Sie brachen auf

Von Elim brachen sie auf.
Und von Nieblum, Goting und Borgsum,
von Alkersum, Midlum und Oevenum.
Jugendliche 14, 15 Jahre waren sie.
Frisch konfirmiert.
Frei gemacht für das, was kommen sollte.
In früheren Zeiten sagte man:
Da beginnt das Erwachsenenalter.
1992, 1993 gingt ihr, die Silbernen Konfirmandinnen
und Konfirmanden ins Leben.
Die Mauer in Berlin war gefallen.
Auf dem Balkan herrschte Krieg.
In Rostock-Lichtenhagen tobte der rechte Mob.
Der Bundestag schränkte das Grundrecht auf Asyl ein.
Die Rungholt lief in Husum von Stapel.
Das AquaWyk wurde eröffnet.
Der BUND richtete den Sperrgutbasar ein.
Das Wasserwerk nahm einen Stickstofffilter in Betrieb.
Die Post legte eine Sondermarke mit der Föhrer Tracht auf.
In Oevenum wurde der Martens-Hof zum Museum.
Der Alkersumer Inselkäse wurde erstmals hergestellt.
Im Olympic liefen Dr. Alban und The Four Non Blondes
und Withney Houston schmachtete „I Will Always Love You“.
Im Kino tobten die Dinosaurier durch den Jurassic Park
und Sharon Stone schlug die Beine übereinander.

Da also bracht ihr Silbernen Konfirmandinnen und Konfirmanden auf. 
In die Jugend.
In das Erwachsenenalter mit seinen Freiheiten
und Verpflichtungen.
So bracht ihr auf,
aus Nieblum, Goting und Borgsum,
aus Alkersum, Midlum und Oevenum.

Von Elim brachen sie auf.
und die ganze Gemeinde der Israeliten
kam in die Wüste Sin.
Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten
wider Mose und Aaron in der Wüste.
Und die Israeliten sprachen:
Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben
durch des HERRN Hand,
als wir bei den Fleischtöpfen saßen
und hatten Brot die Fülle zu essen.
Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste,
dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.
(2. Mose 16,1-3)

Sie brachen auf.
Ließen die Fleischtöpfe Ägyptens zurück.
Die Elternhäuser.
Die warmen Mittagessen.
Die gemachten Betten.
Die gebügelte Wäsche.
Brachen auf und erlebten – Wüste.
Weites Land.
Der Nachthimmel voller Sterne.
Aber es fiel nichts in den Schoss.
Schule und Schulabschluss,
Ausbildung und Geldverdienen,
Versicherungen abschließen und Mietverträge,
Kinder großziehen.
Ehen gingen in die Brüche,
Freundinnen zerstritten sich.
Und die Israeliten murrten
und bestimmt auch manche aus Nieblum, Goting und Borgsum, aus Alkersum, Midlum und Oevenum.
Was sollen wir in der Wüste,
die sich Leben nennt?
Immer nur arbeiten und Geld verdienen,
die Eltern, die Frau, der Mann, die Kinder,
jeder will etwas von einem.
Wenn du am Morgen aufwachst,
denkst du als erstes daran,
was du heute noch erledigen musst,
und nachts wachst du auf mit schlechtem Gewissen,
weil du nicht alles geschafft hast.
Die Welt ist schlechter geworden.
Egoismus und Krieg, Hass auf Fremde,
der Zusammenhalt ist nicht mehr da
und die Ideale der Jugend.
Früher war alles besser,
die Fleischtöpfe Ägyptens.
Und wo überhaupt ist Gott,
der seinen Geist versprochen hat?
Schutz und Schirm vor allem Bösen,
Stärke und Hilfe zu allem Guten.
Warum spürt man Gott nicht?

Da sprach der HERR zu Mose:
Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen,
und das Volk soll hinausgehen und täglich sammeln,
was es für den Tag bedarf.
Und am Morgen lag Tau rings um das Lager.
Und als der Tau weg war,
siehe, da lag's in der Wüste
rund und klein wie Reif auf der Erde.
Und als es die Israeliten sahen,
sprachen sie untereinander: Man hu?
Denn sie wussten nicht, was es war.
Mose aber sprach zu ihnen:
Es ist das Brot,
das euch der HERR zu essen gegeben hat.
(2. Mose 16,4.13-15)

Rund und klein wie Reif liegt es auf der Erde.
Das Brot.
Das Manna vom Himmel.
Das Glück.
Das, was man zum Leben braucht.
Was es süß macht.
Brot hat uns Gott gegeben.
Mit Honig und Marmelade,
mit Schinken und Inselkäse.
Und Snupkroom und Eis,
Friesentorte und Isenkauken,
Schweinebraten und gestovte Kartoffeln.
Manna vom Himmel hat Gott gegeben,
jeden Tag neu.
Ein gutes Wort von einem Freund.
Der verliebte Blick der Freundin.
Die Freude beim Fußballspielen.
Das Tanzen in der Strandkorbhalle.
Eine Nacht mit endlosen Gesprächen.
Ein Neugeborenes in den Armen.
Der Kaffeeduft am Morgen.
Das warme Bett am Abend.
Der Hase in der grünen Marsch.
Ein Spaziergang durchs glitzernde Watt.
Die Einschulung, die Konfirmation der Kinder.

Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat.
Das ist's aber, was der HERR geboten hat:
Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht.
(2. Mose 16,15-16)

Und wir haben gesammelt.
Momente der Liebe und des Schmerzes,
Erfahrungen und Geschichten.
Urlaubsreisen und Handwerksfreuden,
Familienfeiern und Ruhe.
Manches konnten wir nicht festhalten.
Mancher Reichtum ging wieder verloren.
Manche Beziehung ist zerbrochen.
Geliebte Menschen sind gestorben.
Aber wir haben sie immer noch:
die Zeiten des Reichtums, der Zärtlichkeit, der Liebe.
Und auch die Zeiten des Schmerzes.
Das Leben in seinen verschiedenen Facetten.
Voll sind unsere Fotoalben und Speicherkarten.
Voll sind Köpfe und Herzen mit Erinnerungen.
Und es kommt täglich neues Manna vom Himmel,
rund und klein wie Reif auf der Erde.
Honigbrot und Rufen der Austernfischer
und so viel mehr
 
Und die Israeliten sammelten,
einer viel, der andere wenig.
Aber als man's nachmaß,
hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte,
und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte.
Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.
(2. Mose 16,17-18)

Welch ein Glück. Welch ein Segen.

(Mit Worten von Pfarrerin Barbara Eberhardt.)

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