätestens dann alle vergessen“, sagt die Frau. Das Glück wird bleiben.“

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