Glaubst du das?
„Gesundheit“ rufe ich immer noch,
wenn einer niest. Dabei sagt Knigge doch schon seit
Jahren: „Muss man selbst oder aber eine andere Person in einem Raum niesen, ignoriert man dies als einen unerheblichen Zwischenfall. Dieser sollte nicht durch ein schallendes 'Gesundheit!' zu einem Drama gesundheitlichen Verfallsverfremdet werden.“
Die Angst vor dem gesundheitlich
Verfall stand übrigens am Anfang des Ausrufes: „Gesundheit!“.
Der stammt aus dem 17. Jahrhundert, habe ich jetzt gelernt, als die
Lungenpest umging.
Wenn da einer neben einem nieste, dann
wünschte man Gesundheit. Aber nicht in erster Linie dem Niesenden,
sondern sich selber: „Gott schenke mir Gesundheit!“
Auch wenn man also „Gesundheit!“
nicht mehr sagt – sie ist gefühlt immer noch und immer mehr das,
was Menschen anderen und sich selber am häufigsten wünschen.
Ob ich nun Eltern frage, was sie sich
für ihr gerade geborenes Kind wünschen oder einer 85jährigen zum
Geburtstag gratuliere, die Antwort ist die gleiche: „Gesundheit.
Vor allem Gesundheit. Das ist doch das wichtigste.“
Wie
wichtig sie ist, die Gesundheit, das erlebe ich schon bei einem
kleinen Schnupfen. Der ist ja eigentlich nur lästig ist und geht
bald wieder. Aber er beeinträchtigt doch den Alltag.
Um
wie viel mehr liegt dann eine Krankheit auf mir, deren Schmerzen viel
bohrender sind. Und um wie viel unruhiger macht mich eine Krankheit,
deren guter Ausgang keineswegs gewiss ist.
Noch
zermürbender ist es, wenn nicht ich selber krank bin, sondern ein
Mensch, der mir am Herzen liegt. Wenn ich mich um ihn sorgen muss und
dabei nicht viel mehr tun kann, als mit ihm zu leiden.
Krankheit,
die eigene oder die eines anderen, hat Macht über uns. Das liegt
vielleicht daran, dass sie die kleine Schwester ihres großen Bruders
ist: der Tod. Er hat so viel Macht, dass viele am liebsten gar nicht
über ihn reden. Und wenn wir es doch einmal tun, blocken andere das
Gespräch ab.
Welche
Macht hat er erst, wenn er kommt. Unausweichlich setzt er dem Leben
sein Ende. Du kannst die Menschen, die dir lieb sind, nicht davor
bewahren. Und du kannst dich selber ihm nicht entziehen, zumindest
nicht auf Dauer.
Das
erfährt auch Lazarus aus Betanien: „Er war schwer krank“ (Johannes 11,1 - www.basisbibel.de). Ausgeliefert an die Krankheit. Ganz
und gar von ihr in Beschlag genommen.
Am
Anfang vielleicht noch mit der Kraft, gegen sie zu kämpfen, und in
der Hoffnung, wieder aufzustehen. Am Ende womöglich schon ganz
geschwächt und nur noch mit dem Wunsch, dass der Kampf endlich ein
Ende hat. So muss er sich der Macht ergeben, die der Tod hat, auch
über sein Leben.
Diese
Macht spüren auch Maria und Marta, die beiden Schwestern. Sie spüren
sie, während sie am Krankenbett bei Lazarus sind, ihn waschen, ihm
zu trinken geben. Sie spüren sie in ihrer eigenen Hilflosigkeit. Sie
können nichts anderes tun, als mit Lazarus zu leiden und zu warten
und zu hoffen.
Und
dann müssen sie ertragen, dass sie ihren Bruder verlieren an die
Macht des Todes. Leer bleiben sie zurück. Noch ganz gefangen von den
Bildern des Kampfes, den sie an Lazarus Seite gegen Krankheit und Tod
erlebt haben. Mit zerrissenen Herzen, weil sie mit Lazarus einen Teil
ihres Lebens verloren haben an den Tod.
Auch
Jesus spürt die Macht von Krankheit und Tod. Er spürt sie als er
die Nachricht erhält, dass Lazarus krank ist.
Sorgen
steigen in ihm auf, um den Freund, den er lieb hat. Und vielleicht
auch Wut auf die Macht, die Krankheit und Tod über Menschen haben.
Er
muss zu Lazarus, er muss zu den Schwestern. Aber er kommt vier Tage
zu spät für Lazarus. So empfindet er es vielleicht, der so gern den
Kampf mit der Macht der Krankheit aufgenommen hätte. So sieht es
ganz bestimmt Marta, die ihm entgegeneilt.
„Herr, Wenn
du hier gewesen wärst, hätte
mein Bruder nicht sterben müssen“
(Johannes 11,21). Vielleicht schleudert sie es ihm wütend entgegen: „Wo warst du,
als dein Freund ihn gebraucht hätte?“
Vielleicht
ist es auch die endgültige Aufgabe angesichts der Übermacht des
Todes. „Was wir konnten, haben wir getan, aber es war vergeblich.
