Im Weinberg
Wir
stehen in einem Weinberg. Wir stehen dort und staunen. Eine Mauer
umgibt den Weinberg. Kein Gestrüpp wächst, kein Unkraut. Nur hier
und da leuchtet eine Mohnblume rot. Die Rebstöcke stehen in sauberen
Reihen, gesäubert und beschnitten nach aller Kunst des
Weinbauernhandwerks.
Dem
Weinberg ist anzusehen, wie viel Liebe und wie viel Mühe jemand in
ihn hineingesteckt hat. Liebesmühe also.
Da
kommt einer auf uns zu. Wir sind mit ihm verabredet. Er will uns
diesen Weinberg zeigen. Den Weinberg seines Freundes, so sagte er
uns.
Mein
Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.
Und
er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er
baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf,
dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.
Wir
stehen im Weinberg und sehen erst jetzt auf die Trauben. Wie kann das
sein?Seltsam verschrumpelt sind sie. Als wären sie an den Reben
vertrocknet. Das kann doch nicht sein.
Nun
richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir
und meinem Weinberg!
Was
sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe
an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich
darauf wartete, dass er gute brächte?
Wir
stehen hier im Weinberg und unsere Meinung ist gefragt. Unser Rat.
Aber hier ist guter Rat teuer. So teuer wie dem, der uns fragt, der
Weinberg sein muss.
Denn
das haben wir gelernt. Unsere Verabredung haben wir nicht mit einem
Freund. Wir haben sie mit dem Weinbauern selber. Der, der vor uns
steht, hat den Weinberg angelegt und auf Trauben gewartet.
Wir
müssen ihm Recht geben: Alles, was wir sehen, zeigt seine Liebesmüh.
Einen besseren Weinberg können wir uns nicht denken.
Nur
die Trauben passen nicht zu den Reben und die Reben nicht zu den
Trauben. Seht, der Weinberg ist gut, sehr gut sogar. Doch die Trauben
– sie taugen allenfalls noch für Rosinen.
Was
soll er machen, der Weinbauer? Es ist, sagt er, verlorene Liebesmüh
mit diesem Weinberg.
Wohlan,
ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun
soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine
Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.
Ich
will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt
werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken
gebieten, dass sie nicht darauf regnen.
Wir
stehen im Weinberg und hören die harten Worte. Wir spüren, wie
enttäuscht der Weinbauer ist. All die Mühe, all die Liebe. All die
vergeblichen Hoffnungen, wieder und wieder.
Wir
spüren die Wut, die in dem Weinbauern brodelt. Aus der Liebe, der
enttäuschten, steigt Hass auf, der Wille, zu zerstören. Das, was
die Liebe selber aufgebaut hat.
Der
Weinbauer will vernichten, was sein Werk ist. Was nur durch seine
Arbeit und seine Mühe da ist. Was ohne sie nicht sein kann.
Ja,
sagen die einen unter uns, ja, das verstehen wir. Das würden wir
auch so machen. Den Weinberg aufgeben, die Trauben sich selber
überlassen. Und dann woanders etwas Neues anfangen. Mit gleicher
Liebe und hoffentlich und bestimmt dann mehr Erfolg und besseren
Trauben.
Naja,
sagen die anderen unter uns, wenn ihr meint. Aber schade ist es
schon. Nun hat der Weinbauer schon so lange und so viel. Wenn er noch
einmal? Ein letzter Versuch. Nächstes Jahr vielleicht. Wir könnten
uns vorstellen, dass dann. Man hat ja schon Wunder gesehen.
So
stehen wir da, im Weinberg, und hören:
Des
Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas
seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch,
siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei
über Schlechtigkeit.
Wir
stehen im Weinberg und vor unseren Augen beginnt er sich zu
verwandeln.
Die
Mauern weiten sich zum Himmel, der sich wölbt, zum Meer, das sich
endlos dehnt. Ewiges, tiefes Blau, an dem die Sonne leuchtet, aus dem
sie aufsteigt, in dem sie versinkt.
Die
Wege, die den Weinberg durchziehen, werden zu grünen Wäldern und
korngelben Feldern. Raum zum Leben für allerlei Tiere, für Leben,
das wächst. Wir hören es singen.
Die
Reben verwandeln sich in Häuser, in Dörfer, in Städte. Orte, an
denen Menschen zusammenleben. Raum, der sie birgt und ihnen Heimat
gibt.
Aber,
ach, die Menschen. Vertrocknete Trauben, Rechtsbruch statt
Rechtsspruch, Schlechtigkeit statt Gerechtigkeit. Wir sehen sie an
mit den Augen des Weinbauern, mit den Augen des Herrn.
Wir
erkennen all die Liebe und die Mühe, die er aufgebracht hat. Sieben
Tage, ausgedehnt auf Jahrmillionen. Was wuchs, ist nicht nur
gewachsen. Was sich ergab, hat sich nicht nur ergeben. Was da ist,
ist gewollt. Aus Liebe. Es ist geschaffen. Mit Mühe. Siehe, es war
gut, sehr gut sogar.
