Ernte gut, alles gut
Paulchen
schaut auf die Tafel Schokolade. Tante Gertrud hat sie ihm geschenkt.
„Meine Lieblingsschokolade. Mit Erdbeerjoghurtfüllung“, hat sie
gesagt.
Paulchen
aber mag keine Schokolade mit Erdbeerjoghurtfüllung. Schon gar nicht
in einer rosafarbenen Schachtel. So ein Mädchenkram. Er sieht Mama
an und weiß sofort, was jetzt kommt.
„Und
wie sagt man, wenn man etwas geschenkt bekommt?“, fragt Mama.
Natürlich weiß er, was man sagt. Er ist ja seit ein paar Wochen
schon ein Schulkind.
Aber
er weiß auch, dass man nicht lügen soll. Das sagt Mama auch immer.
Da muss sie doch verstehen, dass er sich nicht für etwas bedanken
kann, worüber er sich nicht freut.
„Naja“,
sagt Mama, „dann sage ich mal Danke für ihn.“ Sie streicht
Paulchen über den Kopf. Das allerdings mag er noch weniger als
Schokolade mit Erdbeerjoghurtfüllung.
Wir
feiern Erntedank. Wir feiern es in der geschmückten Kirche. Brot und
Weintrauben, Kohlköpfe und Kartoffeln stehen für das, was wir
dieses Jahr geerntet haben.
Auch
wenn wir einiges dafür tun, damit es wächst im Garten und auf den
Feldern: Dass es wächst und wir etwas zu ernten haben, ist immer
auch ein Geschenk.
Und
wie man sagt, wenn man etwas geschenkt bekommt, das wissen wir.
Schließlich sind wir schon groß und haben es von unseren Eltern
gelernt und an unsere Kinder weitergegeben.
Paul schaut über seinen Hof. Wie
jedes Jahr hat er den Grünschnitt und die Maishäcksel mit Planen
abgedeckt.
Aber
dieses Jahr wird beides nicht reichen, um über den Winter zu kommen.
Erst gab es zu viel Regen und zu wenig Sonne. Dann gab es zu viel
Sonne und keinen Regen.
Er
hat schon Kühe verkauft und Grünfutter vom Festland eingekauft.
Aber er wird noch mehr Futter einkaufen müssen und noch mehr Kühe
verkaufen müssen.
Ob
die Rücklagen dann reichen werden oder er doch einen Kredit
aufnehmen muss, weiß er jetzt noch nicht. Den Antrag auf
Fördermittel beim Land hat er gestellt.
Aber
welchen Betrag er tatsächlich bekommt und was er womöglich
zurückzahlen muss, wenn er im nächsten Sommer den Jahresabschluss
nachreicht, das weiß er noch weniger.
Wir
feiern Erntedank. Weil man Danke sagt, wenn man etwas geschenkt
bekommt. Aber können wir uns für etwas bedanken, worüber wir uns
nicht freuen?
Paula
sitzt in ihrem Zimmer in der Reha-Klinik. Sie fährt mit der Hand
über den Kopf. Die Haare wachsen wieder. Und so schlecht steht ihr
die Kurzhaarfrisur nicht.
Acht
Mal war sie im Krankenhaus und hing an den Infusionen. Regelmäßig
wurde ihr schlecht. Trotz der Gegenmittel, die sie bekam.
Auf
wackligen Beinen und müde schlich sie durch die Tage zwischen den
Klinikaufenthalten. Nur mühsam lernte sie, nicht mehr machen zu
wollen, als sie tun konnte.
Angst
hat sie keine. Manchmal ist sie traurig und die Tränen laufen. Aber
sie lässt sich von dem kleinen fiesen Krebs nicht unterkriegen.
Langusten
gehören ins Wasser, hat ihr einer gesagt. Daran muss sie denken,
wenn sie jetzt am Strand spazieren geht und Kräfte sammelt für den
Weg, der sie an ein Ziel führen wird, das weder sie noch ihre Ärzte
kennen.
Wir
feiern Erntedank. Wir feiern es in der geschmückten Kirche.
Mohrrüben und Zwiebeln, Sonnenblumen und Kastanien stehen für das,
was wir geerntet haben.
Auch
wenn wir einiges dafür tun, damit wir glücklich werden in unserem
Leben: Dass es wächst und wir etwas zu ernten haben, ist immer auch
ein Geschenk.
