Mitnehmen oder dalassen? - Auch ein Dialog

- Es stellt sich alle Jahre wieder die grundsätzliche Frage: Mitnehmen oder dalassen?
- Mitnehmen. Immer erst einmal alles mitnehmen.
- Egal was?
- Egal was. Was man hat, das hat man. Und alles kann einem irgendwann nochmal nützlich werden.
- Willst du trotzdem noch wissen, wovon ich spreche? Wenn du weißt, worum es geht, sieht deine Antwort vielleicht anders aus.
- Meinst du? Na denn: Was soll ich dalassen oder mitnehmen?
- Deinen Stein und deinen Stern.
- Ach. Ja. Richtig. Was mache ich mit dem Stern und dem Stein, den ich in der Hand halte, mit dem ich mich an das Schöne und an das Schwere im vergangenen Jahr erinnert habt? Entweder ich nehme beides mit nach Hause. Oder ich lasse es hier auf dem Altartisch liegen. Meinst du das?
- Ja, das meine ich. Also: Mitnehmen oder dalassen?
- Ganz wie du willst.
- Ein Mann, keine Meinung. – Was ich will, das weiß ich. Du sollst für dich wissen, was du willst. Also dalassen oder mitnehmen?
- Was willst du denn?
- Nein. Erst du.
- Gute Frage.
- Sage ich doch.
- Also einerseits ist beides ja ganz schön anzuschauen. Ein handgefalteter Stern. Ein handgesammelter Strandstein. Da könnte ich beides ja mitnehmen.
- Und andererseits?
- Andererseits liegen Stern und Stein zuhause nur herum und stauben ein oder verschwinden in einer Schublade.
- Ein Mann, zwei Meinungen. Beides geht nicht. Entweder mitnehmen oder dalassen. Du musst dich entscheiden.
- Immer diese Entscheidungen.
- Es ist wie im richtigen Leben.
- Genau. Wie im richtigen Leben. Jetzt weiß ich, warum ich keine Antwort weiß.
- Nämlich?
- Mit dem Stern und dem Stein nehme ich ja auch die Erinnerungen mit nach Hause. Die Erinnerungen an das Schöne im letzten Jahr. Und an das Schwere.
- Und? Willst du das?
- Wie hast du gespottet? Ein Mann, zwei Meinungen!
- Wieder einerseits, andererseits?
- Na klar. Ich bin zwar unentschieden, aber das wenigstens ganz entschieden.
- Und wie sieht dein Einerseits-Andererseits jetzt aus?
- Einerseits stelle ich mir das schön vor: Der Stern liegt irgendwo in der Wohnung. Ich lauf' an ihm vorbei und für einen kurzen Augenblick sehe ich nochmal das Schöne, an das ich mich eben hier erinnert habe. Das hebe ich gern auf.
- Also: Mitnehmen!
- Den Stern: ja. Aber auf den Stein habe ich keine Lust. Ich mag mich nicht immer wieder an das Schwere erinnern lassen.
- Wo es jetzt hinter mir liegt. Das muss mir nicht ständig auf den Fuß fallen. Das will ich gerne ablegen.
- Also: Hier lassen!
- Ja. So würde ich das wohl machen. – Und du?
- Ich will es genau umgekehrt machen. Den Stein mitnehmen und den Stern dalassen.
- Aha. Und wieso das?
- Wenn ich den Stern dalasse, dann ist das ein kleiner Erntedank.
- Ein Erntedank?
- Ich lege auf den Altar, was ich im letzten Jahr Schönes geschenkt bekommen habe. Ich zeige es Gott. Als Zeichen des Dankes. Und damit er sich mit mir freut.
- Auch ein schöner Gedanke. Und wieso nimmst du den Stein mit?
- Weil ich das Schwere ohnehin mit nach Hause nehme. Selbst wenn ich den Stein hier ablege.
- Und dann willst du dich zuhause beständig daran erinnern lassen?
- Nein. Nicht an das Schwere.
