Eine Spur legen

Nordkirche laufen die Mitglieder weg“, so titelte am Dienstag die SHZ auf Seite 1. „Austrittswelle hält an: Minus von fast 48.000 in einem Jahr.“
„Die Nordkirche hat im vergangenen Jahr den größten Mitgliederverlust seit Jahren hinnehmen müssen. Ende 2014 zählte die evangelische Kirche in Schleswig-Holstein, Hamburg, und Mecklenburg-Vorpommern 2,146 Millionen Mitglieder. Ein Jahr zuvor waren es noch 2,193 Millionen. Unterm Strich sind es genau 47.481 Menschen weniger. Dies geht aus einer amtlichen Statistik hervor. Offen ist noch, wie hoch der Anteil der Kirchenaustritte am Mitgliederverlust ist.“
Ich füge hinzu: Aus den vergangenen Jahren weiß man, dass er bei ungefähr zwei Dritteln liegen dürfte.
Im Kommentar auf Seite 2 heißt es dazu: „Die schrumpfenden Mitgliederzahlen sind längst nicht allen in der Landeskirche als existenzgefährdendes Problem bewusst. Man hat sich eher daran gewöhnt, dass man immer kleiner wird. Will die Kirche auch weiterhin gesellschaftlich relevant bleiben, ist das der falsche Weg. …
Nötig ist ein Prioritätenwechsel: Die Nordkirche wäre gut beraten, die Mitgliederentwicklung zum wichtigsten Thema überhaupt zu machen. Jede Sitzung eines Kirchen­gemeinderates, jede Synode muss sich damit beschäftigen, wie man es schafft, dass zumindest die Zahl der Kircheneintritte die Zahl der Austritte übertrifft. Jeder Pastor muss sich die Frage stellen, warum es gerade in seinen Sonntagsgottesdiensten noch so viele freie Plätze gibt und warum gerade bei ihm Menschen aus der Kirche austreten.“


Soweit der Zeitungstext vom Dienstag. Jetzt der Bibeltext von heute:
Seid untereinander einig, mitfühlend, voller Liebe zu den Brüdern und Schwestern, barmherzig und bescheiden. Zahlt Böses nicht mit Bösem heim oder eine Beschimpfung mit einer Beschimpfung. Stattdessen sollt ihr segnen. Denn Gott hat euch dazu berufen, seinen Segen zu erben.
Wer das Leben erlangen und gute Tage sehen will, soll seine Zunge hüten. Nichts Böses darf aus seinem Mund kommen und nichts Unwahres über seine Lippen. Er soll sich vom Bösen abwenden und Gutes tun. Um Frieden soll er sich bemühen, ja, sich mit ganzer Kraft dafür einsetzen.
Denn die Augen des Herrn ruhen auf den Gerechten und ihrem Gebet schenkt er sein Ohr. Aber er wendet sich gegen alle, die Böses tun.
Wer kann euch schon etwas Böses antun, wenn ihr euch mit voller Hingabe für das Gute einsetzt? Glückselig seid ihr – auch wenn ihr für die Gerechtigkeit leiden müsst.
Fürchtet euch nicht vor den Drohungen eurer Gegner, lasst euch von ihnen nicht einschüchtern. Erkennt von ganzem Herzen an,dass der Herr, Christus, heilig ist.
Immer wieder verlangt man von euch, Rechenschaft zu geben über die Hoffnung, die euch erfüllt. Deshalb müsst ihr bereit sein, allen, die fragen, Rede und Antwort zu stehen. Aber antwortet ihnen freundlich und in Ehrfurcht vor Gott, ihr habt ja ein gutes Gewissen. Dann müssen sich alle schämen, die euch in Verruf gebracht haben, wie schlecht sie über euch reden – angesichts des rechtschaffenen Lebens, das ihr in der Verbundenheit mit Christus führt. Es ist jedenfalls besser, für gute Taten zu leiden als für schlechte – wenn Gott es so will und ihr leiden müsst.