Und
wie man sagt, wenn man etwas geschenkt bekommt, das hören wir ein
ganzes Leben lang. Auch jetzt hier in der Kirche. Paulus schreibt an
seinen Freund Timotheus:
„Alles,
was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts hat er verworfen. Wir
müssen es nur mit Dankbarkeit von ihm entgegennehmen. Durch Gottes
Wort und durch unsere Fürbitte wird es nämlich zu etwas Heiligem.“
Paulchen
hat Mama, die ihn daran erinnert, was man sagen soll, wenn man etwas
geschenkt bekommt. Paul und Paula und wir haben Paulus, der die Hand
aufs wunde Herz legt: Sei dankbar.
„Denn
alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts hat er verworfen.
Wir müssen es nur mit Dankbarkeit von ihm entgegennehmen. Durch
Gottes Wort und durch unsere Fürbitte wird es nämlich zu etwas
Heiligem.“
Paulus
legt die Hand aufs wunde Herz, damit es heil wird und ich Erntedank
feiern kann. Auch dann, wenn mir das, was ich geerntet habe, aus
guten Gründen nicht gefallen kann.
So
wie ich Paulus höre, sagt er: Auf allem, was dir geschieht, liegt
Gottes Segen. Alles auf dieser Welt und in deinem Leben ist mit Gott
verbunden.
Mir
tut es gut, dass er mich daran erinnert. Manchmal nämlich vergesse
ich das und meine, Gott wäre nur dann an meiner Seite, wenn es mir
gut geht.
Aber
wie komme ich darauf, dass er sich von mir abwendet, wenn die Ernte
schlecht ausfällt? Segen heißt: Gott ist dir nah in allem.
So
wie ich Paulus höre, sagt er auch: Was dir geschieht, muss dir nicht
gefallen. Nimm es entgegen und schaue es dir mit wachen Augen an.
Vielleicht kann Gott dich überraschen.
Mir
hilft die Vorstellung, dass mir manches auf den ersten Blick wie ein
grauer Stein am Strand vorkommt. Aber befeuchte ich ihn und halte ihn
in die Sonne, beginnt er zu glitzern.
Gottes
Segen liegt auf dem, was mir geschieht. Ich will ihn auch in dem
suchen, was mir nicht gefällt.
So
wie ich Paulus höre, sagt er auch: Aus allem, was dir geschieht,
kann etwas Heiliges werden. Gott kann es in Segen verwandeln.
Nicht
immer und nicht in allem finde ich Gottes Segen. Dann hilft es mir,
Gott genau das zu sagen. Und ihn darum zu bitten: Wandle es in Segen.
Wandle es durch deinen Segen.
Was
mir nicht gefällt, vertraue ich Gott an und seinem Segen. Damit er
das, was nicht gut ist, gut machen kann. Damit ich Erntedank feiern
kann.
Wir
feiern Erntedank. Wir feiern, dass das Leben etwas Heiliges ist.
Paula
hat in der Reha-Klinik andere Menschen getroffen, Männer und Frauen,
die wie sie mit dem kleinen fiesen Krebs kämpfen.
Bei
einigen hat sie die Kraft gespürt, die Leben gewinnt, wenn es dem
Tod ins Auge schaut. Sie weiß jetzt: Auch sie trägt diese Kraft in
sich. Ein unbändiger Wille zu leben.
Wir
feiern Erntedank. Wir feiern, dass das Leben aus Gottes Segen lebt.
Paul
weiß, dass er getan hat, was er tun konnte. Nach allen Regeln des
Könnens und des Wissens.
Zu
diesen Regeln gehören auch die Geduld und die Zuversicht. Die Natur
ist ein Kreislauf. Nach der Ernte ist vor der Saat ist vor der Ernte.
Es wird etwas wachsen.
Wir
feiern Erntedank. Wir feiern, dass das Leben ein Geschenk ist.
Paulchen
hat seine Freunde zur Geburtstagsparty eingeladen. Er und sechs Jungs
sitzen um die Schnecke aus Süßigkeiten.
Jeder,
der eine Sechs würfelt, darf sich die nächste Süßigkeit nehmen.
Und jedes Mal, wenn einer einen Schokoriegel in rosafarbenem Papier
bekommt, ist das Gelächter besonders laut.
Wir
feiern Erntedank. Erntedank, das heißt glauben zu üben, dass Gott
mein Leben segnet. Erntedank, das heißt vertrauen zu üben, dass
Gott mein Leben in Segen wandelt.
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