Damit es strömt und fließt
Es
ströme das Recht wie Wasser.
Und
es fließe die Gerechtigkeit
wie
ein nie versiegender Bach.
(Amos 5,24)
Ich
stelle mir vor, ich kann das:
Ich
sage: Es
ströme das Recht.
Und
ich sehe Wasser, wie es strömt.
Ich sehe:
Es strömt zu einer Frau.
Die hat
ihr ganzes Leben
ihren
Haushalt versorg
und
ihre Tage zwischen ihren Büchern
und
mit ihrem Garten verbracht hat.
Bis sie sich in ihren Gedanken verlor.
Jetzt hält sie eine Hand,
die
sie geduldig füttert,
und
schaut in Augen,
die
sie freundlich anschauen,
und
erzählt ihre Geschichte
zum
tausendundersten Mal
und
merkt nicht, dass die Zeit vergeht,
weil
nur der Augenblick zählt.
Und
ich sehe:
Das Wasser strömt zu einem Mann.
Dem setzen sie in seinem Dorf
die
Pistole auf die Brust,
und er floh um sein Leben
auf
einem überfüllten Boot,
und überlebte, als
es unterging.
und zog immer weiter
von
einem sicheren Land in das nächste.
Er
weiß nicht, wo Dublin liegt,
und
erst recht nicht,
was
Dublin Zwei heißt.
Aber er darf bleiben
auf
der Insel im Norden
und
bekommt es schwarz auf weiß
von der zuständigen Behörde:
Du
bist uns willkommen.
Es ströme das Recht wie
Wasser.
Und
es fließe die Gerechtigkeit
wie
ein nie versiegender Bach.
Ich
stelle mir vor, ich kann das.
Ich
sage: Es
fließe die Gerechtigkeit.
Und
ich sehe einen Bach, wie er fließt.
Und
ich sehe:
Er fließt zu einer Frau.
Die steht in der Lagerhalle,
mit einem Toaster in der Hand
und einem Karton vor sich.
Sie
hört auf zu rechnen,
während
sie die Ware verpackt
und
die Adresse auf den Karton klebt,
denn
sie weiß,
dass
sie den Wochenendeinkauf bezahlen kann,
und
die Fußballschuhe auch,
die
der Sohn sich wünscht,
und
die Klassenfahrt obendrauf,
zu
der die Tochter soll.
Und
ich sehe:
Der Bach fließt zu einem einem
Jungen.
Der legt das Leder beiseite
und
den Klebstoff.
Er
verlässt die Schuhfabrik
und atmet frische Luft
und
rennt nach Hause.
Er
nimmt sich die Hefte und Stifte
und
packt sie in die Tasche.
Er
geht endlich los
und
lernt lesen und schreiben und rechnen.
In der Pause nimmt er sich den Ball
und
rennt ihm nach
und
lacht sein Kinderlachen.
Es ströme das Recht wie
Wasser.
Und
es fließe die Gerechtigkeit
wie
ein nie versiegender Bach.
Ich
stelle mir vor, ich
kann das.
Ich
sage: Es ströme das Recht – und es strömt.
Und
ich sage: Es fließe die Gerechtigkeit – und sie fließt.
Ich
stelle mir vor, ich
kann das.
Aber
ich kann es nicht.
Ich
kann es nicht sagen.
Nicht
so, dass es tatsächlich strömt.
Auch
nicht so, dass es wirklich fließt.
Ein
anderer muss es sagen.
Du
musst es sagen.
Es
ströme das Recht.
Es
fließe die Gerechtigkeit.
Du
musst es machen.
Dass
das Wasser wirklich strömt.
Und
dass der Bach tatsächlich fließt.
Für
die, die danach dürsten.
Und
für die, die auf dem Trockenen sitzen.
Sage
es doch.
Mache
es doch.
Du,
Gott,
barmherzig
und
gnädig
und
in allem mächtig.
Amen.
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