(1 Petrusbrief 3,8-17 -- www.basisbibel.de).

Soweit der Bibeltext. Ein gemeinsames Thema bindet ihn an den Zeitungstext: „Seid als Christen erkennbar. Sorgt dafür, dass andere euch als Christen erkennen.“

Das klingt selbstverständlich, ist aber ganz und gar nicht harmlos. Der 1. Petrusbrief stammt aus einer Zeit, als es lebensgefährlich war, sich als Christ zu erkennen zu geben.
Dafür steht der Name Petrus, den sich der unbekannte Schreiber für seinen Brief ausleiht. Der Apostel wurde für seinen Glauben hingerichtet. Das wussten die, die den Brief zu lesen bekamen.
Dennoch steht in ihm laut und deutlich: „Seid als Christen erkennbar! Ihr müsst bereit sein, allen, die fragen, Rede und Antwort zu stehen. Aber antwortet ihnen freundlich und in Ehrfurcht vor Gott, ihr habt ja ein gutes Gewissen.“
Dem nachzukommen, erforderte zu der Zeit, als der Brief geschrieben und erstmals gelesen wurde, viel Mut und Gewissheit.
Anderen Mut jedenfalls, als wir heute aufbringen müssen. Nachteile brauchen wir nicht fürchten, wenn wir uns offen als Christen zu erkennen geben. Getauft zu sein, konfirmiert zu werden – das ist hierzulande nichts, woran andere Anstoß nehmen.
Jeder darf seinen Glauben haben, auch wenn ich ihn nicht teile. Allenfalls erntet man ein mitleidiges Lächeln, wenn man sonntags früh aufsteht, um in die Kirche zu gehen.
Aber ob ich daran als Christ erkennbar werde? So erkennbar, dass andere es mir ansehen? So erkennbar, dass sie wissen wollen, was es mit meinem Glauben auf sich hat?
So erkennbar auch, dass sie ihn teilen wollen? So erkennbar, dass sie zu der Glaubensgemeinschaft, die Kirche und Gemeinde sind, dazu gehören und dafür gar noch Kirchensteuer bezahlen wollen?

„Seid als Christen erkennbar“, so höre ich den Zeitungskommentar, so lese ich den Petrusbrief. „Seid erkennbar durch euren Glauben, euer Tun und euer Beharren.“

„Erkennt von ganzem Herzen an, dass der Herr, Christus, heilig ist.“ So heißt es im Petrusbrief. Das ist der Glaube.
Vom Herz geht die Lebenskraft aus. Es ist die Mitte, meine Mitte. Dieses Herz soll ich an Christus hängen – und zwar so, dass es für andere erkennbar ist. Das müsste sich doch sehen lassen, wenn Christus mein Leben treibt.
Am freundlichen Blick vielleicht. In meinem Glauben weiß ich, dass Christus mich freundlich anschaut. Er sieht alles an mir – auch das, was ich selber am liebsten nicht sehe. Und doch schaut er mich freundlich, liebevoll an.
Das müsste mir doch helfen, mit leuchtenden Augen ins Lebn zu schauen und auf andere Menschen. Das müsste mich doch blind machen für ihre Schwächen und sehend für ihre Stärken.
Glaube ist, dass ich vertraue, dass Christus das Gute in mir stärkt – also will ich das Gute im Anderen stärken.
Und vielleicht müsste mein Christsein am entspannten Lächeln zu erkennen sein. „Die Christen müssten mir erlöster aussehen. Bessere Lieder müssten sie mir singen, wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte.“ So hat Nietzsche gesagt.
Erlöst davon, immer mehr haben zu wollen – aus Angst, nicht genug zu bekommen. Erlöst davon, weil ich weiß, dass Gott mir die Hände füllt, die ich ihm leer hinhalte. Alles, was ich zum Leben brauche, ist Gottes Segen – und davon bekomme ich reichlich.
Erlöst auch davon, durch das Leben zu hasten – aus Angst davor, etwas zu verpassen, bevor das Ende viel zu früh kommt. Erlöst davon, weil ich weiß, dass dieses Ende ein Doppelpunkt ist, hinter dem es weitergeht – dort, wo Gott vollendet und ganz macht an meinem Leben, was hier Bruchstück bleibt.