- Sondern?
- An Gottes Versprechen. Daran, dass Gott das Schwere für mich in Segen wandelt.
- Du meinst: Du legst den Stein zuhause ins Regal. Und im Lauf des Jahres wird aus ihm ein Stern?
- Das hoffe ich zumindest. Daran will ich mich und Gott immer wieder erinnern. Und deshalb muss der Stein mit.
- Mit dem Schönen bist du fertig. Das kannst du hierlassen. Aber an dem Schweren arbeitest du noch.
Gott arbeitet mit mir daran. Damit aus dem Schweren ein Segen wird.
- Das hat auch etwas für sich. Aber da sind wir genau so schlau wie zuvor. Mitnehmen oder dalassen?
- Das kannst du, das können Sie erstens ganz gut selber entscheiden.
- Und zweitens?
- Gibt es noch etwas Drittes.
- Und das wäre?
- Annehmen.
- Was: Annehmen?
- Das Entscheidende ist nicht, ob du Stern und Stein mitnimmst oder dalässt. Das Entscheidende ist, dass du Stern und Stein annimmst.
- Also, du meinst: Das Entscheidende ist, dass du für dich das Schöne und das Schwere in deinem Leben annimmst.
- Ja, das meine ich.
- Das ist aber nun wirklich keine neue Erkenntnis.
- In der Theorie hast du Recht. Aber in der Praxis musst du es trotzdem jedes Jahr wieder neu lernen.
- Da hast du nun wieder Recht. Es ist leichter, laut und rauschend Silvester zu feiern, als sich leise an das zu erinnern, was war.
- Deswegen basteln wir ja Sterne und sammeln Steine: Damit wir uns anschauen können, was wir am Ende des Jahres in den Händen halten. Und damit wir es Gott hinhalten können.
- Ich sehe mich wie einen der Weisen an der Krippe stehen, in den Händen mein Schönes und mein Schweres und mein ganzes Leben als Geschenk fürs Christkind.
- „Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, / Herz, Seel und Mut, nimm alles hin / und lass dir’s wohlgefallen.“
- Und das Schöne ist: Er lässt es sich wohlgefallen. Kein Stirnrunzeln, weil er schon so viele Steine hat. Kein Gedanke an Umtausch, weil der Stern nicht so toll gefaltet ist. Der nimmt das Geschenk einfach an.
- Und freut sich. Freut sich, dass ich ihm das anvertraue: Das Schöne und das Schwere. Mein ganzes Leben.
- Freut sich und bewahrt, was ich ihm anvertraue. Er nimmt es an. Ohne wenn und aber.
- Und die Freude steckt an. Weil er sich freut, freue ich mich. Ich denke mir: Das muss ein schönes Geschenk sein, das ich ihm geschenkt habe. Wenn er sich so freut.
- Mein Leben muss ein schönes Geschenk sein für ihn. Auch wenn es das für mich nicht ist. In seinen Augen ist es schön.
- Wenn ich nur mein Leben mit seinen Augen sehe.
- Dann ist das Schöne ein wunderbares Geschenk. Und im Schweren entdecke ich den Segen, der in ihm verborgen liegt.
- Und ich kann mein Leben annehmen, wie er es annimmt. Deshalb ist Gott nahe zu sein mein Glück.
- Ob das auch mit anderen Menschen gelingt?
- Was?
- Dass ich sie betrachte wie Sterne und Steine. Die, die schön sind für mein Leben. Und die, die es mir schwer machen.
- Und dann?
- Dann bringe ich sie zur Krippe. Und versuche sie mit den Augen des Kindes zu sehen.
- Und sie verwandeln sich? Die schön sind für dein Leben, werden ein Geschenk? Und die es dir schwer machen, werden schön?
- Das frage ich mich ja: Ob ich sie annehmen kann, egal, wie sie für mich sind, wenn ich nur sehe, dass Gott sie annimmt.
- Da hast du doch ein guten Vorsatz fürs Neue Jahr: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“

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