Aber
die Trauben. Das Ebenbild, das Gott entsprechen sollte in seiner
Liebe und seiner Mühe – das Ebenbild entsprach ihm nicht.
Wir
stehen im Weinberg, der die Welt ist, und sehen, was der Herr des
Weinbergs sieht. Wir ahnen seine Enttäuschung.
Rechtsbruch
statt Rechtsspruch: Sieben Jahre führen sie in Syrien nun schon
Krieg – und alle sorgen sich um den Frieden, aber keiner sorgt für
ihn und für die, die fliehen. Übers Meer, zu Fuß, von Land zu Land
fliehen sie zum Frieden.
Sie
finden ihn weit weg von zuhause und bitten darum, dass sie dort, in
der deutschen Fremde bleiben dürfen. Und sie warten dort, dass über
ihre Bitte entschieden wird. Sie lernen die Sprache, sie richten sich
ein, sie atmen auf.
Und
dann bekommen sie nach langem Warten Antwort auf ihre Bitte: Wir sind
nicht zuständig für deinen Antrag, lautet sie. Geh zurück nach
Italien und bitte dort noch einmal.
Wir
stehen im Weinberg und schauen uns um und ahnen etwas von der Wut,
die im Herrn des Weinbergs aufsteigt.
Schlechtigkeit
statt Gerechtigkeit: Da schießt wieder einer an einer Schule um sich
und tötet siebzehn Menschen. Alle sind entsetzt, dass jemand Waffen
so missbrauchen kann.
Doch
darüber, dass es überhaupt ein Recht gibt, Waffen zu besitzen,
regen sich weniger auf. Und statt mit einem Verbot von Waffen zu
reagieren, fordert einer noch mehr Waffen.
Wenn
an Schulen geschossen wird, so die Begründung, dann brauchen die
Lehrer Waffen, um im Fall der Fälle die zu erschießen, die andere
erschießen wollen.
Was
soll er anfangen mit diesem Weinberg, was mit dieser Welt?, fragt der
Herr der Welt.
Wir
stehen im Weinberg und ahnen die Antwort und suchen nach Worten und
Argumenten, die ihm die Wut und Enttäuschung nehmen.
Uns
fallen die guten Beispiele ein. Menschen, die nach den Flüchtlingen
schauen und mit ihnen Deutsch lernen und sie begleiten zu den
Behörden und zum Einkauf und die da sind, wenn die Kriegsbilder in
den Köpfen aufschreien.
Oder
der Schüler, der von dem Senator wissen will, was der gegen die
Waffen unternehmen will und ob der Senator versprechen kann, keine
Spenden von der Waffenlobby anzunehmen. So lange fragt er, bis alle
verstanden haben, dass der Senator keine Antwort geben will.
Da
sind doch saftige Trauben, sagen wir und fragen uns, ob die wohl
reichen, um die vertrockneten aufzuwiegen.
Und
dann fällt uns noch die ganze Liebesmüh ein, die der Herr
aufgewandt hat und die doch erst recht und sowieso verloren geht,
wenn der Herr jetzt, ausgerechnet jetzt aufgibt.
Kein
Sonnenaufgang mehr, kein Sonnenuntergang. Keine Küsse, keine ersten
Schreie, keine Musik, kein Lachen. Will er, der Herr, auf all das
verzichten? Wir können es nicht.
Wir
sehen, wie der Herr des Weinbergs und der Welt anfängt zu lächeln.
Wir freuen uns und Erleichterung steigt auf.
Aber
das Lächeln gilt nicht uns. Es gilt einem, der mitten unter uns
steht, eben war er noch nicht da. Doch der Herr sieht ihn an, als
kennt er ihn schon ewig.
Der
Fremde, der auch uns sofort vertraut ist, sieht auf die Früchte. Er
berührt sie hier und da, und die er berührt, ziehen Saft, und die
Trauben werden prall und schmecken fruchtig.
Das
grenzt an ein Wunder, und das ist es ja auch. Dass hier und da Gott
selber in die Welt kommt und einen Menschen berührt und seine
Liebesmüh Früchte trägt.
Weil
einer staunt über die Sonne, die auf dem Watt glitzert, und über
die Kiebitze, die im Schwarm tanzen.
Und
weil ein anderer den leisen Hilferuf hört und bei einem anderen an
die Tür klopft und ihm Zeit und ein offenes Ohr und einen
freundlichen Blick mitbringt.
Schlechtigkeit
und Rechtsbruch schwinden und Frieden und Gerechtigkeit küssen sich.
Und Enttäuschung und Wut schwinden beim Herrn des Weinbergs und die
Liebe macht keine Mühe mehr, sondern Freude. Schöpferfreude.
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