Und du, Jesus, bist zu spät.“
Und
zugleich steigt in Marta die aberwitzige Hoffnung auf: „Aber
Jesus, auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, das wird
er dir geben“ (Johannes 11,22). „Du schaffst
es für uns, dass wir die Zeit zurückdrehen, dass Lazarus den Kampf
noch einmal aufnehmen darf – und dass wir dann den Trick finden,
der dem Tod wenigstens dieses eine Mal ein Schnippchen schlägt.“
Aber
Jesus wird die Zeit nicht zurückdrehen, was geschehen ist, ist
geschehen. Zu spät ist zu spät. Stattdessen wird etwas Neues
geschehen: „Dein Bruder wird vom Tod auferstehen!“ (Johannes 11,23).
Er
richtet den Blick in die Zukunft, auf das, was werden wird. Aber
Marta ist damit nicht glücklich. „Ich weiß wohl, dass er
auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage“ (Johannes 11,24).
Aber
das hilft nicht. Wann soll der sein, der Jüngste Tag? Irgendwann, in
Gottes gütiger, aber ferner Zukunft. Doch das ist zu spät. Jetzt,
in diesem Augenblick, soll etwas geschehen, das ihr zerrissenes Herz
heilt.
Die
Antwort, die Jesus gibt, kennen wir, vielleicht sogar auswendig: „Ich
bin die Auferstehung und das Leben! Wer an mich glaubt, wird leben,
auch wenn er stirbt. Und wer lebt und an mich glaubt, wird niemals
sterben – in Ewigkeit nicht“ (Johannes 11,25-26).
So
sagt Jesus und schließt eine kleine, aber entscheidende Frage an:
„Glaubst du das, Marta?“ (Johannes 11,26).
Glaubst
du das? Gegen die spürbare Macht des Todes,
die dir einen Menschen aus der Hand reißt? Gegen das eigene Erleben,
dass, wer tot ist, auch tot bleibt? Gegen die eigene Angst, dass du
sterben wirst, wirklich und am eigenen Leib?
Vielleicht
können wir das glauben, so wie Marta es glaubt: „Ja, Herr, ich
glaube fest: Du bist der Christus, der
Sohn Gottes, der in diese Welt kommen soll“
(Johannes 11,27).
Marta
wägt nicht ab, wie es sein könnte, dass jemand noch lebt, obwohl er
seit vier Tagen im Grab liegt. Sie überlegt auch nicht, wie es wohl
sein könnte, dass jemand niemals stirbt, wenn er nur genug Vertrauen
hat. Sie sagt nicht wider alle Vernunft: „Ich glaube, dass Lazarus
lebt, obwohl er gestorben ist. Ich glaube, dass ich nie sterben
werde.“
Sie
sagt: „Ja, Herr, ich glaube fest: Du bist der Christus, der Sohn
Gottes, der in diese Welt kommen soll.“
Mit
dieser Antwort wird für Marta alles anders. Sie gibt den Kampf gegen
die Macht des Todes auf, in dem sie auf verlorenen Posten steht. Sie
lässt den Wunsch los, Lazarus Sterben möge wieder rückgängig zu
machen sein. Nein, der Tod bleibt der Tod, der unserm Leben ein Ende
setzt.
Marta
gibt auch den Wunsch auf, dass irgendwann, in ferner Zukunft etwas
die Wunde heilen kann, die der Tod jetzt geschlagen hat. Doch,
manchmal spüren wir die Menschen in unserer Nähe, die der Tod uns
genommen hat. Aber wir bleiben von ihnen getrennt. Diese Macht bleibt
dem Tod.
Dennoch:
Der Tod verliert seine Macht, als Marta ihren Glauben bekennt: „Ja,
Herr, ich glaube fest: Du bist der Christus, der Sohn Gottes, der in
diese Welt kommen soll.“
In
diesem Augenblick verlässt sie sich ganz und gar auf Gott, der ihr
wunderbarerweise in Jesus Christus begegnet. Sie vertraut sich ihm
ganz und gar an.
Der
Mensch, der sie ist, mit all dem, was sie ausmacht und bewegt und
umtreibt. Sie vertraut Jesus, sie glaubt an die Macht Gottes. Sie
vertraut sich seiner Macht des Lebens an.
Vielleicht
muss sie dazu zuvor der Macht des Todes begegnet sein. Denn so
erfährt sie: „Wer an Gott glaubt, wird leben, auch wenn er
stirbt.“
In
ihrem Vertrauen gelingt es Marta, Lazarus loszulassen, all die
Wünsche und Hoffnungen, dass alles wieder werden möge wie früher.
Sie gibt ihren Bruder ganz und gar Gott in die Hand. Und dort ist
Lazarus in der Hand dessen, der die Macht des Lebens hat, die durch
den Tod hindurch geht.
Marta
vertraut auf Gott und seine Macht des Lebens, sie glaubt an ihn, und
so wird sie nimmermehr sterben. Sie legt ihre Hand in Jesu Hand,
damit er sie führt – durch die Trauer und den Schmerz, die sie
erleidet. Er soll sie begleiten, in allem, was sie Schönes und was
sie Schreckliches erlebt – wenn es an der Zeit ist, auch durch den
Tod hindurch.
Marta
glaubt – und der Tod hat keine endgültige Macht mehr über sie. So
sehr der große Bruder Tod und die kleine Schwester Krankheit auch
ihr Leben bedrohen und sich in ihm ausbreiten. Sie glaubt und bleibt
so verbunden mit Gott.
Das
bringt und bewahrt ihr das Leben, auch wenn alles dagegen spricht. In
ihrem Glauben lebt Marta aus der Macht des Lebens. Und der Tod hat
keine Macht mehr.
Wohl
die, die das kann. Selig der, dem Gott das schenkt.
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