Nur noch ein Wunder...

Viele Menschen fragen: Was ist schuld daran, warum kommt das Glück nicht zu mir?
Das könnte die Eingangsfrage zu einer Predigt sein. Ist es ja auch – und doch wieder nicht. Eigentlich ist es ein Zitat:
„Viele Menschen fragen / was ist schuld daran / warum kommt das Glück / nicht zu mir? / Fangen mit dem Leben / viel zu wenig an. / Dabei steht das Glück / schon vor der Tür.“
Das sind die ersten Zeilen eines Schlagers. Jetzt kommt der Refrain:
„Wunder gibt es immer wieder / heute oder morgen / können sie geschehn. / Wunder gibt es immer wieder / wenn sie dir begegnen / musst du sie auch sehn.“
Katja Ebstein sang das, 1970, beim Eurovision Song Contest, der damals noch Grand Prix Eurovision de la Chanson hieß.
Wunder gibt es immer wieder. So einfach ist das. Das Glück steht vor der Tür. Geh einfach hin, mach auf, bitte das Glück herein.
Wenn es da doch nicht stehen sollte: Geh auf die Straße. Halte die Augen auf. Es wird nicht lange dauern, dann begegnet dir ein Wunder.
 
Ach, die wundervolle Welt des Schlagers – sie steckt voller Wunder. Zu Jesu Zeiten war das mit den Wundern deutlich schwerer. Auch wenn die Evangelien gefühlt ständig davon erzählen, dass schon wieder ein Wunder geschehen ist.
So viele Wunder, dass es selbst Jesus zu viel zu werden scheint. Er haut ab, so erzählt das Matthäusevangelium (15,21-28). Zwei, drei Tagesmärsche wandert er mit seinen Jüngern nach Nordwesten. Er verlässt Galiläa und zieht im Nachbarland bis an die Küste des Mittelmeeres.
Dort, in Phönizien, wird ihn niemand kennen. Und er wird Ruhe finden vor den Menschen, die von ihm nicht weniger als ein Wunder und noch ein Wunder erwarten.
Doch die Berichte über ihn sind vor ihm eingetroffen Sie haben eine Frau erreicht, die um ihre Tochter fürchtet; nur ein Wunder kann ihr noch helfen.
Der Gott, an den Jesus glaubt, ist ihr fremd. Aber sie kennt die alten Erzählungen aus der Zeit, als Israel ein mächtiges Land war. Sie weiß um den großen König David. Und von Jesus, dem Wunderheiler, heißt es, er stamme von eben diesem König ab. Alles, was sie an Hoffnung noch aufbringen kann, setzt sie auf ihn, den Sohn Davids: „Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem bösen Dämon beherrscht!“, ruft sie ihm entgegen (Matthäus 15,22 --
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Ihre Rufe können Jesus nicht entgangen sein, er muss sie bemerkt haben. Dennoch schenkt er ihr keine Beachtung. Heute bitte keine Wunder! Meine Seele hat Ruhetag.
Aber seine Jünger reagieren. „Jesus, du musst etwas tun“, sagen sie zu ihm: „Schick sie weg! Denn sie schreit hinter uns her!“ (Matthäus 15,23) Vielleicht bedrängt ihn einer seiner Jünger: „Nur ein kleines Wunder, dann haben wir Ruhe.“
Darauf lässt sich Jesus nicht ein: "Ich bin nur zu Israel gesandt" (Matthäus 15,24). Die Frau geht ihn nichts an; er ist nicht zuständig. Sie glaubt nicht an seinen Gott; sie gehört nicht zu seinem Volk. Er hat mit der Frau nichts zu tun. Für sie gibt es kein Wunder.
Doch die Frau hat längst gemerkt, dass Jesus und seine Jünger über sie reden. Der Wunderheiler hat sie wahrgenommen. Jetzt lässt sie nicht mehr locker. Sie wirft sich ihm zu Füßen: „Herr, hilf mir doch!" (Matthäus 15,25)
Er kann nicht mehr nur über sie reden. Er muss mit ihr sprechen. Er wendet sich ihr zu – um sie abzulehnen.
Was Jesus zuvor seinen Jüngern entgegnet hat, das sagt er jetzt der Frau ins Gesicht: „Es ist nicht richtig, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Hunden vorzuwerfen“ (Matthäus 15,6).
„Dir helfe ich nicht!“, heißt das. „Du bist es nicht wert. Ich helfe nur denen, die es verdient haben.“ Die Frau liegt vor ihm im Staub – und Jesus lässt sie dort liegen.
Der, der sonst mit Wundern um sich schmeißt, verweigert das Wunder. Wo er hinkommt, können Gelähmte gehen, Blinde sehen, Taube hören. Aber diese Frau weist er ab. Denn, so sagt er selbst: Seine Wunder sind nicht für alle da.
Der Schmerz und die Demütigung könnten die Frau verstummen lassen. Doch mit dem Mut der Verzweifelten, die nichts mehr zu verlieren hat, klammert sie sich an den letzten Strohhalm.
"Ja, Herr! Aber die Hunde fressen doch von den Krümeln, die vom Tisch ihrer Herren herunterfallen" (Matthäus 15,27). So sagt sie. Sie macht sich klein und ist doch ganz groß in ihrem Vertrauen. In ihrem Vertrauen darauf, dass für sie ein Wunder abfällt.
Es scheint, als erinnerte die Frau Jesus an seine Gabe, an seine Kraft: „Bei dir ist Heil im Überfluss – es reicht sicher auch noch für meine Tochter und für mich, auch wenn es nicht für uns bestimmt ist!“
Und es scheint, als würde Jesus von der hartnäckigen Frau lernen. Als würde er lernen, dass er sein Heil an alle Menschen verschenken muss.
Er lässt sich von ihr überzeugen: „Frau, dein Glaube ist groß! Was du willst, soll geschehen!" In demselben Augenblick wurde ihre Tochter gesund (Matthäus 15,28).
 