Dieser Glaube müssste dann auch mein Tun prägen, an dem ich als Christ erkennbar sein soll. „Zahlt nicht Böses mit Bösem heim … Stattdessen sollt ihr segnen. Denn Gott hat euch dazu berufen, seinen Segen zu erben.“ So heißt es im Petrusbrief.
Jemanden zu segnen, das heißt, ihm – im Namen Gottes – Leben zuzusprechen. Das soll und kann ich tun, weil Gott selber mir Leben zuspricht, mir seinen Segen gibt.
Also kann und soll ich mich für das einsetzen, was dem Leben dient – dem Frieden, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung.
Das klingt nach großer und also ferner Politik. Und sicher haben Christen in kirchlichen und politischen Ämtern eine besondere Verantwortung.
Aber es dient ebenso dem Frieden, wenn ich an meinem Ort darauf verzichte, mich am Tratsch über die nicht anwesenden Nachbarn zu beteiligen. Wenn ich Gerüchte ins Leere laufen lasse, statt sie mit meinen Vermutungen zu befeuern.
Es dient der Gerechtigkeit, wenn ich mich vor Ort einsetze für Menschen, die darauf angewiesen sind, dass andere sich für sie einsetzen. Hier auf Föhr gibt es die Hospiz-Initiative: Menschen, die andere im Sterben begleiten, damit sie diesen Weg nicht allein gehen. Es gibt eine Helfergruppe für Flüchtlinge: Menschen, die anderen zur Seite stehen, die auf der Suche nach einem würdigen Leben hierher gekommen sind.
Es dient der Bewahrung der Schöpfung, wenn ich den Weg zum Bäcker mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fahre. Wenn ich statt Billiglebensmittel in Plastikverpackung die teureren aus regionaler Produktion kaufe.
Das zu tun – und vieles anderes mehr – dient dem Leben. Das heißt, den Segen weiterzugeben, den ich empfange.

Um durch meinen Glauben und mein Tun als Christ erkennbar zu sein, braucht es auch einiges Beharren. „Fürchtet euch nicht vor den Drohungen eurer Gegner“, heißt es im Petrusbrief.
Auch wenn ich nicht um mein Leben fürchten muss – es macht doch Angst, wenn ich über meinen Glauben reden soll. Wenn ich das tue, rede ich über mich selber, über das, was mich und mein Leben unbedingt angeht. Das zu tun, macht mich verletzlich: Was, wenn ein anderer mich auslacht? Wenn einer mir Fragen stellt, auf die ich nicht sofort eine Antwort habe?
Auch wenn ich nicht um mein Leben fürchten muss – es kostet doch Kraft, meinen Glauben zu Leben. Manchmal muss ich gegen den Strom schwimmen. Den Mund aufmachen, wenn andere schweigen, hinschauen, wo andere wegsehen, aufstehen, wo andere die Hände in den Schoß legen.
Aber auch wenn es Angst macht und Kraft kostet: Es lohnt sich und ist wichtig. Denn es macht meinen Glauben erkennbar.

Mehr noch: Es legt eine Spur Gottes in die Welt. Eine Spur, die von Gott kommt und zu ihm führt. Und darum geht es: Dass unser Glaube, unser Tun, unser Beharren auf Gott hinweisen. Dass sie das so tun, dass andere neugierig werden, dieser Spur nachzugehen.
Und, wer weiß: Womöglich führt diese Spur auch in die Kirche. Auszuschließen ist das jedenfalls nicht.

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