Es ist ein Kreuz

Da steht einer und hält ein Kreuz aus Bronze in der Hand. Die Kameras laufen und schauen ihm zu, um später zu zeigen, was er da tut.
Er dreht sich um und hängt das Kreuz an die Wand. Die Kameras laufen. Er wendet sich wieder zurück, die eine Hand weiter am Kreuz, das Gesicht schaut zufrieden; die Kameramänner sind es auch.
Am Dienstag bringt Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, in der Eingangshalle der Staatskanzlei in München ein Kreuz an.
So ein Kreuz soll zukünftig in allen Dienststellen von bayrischen Landesbehörden hängen. Das ist, heißt es, eine vertrauensbildende Maßnahme für die bayrischen Bürger.
„Diese Kreuze“, sagt Markus Söder, „sollen kein religiöses Symbol des Christentums sein. Sie sind ein Bekenntnis zur Identität und zur kulturellen Prägung Bayerns.“
Ein Schauspiel für die geneigte Öffentlichkeit. Für die Gebäude von Kommunal- und Bundesbehörden gilt die Regelung nicht. Da fehlt der Landesregierung die Befugnis.

Jesus sagt:
„Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid!
Bei mir werdet ihr Ruhe finden.“

Es gibt Kritik an der Entscheidung der bayrischen Landesregierung.
Nicht am Kreuz und nicht am Aufhängen von Kreuzen. Die hängen ja längst in einigen Gebäuden. Wer wollte, durfte sie auch bisher schon anbringen.
Die Kritik gilt dem Politschauspiel und der Begründung.
„Das Kreuz ist keine heimelige Wand-Deko“, sagt Katrin Göring-Eckardt, Grünenpolitikerin, Theologin und ehemalige Präses der evangelischen Kirche. Ein anderer sagt einer: Zur kulturellen Identität passt ein Bierhumpen besser.
Die Kritik zielt auch auf die politische Motivation. Die katholische und die evangelische Jugend in Bayern wenden sich gemeinsam dagegen, dass das Kreuz genutzt wird, um Menschen anderen Glaubens auszugrenzen.
Die Kritiker kritisiert Markus Blume, Generalsekretär der CSU: Bei ihnen „haben wir es mit einer unheiligen Allianz von Religionsfeinden und Selbstverleugnern zu tun.“

Jesus sagt:
„Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe. Lernt von mir: Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab.“

Am Anfang, so wird erzählt, hatten die Christen ein geheimes Zeichen, an dem sie sich erkannten: einen Fisch.
Ichtys, so heißt Fisch auf griechisch. Aus den Buchstaben kann man ein Glaubensbekenntnis bilden: Jesus Christus, Gottes Sohn, der Retter.
Die Christen brauchten ein Geheimzeichen. Sich öffentlich zu ihrem Glauben zu bekennen, war gefährlich.
Lebensgefährlich war auch, was Christen wie Juden nicht taten: Sie weigerten sich, die Standbilder des Kaisers anzubeten.
Du sollst keinen anderen Gott haben neben mir und du sollst dir kein Bildnis machen und es anbeten.
Juden und Christen nahmen ihren Gott und seine Gebote ernst – gegen den römischen Kaiser.

Jesus sagt:
„Dann wird eure Seele Ruhe finden. Denn mein Joch ist leicht. Und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last.“

Konstantin, der römische Kaiser, hatte einen Traum. Er träumte, er würde Kreuze auf die Schilde seiner Soldaten malen lassen. Und seine Soldaten würden mit diesem Kreuz auf den Schilden eine Schlacht gewinnen.
Kaiser haben die Macht, Träume in die Wirklichkeit zu bringen. Die Soldaten malten Kreuze auf ihre Schilde und gewannen.
Das Kreuz wird das Zeichen der Sieger. Eine Figur im Altar von St. Johannis erzählt davon: Rechts neben Jesus steht Sylvester I; der war Papst zur Zeit von Kaiser Konstantin.

Jesus sagt:
„Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid!
Bei mir werdet ihr Ruhe finden.“

Das Kreuz zieht durch Europa. Im achten Jahrhundert kommt es mit Bonifatius nach Friesland. Er will die Friesen missionieren und taufen.
Die Friesen wehren sich und erschlagen Bonifatius. Aber das Christentum bleibt.
Die Friesen ziehen über die Jahrhunderte weiter an der Nordsee entlang. Wenn man so will, weichen sie vor dem Kreuz zurück.
Es folgt ihnen auf dem Fuß. Im 12. Jahrhundert hat es sie eingeholt – es findet sie auch auf Föhr. Der Taufstein in St. Johannis kann von diesen Anfängen erzählen.
Im 14. Jahrhundert überflutet die erste große Mandränke Nordfriesland und ertränkt auch das Christentum: Ein Gott, der so eine Flut nicht verhindert, muss schwächer sein als die alten Götter.
Erst vier, fünf Generationen später fasst der christliche Glaube wieder Fuß. Johannes der Täufer steht seitdem überlebensgroß in der Kirche und schaut aus dem Fenster nach den Menschen, die kommen.