Damit endet die Geschichte vom Wunder, das nicht stattfinden sollte und es doch tat. Das Wunder ist natürlich, dass die Tochter wieder gesund wird. Eine Heilung wie all die anderen Heilungen, die von Jesus erzählt werden.
Wo sie auch geschehen – die Leute, die sie mitbekommen, staunen. Wenn Stumme reden, Verkrüppelte gesund werden, Gelähmte gehen und Blinde sehen – dann sind das mehr als einzelne Wunder, die nicht zu erklären sind.
Sie sind die Vorzeichen, dass jetzt alles, wirklich alles gut wird. Dass jetzt – oder wenigstens bald – Gott selber zu den Menschen kommt und die weite Welt endlich heil wird.
Das zeigt auch das Wunder, dass die Tochter der Frau wieder gesund wird. Die Dämonen, die bösen Geister verlieren ihre Macht. Gottes Geist macht Leben möglich.

Und doch finde ich es ein ganz besonderes Wunder. Nicht, weil der Fall besonders verwickelt oder der Dämon besonders bösartig gewesen wäre. Ich finde es ein ganz besonderes Wunder, weil ich mit der Frau etwas darüber lerne, wie Wunder geschehen.
Ich lerne, dass Wunder keine Grenzen kennen. Zumindest nicht die Grenzen, die wir Menschen gern ziehen.
Das Wunder trifft eine Frau aus Kanaan, eine, die nach damaligem Verständnis nicht zum Volk Gottes gehört. Ich übersetze das so: Wunder können auch Menschen ereilen, von denen wir meinen, sie hätten es nicht verdient. Wunder scheinen etwas zu sein, wozu es nur einen Menschen braucht – und natürlich Gott selber.
Wunder geschehen immer wieder und unverhofft. Aber – auch das lerne ich – sie geschehen nicht einfach so. So ein Wunder steht nicht plötzlich vor mir. Ich muss es suchen. Hartnäckig suchen.
Die Frau tut es. Hartnäckig bittet sie Jesus darum, dass er sich ihr zuwendet. Drei Mal spricht sie ihn an. Jesus kann sie noch so schroff abwehren – sie lässt sich nicht abschütteln.
Wunder, so entdecke ich bei der Frau, Wunder haben auch etwas mit Demut und Demütigung zu tun.
Die Frau macht sich klein – und sie wird klein gemacht. Sie wirft sich vor Jesus in den Staub. Er spricht von ihr als Hund, sie selber nimmt diese Rolle an. Das ist schwer zu ertragen.
Aber vielleicht ist da etwas dran: Stolz und Wunder vertragen sich nicht. Solange ich Stolz in mir trage. Solange ich denke, dass ich es ja eigentlich selber regeln könnte. Oder dass ich irgendwie einen Anspruch darauf habe. Solange geschieht das Wunder nicht.
Erst wenn ich mir eingestehe, dass ich keine Kraft zu nichts habe. Erst wenn ich begreife, dass ich keinen Anspruch auf nichts habe. Erst dann kann ich Gott alles zutrauen – auch ein Wunder. Und dann kann es geschehen.
Wunder brauchen vollkommenes Zutrauen und Vertrauen. Eines, das alles auf eine Karte setzt. Auf Gott. Die Frau tut das. Sie hat alle andere Hoffnung aufgegeben. Sie hat nur noch diese eine Hoffnung. Aber die hat sie aus vollem Herzen und mit ganzer Seele.
Darauf geht Jesus ein. Der Glaube, den er bei der Frau spürt, packt ihn und lässt ihn nicht mehr los. Die Frau gewinnt, weil sie nichts mehr zu verlieren hat.
Und: Die Frau gewinnt nicht für sich selbst. Sie gewinnt für ihre Tochter. Vielleicht geschehen Wunder dann leichter, wenn ich sie nicht für mich erhoffe, sondern für einen anderen Menschen.
Vielleicht brauchen Wunder die Liebe als Auslöser. Wenn ich einen anderen Menschen liebe – dann können sie in mir wachsen: die Hartnäckigkeit, die Demut, das Vertrauen, die ein Wunder braucht. Weil es nicht mehr um mich selber geht, sondern nur noch um den anderen.
Aber ich kann noch soviel über Wunder reden – und Katja Ebstein kann noch soviel davon singen: Ein Wunder ist ein Wunder ist ein Wunder.
Es geschieht der Frau, weil Gott es will, weil Jesus es tut. Wir können das Wunder drehen und wenden, wie wir wollen: Wir bleiben darauf angewiesen, dass Gott für das Wunder sorgt. Dass er unsere Herzen bewegt und unser Leben verändert durch das, was wir kaum zu hoffen wagen.

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