Dass du mich siehst


I

Gesegnet bist du, Gott, 
dass ich sehen kann. 

So fing das an:
Mit seiner Frage:
Was willst du?
Was soll ich für dich tun?
Und meiner Antwort:
Herr, dass ich sehen kann.

Vorher waren da andere.
Die fragten mich:
Blinder, was siehst du?
Siehst du schwarz?
Und sie lachten.

Ich antwortete:
Ich sehe den Wind.
Er rauscht in den Blättern über mir.
Ich sehe das Brot.
Es duftet frisch und warm.
Ich sehe die Sonne.
Sie wandert sacht über meine Haut.

Und ich sagte:
Eines aber sehe ich nicht
und möchte ich gern sehen:
Augen, die mich anschauen.
Ein Blick, der auf mir ruht.
Ein Angesicht, das mich anstrahlt.

Da merkte ich:
Ich sagte es ins Leere.
Die anderen waren gegangen.
Ich konnte sie nicht sehen.
Sie wollten mich nicht sehen.

II

Gesegnet bist du, Gott, 
dass ich sehen kann.

So kam das:
Er stand vor mir.
Und fragte mich:
Was willst du?
Was soll ich für dich tun?
Und ich verstand:
Er sieht mich.

Ich stand vor ihm.
Und antwortete:
Herr, dass ich sehen kann.
Augen, die mich anschauen.
Ein Blick, der auf mir ruht.
Ein Angesicht, das mich anstrahlt.

So bat ich.
So betete ich.

Und seht: Ich sah.
Seine Augen,
tief und klar wie ein See.
Seinen Blick,
weit und offen wie der Horizont.
Sein Angesicht,
hell und warm wie ein Licht.

Er schaute mich an.
Er sah mich.
Du sollst sehen können!
Sagte er.
Dein Glaube hat dich gerettet.

Und ich schaute ihn an.
Und ich sah ihn.

III

Gesegnet bist du, Gott, 
dass ich sehen kann.

So fing das an.
So kam es.
Mit seiner Frage:
Was willst du?
Was soll ich für dich tun?
Und meiner Antwort:
Herr, dass ich sehen kann.

Seitdem sehe ich.
Ich sehe den Wind,
ich sehe das Brot,
ich sehe die Sonne.

Und ich sehe die Frau
in ihrem schmutzigen Schlafsack.
Aufgezehrt von dem,
was sie zittern lässt. 

Ich sehe den Mann
zwischen den Kriegsruinen.
Verbraucht von dem,
was ihn bedroht.

Ich sehe das Kind
in der verwahrlosten Wohnung.
Allein mit dem,
was es fürchtet.

Ich schaue sie an
und ich sehe:
Ihr Angesicht, ihren Blick, ihre Augen.

Ich schaue sie an.
Und ich erkenne:
Seine Augen, seinen Blick, sein Angesicht.
Ich schaue sie an und ich merke: 
Ich schaue ihn an.

Und ich frage:
Herr, was willst du?
Was soll ich für dich tun?

Und er antwortet:
Dass du mich siehst.

Zu Lukas 18,31-43.
Vorgetragen beim 2. Nordfriesischen Predigtslam am 3. März 2019 in Husum.

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