Jesus sagt:
„Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe. Lernt von mir: Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab.“

Das Kreuz macht den Unterschied. Das sagen die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, besser bekannt als PEGIDA.
Sie sagen das in Dresden, einer Stadt, in der von 100 Einwohnern 15 der evangelischen Kirche und sechs der katholischen Kirche angehören.
In München, dem Ausgangsort des Söderschen Kreuzzuges, sind von 100 Menschen zwölf in der evangelischen Kirche und immerhin 33 in der katholischen Kirche.
Das Kreuz macht den Unterschied. Für PEGIDA, die es vor sich herträgt. Für die bayrische Landesregierung, die es in ihren Behörden aufhängt.
Aber ist es wirklich ein Bekenntnis zu etwas? Oder eher ein Bekenntnis gegen etwas? Das Kreuz wird zum Unterscheidungsmerkmal: Wer sich zu ihm bekennt, gehört zu uns. Wer sich nicht zu ihm bekennt, gehört zu den Anderen.
Unausgesprochen steht die Erwartung im Raum: Wer hier leben will, muss sich zu dem Kreuz an der Wand bekennen. Wer sich an ihm stört, der soll doch woanders hingehen.
So funktioniert das Grundmodell des Fundamentalismus: Hier wir. Da die Anderen.

Jesus sagt:
„Dann wird eure Seele Ruhe finden. Denn mein Joch ist leicht. Und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last.“

Das Kreuz ist eine Last. Schwer liegt es auf den Schultern. Es drückt Jesus zu Boden. Das Kreuz ist eine Marter. Jesus leidet. Durst. Schmerzen. Verzweiflung. Tod.
Wer auf das Kreuz sieht und es sieht, der kann sehen, wie Gott an der Welt leidet. Jesus wird eben noch umjubelt. Er ist die Mitte. Kurz darauf hängt er verstoßen und verurteilt am Kreuz. Er gehört nicht mehr dazu.
Wer auf das Kreuz sieht und es sieht, der kann auch sehen, wohin Menschen es bringen mit der Welt und anderen Menschen. Es endet in Ausgrenzung und Hass und Gewalt.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?, betet Jesus am Kreuz. Verstoßen und verurteilt, ein Opfer von Hass und Gewalt.
Aber Gott hat ihn am Kreuz ja nicht verlassen, wie könnte er auch. Er ist ihm ans Kreuz gefolgt. Er ist dort bei ihm. Er ist es selber, der ein Opfer wird, ausgeliefert und machtlos.
Das Kreuz ist das christliche Symbol. Es zeigt Gott, der auf seine Macht verzichtet und sich ohnmächtig ausliefert. Es zeigt Gott, der sich selbst verleugnet und opfert für die, die täglich zum Opfer fallen.
Das Kreuz muss denen als Torheit erscheinen, die Macht haben und sie ausüben. Es muss denen ein Ärgernis sein, die andere ausgrenzen und abschieben. Wenn sie es ernst nehmen.
Das Kreuz zeigt: Gott macht da nicht mit. Nicht bei den Machtdemonstrationen. Nicht bei den Ausgrenzungen.

Jesus sagt:
„Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid!
Bei mir werdet ihr Ruhe finden.“

Am anderen Ende der Welt begegnen sich in dieser Woche zwei, die sich und die Welt überraschen: Kim Jong-un und Moon Jae-in, die Präsidenten von Nordkorea und Südkorea.
Sie begegnen sich an der Grenzlinie. Hier wir, da die Anderen. Sie reichen sich über die Grenze die Hände.
Moon hilft Kim über die Steinkante vom Norden in den Süden. Sie halten sich an den Händen, drehen um, gehen vom Süden in den Norden und wieder gemeinsam zurück nach Süden.
Später laufen sie allein zu zweit durch einen Park, gehen über eine Brücke, setzen sich auf eine Bank. Vor ihnen steht eine Tasse Tee bereit.
Sie unterhalten sich. Sie tun es länger, als das Protokoll es vorsieht. Als Kim und Moon sich erheben, wirken sie anders als vorher. Entspannter, ruhiger, friedlicher.

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